Bevor ich etwas werte, glaube oder nicht glaube, versuche ich es zu verstehen.
Erst wenn ich etwas verstanden habe, kann ich urteilen. Verstehe ich es nicht, dann lasse ich es stehen, für später, irgendwann, wenn ich es vielleicht besser verstehe.
Denn nicht was ich in den Texten sehe, was ich womöglich nur in die Texte hineininterpretiere ist wichtig, sondern das, was die Verfasser einer Schrift und die Redakteure eines Gesamtwerkes aussagen wollten.
Weder die Verfasser des 2. Schöpfungstextes in der Königszeit Israels ca. 1000-931 vor Christus, noch die Verfasser des 1. Schöpfungstextes ungefähr 586-538 vor Christus während des babylonische Exils, ja noch nicht mal die späteren Redakteure, die die Schriften aneinanderfügten, konnten ahnen, dass sie an der Bibel schrieben, konnten uns als spätere Leser im Blick haben.
Sie schrieben für ihr Volk, an der Urgeschichte, an dem, was immer gilt.
So wurde während der Königzeit Israels das Verhältnis zwischen Mann und Frau, zwischen Mensch und Natur, zwischen Mensch und Gott bedacht, und den Menschen vor Augen gestellt, wie es von Gott eigentlich gedacht war. Das gab dem Leben Richtung und Orientierung.
Mit dem Verlust des Landes, des Tempels, der Verschleppung ins babylonische Exil sowie in Auseinandersetzung mit der fremden Kultur stellten sich viele Fragen neu und anders, etwa so: Wer ist Gott? Wer sind wir? Was gibt unserem Leben in diesem Chaos Halt, Orientierung und Sinn?
Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde;
die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser.
So hebt der Schöpfungshymnus Genesis 1-2,4a an. Aus Chaos wird Kosmos, aus Wirrsal und Finsternis werden Licht und Ordnung. Die ewige Schöpfungsordnung, 7 Tage, gibt dem Leben der Menschen den Rhythmus vor, ist Kompass für das eigene Leben.
Redakteure fügten die beiden Schöpfungstexte später in ein Gesamtwerk ein. Wir nennen dies die 5 Bücher Mose oder Pentateuch. Die Juden nennen es die
Tora.
Martin Buber und Franz Rosenzweig nennen sie in ihrer Übersetzung
„Die fünf Bücher der Weisung“.
Wenn wir die beiden Schöpfungstexte in unserer Bibel lesen, dann lesen wir die Tora, die Weisung.