@ Liborius
Dieser feine Unterschied zwischen höchstrichterlichen Auffassung und polemisches Pressegeschrei sollte einer Juristin geläufig sein.
Wieso ist Aygül Özkan für "polemisches Pressegeschrei" verantwortlich? Hat die Presse hier nicht sogar Recht? Und wieso steht ihre Aussage in Widerspruch zu "höchstrichterlichen" Auffassungen?
Kruzifix-Beschluss (umgangssprachlich auch Kruzifix-Urteil) wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1995 genannt, mit der Teile der Bayerischen Volksschulordnung von 1983 für verfassungswidrig und nichtig erklärt wurden, nach denen in jedem Klassenzimmer der Volksschulen in Bayern ein Kruzifix oder zumindest ein Kreuz anzubringen war.
Der Kruzifix-Beschluss ist eine bedeutsame Entscheidung zum Verhältnis von Religion und Staat in Deutschland.
Seit 3. November 2009 wird auch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als "Kruzifix-Urteil" bezeichnet, mit der Italien verurteilt wurde, einer aus Finnland stammenden Klägerin eine Entschädigung zu zahlen, weil Kruzifixe in der Schule ihrer Kinder nicht entfernt worden waren. (Siehe hierzu auch: Kruzifix in Italien)
Beschwerdeführend waren drei Schüler sowie deren Eltern, die Anhänger der anthroposophischen Weltanschauung und gegen eine christliche Einwirkung auf ihre Kinder durch die Kruzifixe waren.
Das Gericht sah die durch das Grundgesetz uneingeschränkt gewährte Religions- und Glaubensfreiheit der Schüler aus Art. 4 GG verletzt, hier die sog. negative Glaubensfreiheit. In diese dürfe der einfache (Landes-)Gesetzgeber nicht im Rahmen sonst oft vorhandener Grundrechtsschranken eingreifen.
Darüber hinaus hob das Gericht hervor, dass der Staat nicht nur eine religiöse Neutralitätspflicht aus der Verfassung habe (Art. 4 GG und Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung). Er könne sich vielmehr nicht selbst auf Religionsfreiheit oder eine bestimmte Weltanschauung berufen (hier also die christliche), da ein Staat als solches weder einer Religion angehören, noch Grundrechte für sich in Anspruch nehmen kann.
Für die Rechtsentwicklung in Deutschland ist die Kruzifix-Entscheidung vor allem deshalb bedeutsam, weil das Verfassungsgericht konkretisierende Prinzipien für die Neutralitätspraxis in der Schule formulierte:
Neutralität durch Selbstrestriktion, wonach der Staat im Sinne der o.a. Kriterien nicht selbst eine weltanschauliche Position beziehen darf, wie es sonst ein Bürger als Grundrechtsträger tut,
Neutralität durch Pluralität, wonach der Staat das Nebeneinander der Religionen im Lichte einer toleranten und gegenseitigen Akzeptanz dulden und fördern soll, keine Neutralität durch Sterilität, wonach der Staat nicht völlig teilnahmslos den Weltanschauungen gegenüber steht oder etwa seinen Bediensteten jegliche religiöse Betätigung untersagt. (Dies ist in der späteren Kopftuch-Entscheidung im Ergebnis fortgeführt, jedoch in Details eingeschränkt worden).
Das christliche Kreuz ist kein lediglich kulturelles Symbol und kein überreligiöses Symbol für Humanität oder Barmherzigkeit. Es ist das Symbol einer spezifischen Religion.
Art. 4 GG schützt davor, dass der Bürger in einem staatlich geschaffenen Pflichtraum (Schulpflicht) dem Einfluss eines bestimmten Glaubens ausgesetzt wird, ohne sich diesem entziehen zu können.
Auch für Personen im Sonderrechtsverhältnis wie etwa Schüler gilt das Grundrecht der Religionsfreiheit uneingeschränkt.
Bei Kindern unter 14 Jahren, die sich nicht auf die Religionsfreiheit berufen können (vgl. § 5 RelKErzG), wird durch das „Kreuz in der Schule“ die Freiheit der Eltern verletzt, ihre Kinder im Sinne einer bestimmten Weltanschauung zu erziehen (Art. 6 Abs. 2 GG – Erziehungsfreiheit).
Die Religionsfreiheit der Schüler bzw. das Erziehungsrecht der Eltern untereinander ist zu einem „schonenden Ausgleich“ nach den Grundsätzen praktischer Konkordanz zu bringen.
Da ein solcher „schonender Ausgleich“ in diesem Fall nicht möglich ist und die Religionsanschauung einiger Schüler den anderen Schülern nicht aufgedrängt werden darf, verstoßen Kreuze in Schulen, die keine Bekenntnisschulen sind, grundsätzlich gegen das Grundgesetz.
Der Kruzifix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1995, der am 10. August 1995 veröffentlicht wurde[, blieb bis heute weitgehend ohne praktische Folgen. Nach dem Willen der bayerischen Regierung soll das Kreuz im Klassenzimmer weiterhin der Regelfall bleiben. Nur in speziellen begründeten "atypischen Ausnahmefällen" soll es auf einzelne Klagen hin abgehängt werden. Nachdem § 13 Abs. 1 Satz 3 der Schulordnung für die Volksschulen in Bayern für nichtig erklärt wurde, hat die bayerische Regierung am 23. Dezember 1995 (GVBl. 850) ein neues Gesetz in das Bayerische Erziehungs- und Unterrichtsgesetz Artikel 7 Absatz 3 eingefügt. Satz 1 lautet: "Angesichts der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns wird in jedem Klassenraum ein Kreuz angebracht."
Popularklagen gegen dieses Gesetz hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof am 1. August 1997 zurückgewiesen mit der Begründung, dass kein Verstoß gegen die Bayerische Verfassung vorliege, weil im Gesetz eine Konfliktlösung vorgesehen ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat Verfassungsbeschwerden gegen diese Entscheidung nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass sich für Andersdenkende eine zumutbare und nichtdiskriminierende Ausweichmöglichkeit ergibt, wenn die Anforderungen an die Begründung des Widerspruchs nicht überzogen werden.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat am 2. Januar 2002 entschieden, dass der Freistaat Bayern verpflichtet ist, in den Klassenzimmern, in denen der klagende Lehrer unterrichtet, das Kreuz abzunehmen (3 B 98.563). Das Gericht hat diese Sache als atypischen Einzelfall bewertet.
In einem anderen Fall wies das Verwaltungsgericht Augsburg am 14. August 2008 die Klage eines atheistischen Lehrers ab, der das Abhängen der Kreuze in den Klassenräumen, in denen er unterrichtet, beantragte (Au 2 K 07.347). Das Gericht war nicht überzeugt, dass der Lehrer durch das Kreuz im Klassenraum eine schwerwiegende seelische Belastung erleide, die eine Ausnahme rechtfertige.
Quelle:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kruzifix-Beschluss
Zitat Liborius:
Der Staat soll nicht einfach Religionssymbole verbieten, sondern eine Kleiderordnung für Beschäftigte in den Schulen festlegen. Hier hat sich die Juristin Özkan ebenfalls ungenau ausgedrückt. Meinte sie ein Kopftuchverbot für muslimische Schülerinnen oder nur eines für Lehrerinnen?
Auf die Frage nach den Kruzifixen antwortete Özkan: Wo die Kopftücher keinen Platz haben, haben die Kreuze auch keinen, also Schule in Sachen Religion neutral zu bleiben habe. Das gelte auch für den Gebrauch christlicher Symbole. Damit hat sie sich doch klar ausgedrückt. Von einer Kleiderordnung war keine Rede.
Noch einmal aus dem "höchstrichterlichem" Urteil:
......da die Religionsanschauung einiger Schüler den anderen Schülern nicht aufgedrängt werden darf, verstoßen Kreuze in Schulen, die keine Bekenntnisschulen sind, grundsätzlich gegen das Grundgesetz.