Wir erwarten Antworten von der Wissenschaft. Niemand kann auf jedem Gebiet Experte sein. Daher sind wir auf die jeweiligen Experten angewiesen. Zu Recht erwarten wir von ihnen schlüssige „funktionierende“ Antworten sowie eine klare Auskunft über die Grenzen der jeweiligen „Technologie“.
Inhalte und Geschichte des christlichen Glaubens betreffend erhalten wir jedoch seit Jahrzehnten unterschiedliche ja widersprüchliche Informationen. Das Ergebnis ist nicht Wissen, sondern Verwirrung. Doch mal ehrlich, stehen wir nicht auf solche „Informationen“? Die Medien liefern das, was wir Kunden uns wünschen, nämlich die Sensation.
Nüchtern betrachtet ist Wissenschaft kein Zauberkasten. Vieles, was uns als neu und als Sensation präsentiert wird, ist gar nicht neu. Funde, wie die von „Qumran“ und „Nag-Hammadi“ vertiefen, aber werfen nichts um. Die Existenz der Gnosis war immer bekannt und mit zeitlichem und kulturellem Abstand vom Judentum und dem Juden Jesus zu erwarten.
Es gibt ein Buch von Klaus Berger und Christiane Nord „Das Neue Testament und frühchristliche Schriften“, worin diese Schriften nach der vermuteten Entstehungszeit geordnet sind. Das Inhaltsverzeichnis führt die Schriften nebst ihrem Entstehungsjahr auf, beginnend mit dem Jahr 50 und endend mit dem Jahr 200 n.Chr. Anders als viele Ausleger werden hier insbesondere die Johannesbriefe, das Johannesevangelium und der zweite Thessalonicherbrief früh datiert. Hier ist Udo Schnelle anderer Meinung, siehe „Einleitung in das Neue Testament“
https://www.buchhandel.de/buch/Einleitu ... 3825237370 Dies entspricht mehr der Mainstream der heutigen Theologie. Es lohnt sich, die jeweiligen Begründungen zu lesen. Es ist nicht einfach.
Allerdings betragen die Abweichungen nur wenige Jahrzehnte. Ein kurzer Blick in das erwähnte Buch von Klaus Berger und Christiane Nord zeigt und damit stimmen sie mit der allgemeinen Auffassung überein, dass die frühsten (ältesten) überlieferten Schriften Briefe sind. Das sind
„Anlassschreiben“!
Anders als die Apostelgeschichte, die uns über die ersten Jahrzehnte der christlichen Gemeinden berichtet, werden die Briefe anlässlich bestimmter Ereignisse geschrieben. Sie liefern uns einen Einblick, jedoch keinen umfassenden Bericht über alle möglichen Aktivitäten.
Zu diesen ältesten Schriften gehören zweifellos die Briefe des Apostels Paulus. Diese wurden kritisch auf ihre Echtheit hin geprüft. Dabei werden Form, Stil, Sprache … miteinander verglichen. Es wird gefragt, passt das angesprochene Problem in diese Zeit… - Selbst liberale Ausleger halten heute mindestens sieben Briefe für echt, also von Paulus selbst verfasst. (Siehe „Historisch-Kritische Bibelauslegung „Gerd Lüdemann)
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Wie gesagt, Briefe, auch und gerade die Briefe des Apostel Paulus (gestorben nach 60 in Rom) sind Anlassschreiben. Weder berichtet Paulus darin ausführlich über seine Missionstätigkeit, seine Gemeinden, noch über seine Person. In all das gewährt er anlässlich von Vorfällen… nur einen kleinen Einblick.
Daher ist mir bisher völlig verborgen geblieben, wie man zu der immer wieder wiederholten Behauptung kommt
„Paulus hat den historischen Jesus nicht gekannt“.
Von Paulus stammt diese Aussage nicht! In seinen uns erhaltenen Briefen schreibt er dazu nichts.
Fest steht lediglich, Paulus gehörte nicht zu den Anhängern Jesu. Doch wurde er bereits drei oder vier Jahre nach Jesu Hinrichtung Christ. Während dieser drei oder vier Jahren kannte er die Christen bereits, denn er war ihr Gegner, bekämpfte und verfolgte sie sogar.
Folglich beruht die Aussage
„Paulus hat den historischen Jesus nicht gekannt“, nicht auf wissenschaftliche Erkenntnis, sondern vielmehr auf Spekulation, oder?
Ein Zweites ist mir unklar geblieben: Zentrale christliche Dogmen wie Trinität und Zwei-Naturen Christi wurden erst im Laufe späterer Jahrhunderte formuliert, das ist richtig.
Doch Paulus und das ist völlig unbestritten, zitiert spätestens 60 in seinem Philipperbrief einen Christushymnus, Anlass das Beispiel Jesu (Phil 2,5-11):
Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht:
Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein,
sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.
Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.
Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: „Jesus Christus ist der Herr“ - zur Ehre Gottes, des Vaters.
Dieses urchristliche Zeugnis enthält bereits, was später in philosophischer Form, dogmatisch formuliert wurde.
Denken wir hier nicht zu formal, wenn wir meinen, dies kam erst später?
Weshalb sollte eigentlich der historische Jesus ein anderer sein, als der geglaubte Christus?
Könnte nicht vielmehr der Anspruch Jesu zu seiner Hinrichtung geführt haben?
Existiert möglicherweise gar kein „Graben“ zwischen dem „historischen Jesus“ und den „auferstanden Jesus“? Bestätigt nicht vielmehr die erfahrene Begegnung mit dem Auferstanden dessen vorherige Verkündigung?
Was, wenn nicht dies, war Anlass und Grund unter Lebensgefahr weiterzumachen, Jesu Botschaft und Jesus selbst zu verkünden?
Christus - eine spätere Gemeindebildung? Wann später? Paulus bekannte sich bereits drei oder vier Jahre nach Jesu Hinrichtung zu Christus Jesus und der Versammlung um ihn, die er zuvor bekämpft hatte.
Aufgrund von Verfolgung flohen einige Jünger nach Antiochia. Die Gemeinde dort entstand ebenso wie die in Damaskus und Rom ohne Zutun von Paulus.
„In Antiochia nannte man die Jünger zum ersten Mal Christen.“ (Apostelgeschichte 11,26)