War Jesus Apokalyptiker?

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Christel
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War Jesus Apokalyptiker?

Ungelesener Beitrag von Christel »

Ich hatte im Thema „Rom“ lässt sich nicht kaufen auf die „Ausführungen eines atheistischen Althistorikers, der Jesus als gescheiterten Apokalyptiker betrachtet“ hingewiesen. http://www.freidenker.at/index.php/blog ... ritik.html

Dort schreibt Dr. Ronald Bilik u.a. auch:
Die Tatsache, dass Jesus Apokalyptiker war, ist auch in der Forschung seit 200 Jahren bekannt. Da es sich bei der Theologie um eine konfessionsgebundene Wissenschaft handelt, wird diese Erkenntnis (die nun alles andere als glaubensfördernd ist) nachvollziehbarerweise nicht der Öffentlichkeit mitgeteilt.
http://www.freidenker.at/index.php/blog ... ritik.html
a) Wie kann etwas bekannt sein und gleichzeitig verheimlicht werden? Wurde es verheimlicht?
b) Ist es "Tatsache, dass Jesus Apokalyptiker war“ oder eine Hypothese? Stimmt das überhaupt?

Prof. Klaus Berger widerspricht ihm in seinem Buch Die Urchristen Gebundene Ausgabe, 2008 auf Seite 37 f.:
Bis vor 30 Jahren war es ratsam, bis zum theologischen Examen folgendes Schema zu beherrschen und es dann – einmal gelernt – als Seelsorger weiterzugeben: Jesus habe fest mit dem Ende der Welt zu seinen Lebzeiten gerechnet
Man nannte dieses Schema „Naherwartung“. Das Wort bedeutet: Das Ende der Welt, das Jüngste Gericht, steht nahe bevor. Diese Erwartung sei, wie gesagt, eine Erwartung Jesu zu Lebzeiten gewesen.
Demnach stimmt Ronald Bilik‘s Behauptung der Geheimhaltung nicht, sondern im Gegenteil, dass Jesus Apokalyptiker war, wurde offensiv von der Theologie vertreten. - Außerdem, wem sind Thesen wie „Naherwartung“ und „Parusieverzögerung“ tatsächlich unbekannt?

Es bleibt die Frage: War Jesus tatsächlich ein Apokalyptiker?
„Jesus Christus, der Auferstandene, das bedeutet, dass Gott aus Liebe und Allmacht dem Tod ein Ende macht und eine neue Schöpfung ins Leben ruft, neues Leben schenkt.“ Dietrich Bonhoeffer (Das Wunder der Osterbotschaft)
Christel
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Re: War Jesus Apokalyptiker?

Ungelesener Beitrag von Christel »

„Bis vor 30 Jahren“ schrieb Professor Berger 2008. Was sagt die Forschung heute dazu?

Professor Karl-Heinz Ohlig sieht das so:
Albert Schweitzer hat im Jahre 1906 in seinem Buch "Geschichte der Leben-Jesu-Forschung" eine Forschungsrichtung, die immer neue "Leben Jesu" zu rekonstruieren versuchte, hart kritisiert, weil sie allzu sehr eigene Vorstellungen auf einen Jesus projiziere, der ganz anders war und der auch historisch nicht mehr hinreichend zugänglich sei. Selbst beging er aber den gleichen Fehler, indem er Jesus als einen Apokalyptiker zeichnete, der gänzlich von der Vorstellung der Naherwartung beherrscht gewesen sei.[2] http://www.dober.de/jesus/ohlig.html
Professor Gerd Theißen und die Professorin Annette Merz unterscheiden fünf Phasen der Leben-Jesu-Forschung.
Albert Schweizer ordnen sie in die dritte Phase ein „Die Krise der Leben-Jesu-Forschung“.
Siehe Seite 25 „Der historische Jesus: Ein Lehrbuch
Auf der Seite 314 wird Albert Schweitzer unter „1.2. Jesu Ethik als eschatologische Ethik: Der erste Schritt zur Historisierung der Ethik Jesu“ genannt.
Unter „1.3 Jesu Ethik als Gesetzesauslegung: Der zweite Schritt zur Historisierung der Ethik Jesu“ wird der Einwand gegen die konsequent eschatologischen Deutung der Ethik Jesu genannt.

Dass Professor Berger die Thesen Albert Einsteins nicht teilt, muss ich nicht erwähnen, oder?

Professor Ronald Bilik stellte bezüglich der Thesen von Hermann Detering fest:
Die Grundannahmen der Radikalkritik sind aber derartig unwahrscheinlich, dass ihr Platz nicht in der Forschung sein sollte, sondern vielmehr in der Wissenschaftsgeschichte. http://www.freidenker.at/index.php/blog ... ritik.html
Es sieht ganz aus als träfe dies ebenfalls auf seine These zu, Jesus sei ein Apokalyptiker gewesen, oder?
Auf jeden Fall haben solche Thesen ihren Platz in der Wissenschaftsgeschichte.
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Christel
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Re: War Jesus Apokalyptiker?

Ungelesener Beitrag von Christel »

Es ist noch nicht lange her (2013), da verkündete der Religionswissenschaftler Reza Aslan, natürlich wissenschaftlich fundiert und gemäß historisch-kritischer Bibelforschung, Jesus sei ein Zelot gewesen: Zelot: Jesus von Nazaret und seine Zeit. Siehe dazu auch: http://www.christ-in-der-gegenwart.de/a ... ag=4060032

So werden die Christen seit Jahrzenten mit widersprüchlichen Jesusbildern traktiert. Mal wird behauptet, Jesus habe gar nicht existiert, er sei eine Erfindung des 2. Jahrhunderts, dann hat er doch existiert und war Apokalyptiker, ein andermal Zelot, dann wieder gewinnt man den Eindruck, er war ein früher Psychotherapeut…
Dies wäre einigermaßen erträglich, würde es nicht jeweils mit dem Anspruch einer unumstößlichen Wahrheit, der Wissenschaftlichkeit oder wie es Ronald Bilik unterstellt, die Forschung weiß es, Euch wurde es vorenthalten, wir die Forscher, die Aufklärer – ihr die dummen betrogenen Töpel, präsentiert.

Es stimmt schon, wer viel über die antike Kultur, Sprache und das Judentum zurzeit Jesu weiß, sieht mehr. Doch wäre nicht gerade angesichts dieser widersprüchlichen Jesusbilder mehr Bescheidenheit angebracht?

Zudem, was die Person Jesu betrifft, liegen auch den Forschern keine anderen Zeugnisse vor, als das der ersten Christen. Maßgelblich sind dabei vor allem die Schriften des Neuen Testaments.

Wer regelmäßig die Hl. Messe besucht ist gewissenmaßen mit Jesus unterwegs.

In den synoptischen Evangelien fragt Jesus, diejenigen, die ihn begleiten:
„Für wen halten mich die Leute?“
Die Antwort: Die einen sagen so, die anderen sagen so.

„Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ (Lukas 9,18-20)
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Christel
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Re: War Jesus Apokalyptiker?

Ungelesener Beitrag von Christel »

Ich sehe zwei Wege, um die Frage zu beantworten, indem man
a) auf die Person insbesondere auf die „Selbstdarstellung“ Jesu achtet und
b) auf seine Verkündigung.

Zu a)
Laut Matthäus, Markus und Lukas reagiert Jesus auf die Aussage „Du bist der Messias“ positiv.
Was bedeutet das?

>>Aus der Rubrik "Frag' den Rabbi":
Der Messias – seine Kennzeichen
<<

Ich zitierte daraus.

Zeit des ersten judäischen Reiches:
Die Frage nach einem Messias konnte gar nicht aufkommen. Es gab zu der Zeit einen Messias, und zwar war es der jeweils herrschende gesalbte König aus dem Geschlecht David. Das Wort Messias ist das hebräische Wort Maschiach, nur anders ausgesprochen, und es bedeutet „der Gesalbte“.
- Die Sehnsucht nach einem Erretter, nach einem König, der das Volk aus der Bedrängnis herausführt, kam immer dann auf, wenn die Unterdrückung durch fremde Mächte besonders schwer lastete. Diese Sehnsucht korrespondierte oft mit den Vorstellungen von der Endzeit.
- Maimonides war der einzige Gelehrte, der sich ausführlicher mit den Erkennungsmerkmalen des Messias befasst hat. Auch hier wieder das Wichtigste zusammengefasst:
1. Der Messias König wird das Reich Davids wieder errichten. Er wird den Heiligen Tempel aufbauen und die Zerstreuten Israels zurückholen. Das Gesetz und der Gottesdienst werden sein wie ehedem.
Ausführlich unter: http://www.hagalil.com/judentum/rabbi/090318.htm
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Christel
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Re: War Jesus Apokalyptiker?

Ungelesener Beitrag von Christel »

Auch wenn, wie der Rabbiner schreibt, die jüdischen Erwartungen des Messias mit Vorstellungen von der Endzeit korrespondieren, so sind diese Vorstellungen doch sehr diesseitig. Der Messias war „der jeweils herrschende gesalbte König aus dem Geschlecht David.“ http://www.hagalil.com/judentum/rabbi/090318.htm

Jesus lebte in einer Zeit in der das jüdische Königreich Vergangenheit war. Israel war in die römischen Provinzen Judäa, Samaria und Galiläa aufgeteilt. Viele erwarteten vom Messias die Rückkehr in die alte glanzvolle Zeit des Königtums.
Jesus predigte vom Reich. Treffend zu dem Gesagten wurde ihm die Frage gestellt: „Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her?“ Apg 1,6
Jesus wurde dementsprechend als „König der Juden“ gekreuzigt. Für seine Jünger war Jesus der Christus, also der Gesalbte. Zuerst wurde dieser Titel von Außenstehenden auf die Jünger Jesu übertragen, später nannten sie sich selbst Christen. Noch heute gehört zur Taufe die Salbung zum Priester, König und Propheten.

Die Vorstellung „der jeweils herrschende gesalbte König“ ist der Messias übersieht allerdings, dass die „jeweils herrschenden gesalbten Könige“ nie die Heilserwartungen an sie völlig erfüllen konnten. Es übersieht die Anklage gegen die herrschenden Zustände, nicht zuletzt gegen die Herrschenden und den „jeweils herrschenden gesalbten König“ selbst durch die Propheten im Namen Gottes.

Die Vorstellung übersieht außerdem, die Deutung des Königtums als Abfall von Gott. Dazu ein Blick in die Heilige Schrift der Juden, in eine Zeit, die vor Königzeit Israels liegt, als es in Israel lediglich Richter gab.
Erstes Buch Samuel 8,4-20:
Deshalb versammelten sich alle Ältesten Israels und gingen zu Samuel nach Rama. Sie sagten zu ihm: Du bist nun alt und deine Söhne gehen nicht auf deinen Wegen. Darum setze jetzt einen König bei uns ein, der uns regieren soll, wie es bei allen Völkern der Fall ist.
Aber Samuel missfiel es, dass sie sagten: Gib uns einen König, der uns regieren soll. Samuel betete deshalb zum Herrn, und der Herr sagte zu Samuel: Hör auf die Stimme des Volkes in allem, was sie zu dir sagen.

Denn nicht dich haben sie verworfen, sondern mich haben sie verworfen: Ich soll nicht mehr ihr König sein.

Das entspricht ganz ihren Taten, die sie (immer wieder) getan haben, seitdem ich sie aus Ägypten heraufgeführt habe, bis zum heutigen Tag; sie haben mich verlassen und anderen Göttern gedient. So machen sie es nun auch mit dir.
Doch hör jetzt auf ihre Stimme, warne sie aber eindringlich und mach ihnen bekannt, welche Rechte der König hat, der über sie herrschen wird. Samuel teilte dem Volk, das einen König von ihm verlangte, alle Worte des Herrn mit.

Er sagte: Das werden die Rechte des Königs sein, der über euch herrschen wird:
Er wird eure Söhne holen und sie für sich bei seinen Wagen und seinen Pferden verwenden und sie werden vor seinem Wagen herlaufen. Er wird sie zu Obersten über (Abteilungen von) Tausend und zu Führern über (Abteilungen von) Fünfzig machen. Sie müssen sein Ackerland pflügen und seine Ernte einbringen. Sie müssen seine Kriegsgeräte und die Ausrüstung seiner Streitwagen anfertigen. Eure Töchter wird er holen, damit sie ihm Salben zubereiten und kochen und backen. Eure besten Felder, Weinberge und Ölbäume wird er euch wegnehmen und seinen Beamten geben. Von euren Äckern und euren Weinbergen wird er den Zehnten erheben und ihn seinen Höflingen und Beamten geben. Eure Knechte und Mägde, eure besten jungen Leute und eure Esel wird er holen und für sich arbeiten lassen. Von euren Schafherden wird er den Zehnten erheben. Ihr selber werdet seine Sklaven sein.

An jenem Tag werdet ihr wegen des Königs, den ihr euch erwählt habt, um Hilfe schreien, aber der Herr wird euch an jenem Tag nicht antworten.

Doch das Volk wollte nicht auf Samuel hören, sondern sagte: Nein, ein König soll über uns herrschen. Auch wir wollen wie alle anderen Völker sein. Unser König soll uns Recht sprechen, er soll vor uns herziehen und soll unsere Kriege führen.
Gott spricht hier: „mich haben sie verworfen: Ich soll nicht mehr ihr König sein." 1. Sam 8,7

Jesus verkündete nicht das Reich eines Königs, wie ihn damals auch andere Völker hatten, sondern das hier im Buch Samuel genannte Ideal: Gott selbst ist König über Israel.

Jesus verkündet die Königsherrschaft Gottes. Daher kann Jesus sagen: „20 Wenn ich aber die Dämonen durch den Finger Gottes austreibe, dann ist doch das Reich Gottes schon zu euch gekommen.“ Lk 11,20

Das Reich Gottes ist da! Überall, wo Gottes Wille geschieht ist das Reich Gottes, ist die Königsherrschaft Gottes, die Gottesherrschaft!
„Jesus Christus, der Auferstandene, das bedeutet, dass Gott aus Liebe und Allmacht dem Tod ein Ende macht und eine neue Schöpfung ins Leben ruft, neues Leben schenkt.“ Dietrich Bonhoeffer (Das Wunder der Osterbotschaft)
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Re: War Jesus Apokalyptiker?

Ungelesener Beitrag von Christel »

Wie gesagt, vom Judentum her gedacht, ist der Messias und die „Rede vom Reich Gottes, das heißt der „Gottesherrschaft“ nicht gleichbedeutend mit dem Weltende, sondern vielmehr eine diesseitige Größe.
Auch Jesus verknüpfte seine Rede vom Reich Gottes mit Gottes Wirken in der Welt: „Das Reich Gottes ist da.“

Erstaunt bin ich über die Gleichsetzung von Jesu Botschaft vom Reich Gottes und der Naherwartung der „Urchristen“, wie es KLAUS Berger formuliert:
viewtopic.php?f=10&t=4393&sid=915eca6fb ... fca#p15457

Denn zeitgleich ist das theologische Denken geprägt durch den sogenannten „Ostergraben“, der einen Unterschied setzt zwischen dem historischen Jesus und der nachösterlichen Verkündigung seiner Jünger.
Vergleiche: https://de.wikipedia.org/wiki/Historisc ... Ergebnisse
https://www.uni-due.de/~gev020/courses/ ... esus16.htm

Geht man davon aus, dass Jesus ein normaler Mensch war, dann wird der predigend durchs Land ziehende Lehrer Jesus, den Menschen kaum seine eigene bald nahende Wiederkunft gepredigt haben.

Die „Urchristen“ erwarteten ja nicht einfach das Weltende, sondern die Wiederkunft Christi. Offenbarung des Johannes 22,20: „Er, der dies bezeugt, spricht: Ja, ich komme bald. - Amen. Komm, Herr Jesus!“
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