Wieviel Kirche brauchen wir noch?

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Atheisius
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Wieviel Kirche brauchen wir noch?

Ungelesener Beitrag von Atheisius »

Noch vor wenigen Jahrhunderten war das Christentum von einem Sendungsbewusstsein geprägt, das keinen Platz für alternative Denkansätze bot. Es gründet sich auf eine in frühhistorischer Zeit entstandene und seitdem mehrfach modifizierte Ideologie, die für sich Unfehlbarkeit reklamierte. Dies erinnert an den Marxismus-Leninismus, aber auch an nationalistische Strömungen, die rassisch oder kulturell begründete Überlegenheit beanspruchen.

In der Gegenwart mussten die christlichen Konfessionen ihren Absolutheitsanspruch erzwungenermaßen weitgehend aufgegeben. Es waren vor allem wissenschaftliche Fortschritte und zivilisatorische Errungenschaften, welche den Klerus trotz erbitterten Widerstands zur Anpassung zwangen. Von Dogmen musste Abschied genommen werden, Lehrsätze wurden verändert und die Bibel wurde uminterpretiert. Bei jedem Konflikt mit der Realität sank der Einfluss der Kirchen, und gleichzeitig wurde ihre Existenzberechtigung um ein weiteres Stück in Frage gestellt.
„Gott ist die aufs Lächerlichste vermenschlichte Erfindung der ganzen Menschheit. In den Jahrmilliarden, die unsere Erde alt ist, sollte sich Gott erst vor 4.000 Jahren den Juden und vor rund 2.000 Jahren den Christen offenbart haben, mit deutlicher Bevorzugung der weißen Rasse unter Vernachlässigung der Schwarzen, der Gelben und der Rothäute?
Claire Goll (1891 – 1977)
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niels
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Re: Wieviel Kirche brauchen wir noch?

Ungelesener Beitrag von niels »

Nachdem die Kirche zumindest in einigen Bereichen aus dem Staat zurückgedrängt worden ist - durch Aufklärung und Renaissance - gibt die heutige Kirche allen Ernstes vor, selbst die Aufklärung vorangetrieben, ja erst ermöglicht habe.

Das klingt ungefähr so sinnvoll, als wenn ein Hitlerfreund heute behauptete, das die Befreiung Deutschlands durch Alliierte erst durch die Hitkeritis möglich wurde - ja ohne sie nicht möglich gewesen wäre...

Die Aufklärung war zumindest ideologisch eine weitgehende Rückbesinnung auf Werte, die weitaus älter als das Christentum sind - auf Produkte von Kulturen, die lange vor dem Christentum existierten. Zwar mag auch Jesus in seiner "Jugend" dem intellektuellen Einfluß von Gruppen ausgesetzt gewesen sein, die sich mit ebenjenen alten Ideen befasst haben und womöglich auch Teilkonzepte in seine eigene Ideologie übernommen haben - das aber kann nicht darüber hinwegtäuschen, das Jesus selbst eine Diktatur zum Ziel hatte, deren oberster irdischer Machthaber er zu stellen gedachte - mit "Legitimation" seines "Vaters", und damit ungefähr so freiheitsliebend wie Che Guevara, der später als Massenmörder Karriere machte und bis heute als "Freiheitskmäpfer" gefeiert wie verklärt wird.

Die Aufklärung steht ja bis heute noch am Anfang und die Decke über den Tiefen der Diktatur ist dünner, als die meisten wahr haben mögen - auch und gerade den religiös zementierten Diktaturen. Jede der sog. "Weltreligionen" ist erst durch Übergriffigkeit gegen Andere erfolgreich geworden. Ehrliche, transparente Argumente und Wissenschaft kennen keinen Absolutismus. Keine Behauptung ist unbedingt wahr. Demnach hat kein Mensch das Recht, seine Werte über die eines anderen zu stellen - egal für wie "gut" oder "besser" er sie auch hält. Mit einer solchen Erkenntnis lässt sich allerdings kein Machtanspruch gegen Dritte begründen - weshalb es noch einige zeit dauern dürfte, bis sich "das Licht" der Transparenz und Ehrlichkeit durchsetzt - wenn die Art mensch es überhaupt soweit bringt und nicht schon früher von der Evolution vom Spieltisch gefegt wird...
Christel
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Re: Wieviel Kirche brauchen wir noch?

Ungelesener Beitrag von Christel »

Thema: „Wieviel Kirche brauchen wir noch?“

Wieso eigentlich „wir“?

Atheismus und Niels ihr gehört nicht mehr zur Kirche. Weshalb stellt ihr Euch diese Frage?

Schätzt ihr die Kirche? Wollt ihr dass sie erhalten wird? Wollt ihr wieder mittun?
Ok, dann lasst uns darüber reden. Ihr überdenkt also Euren bisherigen Lebensweg und fragt inwieweit Ihr die Kirche noch braucht.
„Jesus Christus, der Auferstandene, das bedeutet, dass Gott aus Liebe und Allmacht dem Tod ein Ende macht und eine neue Schöpfung ins Leben ruft, neues Leben schenkt.“ Dietrich Bonhoeffer (Das Wunder der Osterbotschaft)
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Atheisius
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Re: Wieviel Kirche brauchen wir noch?

Ungelesener Beitrag von Atheisius »

Wieso eigentlich „wir“?
Weil „Wir“, nicht zwei Personen sind, sondern inzwischen rund 39 % (einschließlich ein paar % Muslime, welche ja nicht zur „Kirche“ gerechnet werden) der deutschen Bevölkerung.

Der Gesamtanteil der Christen in der Kirche in Deutschland betrug Ende 2014 nur noch 61 %, davon in den beiden großen Kirchen 57,4 %. Der Trend ist weiter fallend.

Die heute nicht mehr zur Kirche gehörenden haben immer mehr und immer deutlicher erkannt, dass ihr bisheriges Leben ausgerichtet war auf Richtlinien und Gesetze, die auf den Riten einer Hirtenreligion, vermischt mit Märchen und Mythen des vorderen Orients, aufgebaut waren. Der dadurch ausgelöste, unaufhaltsame Verlust ihres bis dahin fest gefügten Glaubensgebäudes, war für einige sicher sehr schmerzhaft. So muss es möglicherweisel auch Menschen gehen, die jahrelang stark drogenabhängig waren und dann unvermittelt auf Entzug gesetzt werden.

Dies ist das Ergebnis der Aufklärung. Natürlich ist die Aufklärung nicht vom Himmel gefallen. Menschenwürde und Freiheit sind nicht die Erfindung der christlichen Kirchen. Dass der christliche Glaube Nährboden der freien Gesellschaft und die Wurzel der Aufklärung ist, behaupten heute ihre Theolügen, aber wir wissen, ihre Kirche hat dies in der Vergangenheit nicht eingelöst.

Nicht die Kirche, sondern die Aufklärung hat den säkularen Staat hervorgebracht. Als friedensstiftende Alternative zur religiösen Gewalt der Konfessionskriege forderte sie die Säkularisierung der Staatsgewalt und die Freiheit der Bürger, frei von staatlichem Zwang und kirchlicher Bevormundung ihre Religion selber wählen zu können.

Glaubensfreiheit und überhaupt die Menschenrechte sind nur gegen den erbitterten Widerstand der Kirche durchgesetzt worden. Noch Papst Pius IX. hat im 19. Jahrhundert Presse- und Meinungsäußerungsfreiheit, Niederlassungsfreiheit und vor allem die Glaubensfreiheit als liberale Zeitirrtümer gegeißelt und verurteilt. Erst vor 50 Jahren, am Zweiten Vatikanischen Konzil, hat sich die römische Kirche zur Glaubens- und Gewissensfreiheit bekennen müssen.

Gerade die katholische Kirche in Deutschland befindet sich in einer Vertrauenskrise. Nicht einmal ein Drittel der Deutschen (30,3 Prozent) halten die katholische Kirche für ehrlich, wie eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Omniquest“ unter 1000 Personen“ ergab.

Die Frage ist also schon berechtigt: „Wieviel Kirche brauchen wir noch?“
„Gott ist die aufs Lächerlichste vermenschlichte Erfindung der ganzen Menschheit. In den Jahrmilliarden, die unsere Erde alt ist, sollte sich Gott erst vor 4.000 Jahren den Juden und vor rund 2.000 Jahren den Christen offenbart haben, mit deutlicher Bevorzugung der weißen Rasse unter Vernachlässigung der Schwarzen, der Gelben und der Rothäute?
Claire Goll (1891 – 1977)
Christel
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Re: Wieviel Kirche brauchen wir noch?

Ungelesener Beitrag von Christel »

Atheisius hat geschrieben:Weil „Wir“, nicht zwei Personen sind, sondern inzwischen rund 39 %
Atheisius hat geschrieben:Der Gesamtanteil der Christen in der Kirche in Deutschland betrug Ende 2014 nur noch 61 %
Kleiner Hinweis – Mengenlehre: 61 % sind deutlich mehr als 39 %.
Wären das Wahlen, hättet ihr verloren und wir würden regieren.

Aber bei meiner Frage ging es nicht um Mengen. Ich fragte, wieso stellt sich jemand, der offensichtlich die Kirche ablehnt, die Frage ob „wir“ noch die Kirche brauchen?

Ehrlich gesagt habe ich das „wir“ als rhetorisches Element eines für die eigene Position werbenden missionarischen Atheismus aufgefasst.

Inzwischen habe ich drüber nachgedacht und prompt fielen mir noch mehr Gründe ein, wieso Menschen außerhalb der Kirche, die Kirche brauchen:

- Manche brauchen sie, um aufzuzeigen wie toll überlegen sie sind. (Gut, zu diesem Zweck kann man sich auch andere Opfer suchen.)

- Wer einfach herausfinden will, was Christentum ist… wie es historisch entstand, der braucht die Kirche. Denn hier ist sowohl die Bibel notwendig, die die Kirche hervorgebracht hat, als andere Zeugnisse und Selbstdefinitionen des Christentums vor allem der Anfangszeit.
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Atheisius
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Re: Wieviel Kirche brauchen wir noch?

Ungelesener Beitrag von Atheisius »

Ich fragte, wieso stellt sich jemand, der offensichtlich die Kirche ablehnt, die Frage ob „wir“ noch die Kirche brauchen?
Ja das ist eine berechtigte Frage, denn in diesem Staat, in welchem eigentlich nach der Verfassung Staat und Religion getrennt sind, ist festzustellen, dass dies nicht der Fall ist. Auch der atheistische Steuerzahler zahlt zum Beispiel noch die Bischofsgehälter mit!

Die Kirchen schlingern hin und her. Einerseits wollen sie sich als eine unter anderen gesellschaftlichen Gruppen in den demokratischen Rechtsstaat einordnen. Wenn es beispielsweise um staatliche Zuschüsse für soziale Einrichtungen geht, vergleichen sie sich mit den übrigen freien Trägern wie der Arbeiterwohlfahrt oder dem Roten Kreuz. Andererseits beanspruchen die Kirchen Sonderrechte. Sie machen Ansprüche auf staatliche Leistungen aus Rechtstiteln geltend, deren Ursprung in Zeiten zu suchen ist, in denen Kirche und Staat noch nahezu eins waren.

Der Staat schlingert genauso. Im Grundgesetz hat er sich von der Kirche abgekoppelt. Aber in der Tagespolitik sind beide weiterhin eng verbunden. Zwar fordert die freiheitliche Demokratie geradezu, Religion als Privatsache zu betrachten und ihre Institutionen vom Staat zu trennen. Doch über Jahrhunderte geprägte Mentalitäten und Gewohnheiten verhindern, dass sich im politischen Raum eine Mehrheit findet, die das auch konsequent durchsetzt.

Besonders gut lässt sich am Beispiel der Staatsleistungen erklären, was die Sache so schwierig macht. Staatsleistungen bedeutet Geld in Millionenhöhe, das die Bundesländer den Kirchen jedes Jahr überweisen und mit dem diese unter anderem einen Teil der Gehälter ihrer Geistlichen bezahlen. Mit Kirchen sind hier die katholischen Bistümer und die evangelischen Landeskirchen gemeint.

Im Zuge der Säkularisierung eigneten sich damals der Staat kirchliches Vermögen an. Im Gegenzug übernahm der Staat die Verantwortung für die finanzielle Sicherheit der Kirchen. Das enteignete kirchliche Vermögen ist aber längst zurückgezahlt. Die Kirche aber kassiert jährlich weiter.
„Gott ist die aufs Lächerlichste vermenschlichte Erfindung der ganzen Menschheit. In den Jahrmilliarden, die unsere Erde alt ist, sollte sich Gott erst vor 4.000 Jahren den Juden und vor rund 2.000 Jahren den Christen offenbart haben, mit deutlicher Bevorzugung der weißen Rasse unter Vernachlässigung der Schwarzen, der Gelben und der Rothäute?
Claire Goll (1891 – 1977)
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