Unsere Vorfahren und auch die meisten noch heute lebenden älteren Eichsfelder waren und sind Papst- und Kirchengläubig. Katholiken sind Traditionalisten. Für die Traditionalisten stehen im Vordergrund die Liturgie, Rituale, Lehren und Glaubenspraxis der eigenen Kirche. Traditionalisten dominieren und prägen die katholische Kirche.
Der Glaube der Traditionalisten (Katholiken) richtet sich in emotionaler Weise an dem aus, was die eigentliche Kirche lehrt. Im Gegensatz zu Evangelikalen und Liberalen, für die Konfessionen nur geringe Bedeutung haben (jedenfalls darin sind sie sich einig), haben Traditionalisten zu Ihrer Heiligen Katholischen Kirche und deren Traditionen ein sehr enges Verhältnis. Das Verhältnis der Traditionalisten zur Bibel ist hingegen eher ein abstraktes: Die Bibel wird zwar nicht offen kritisiert und angegriffen wie von Seiten der Liberalen (ev. Landeskirchen), aber sie wird auch nicht geliebt. Sie wird zwar meist mehr oder weniger als Gottes Wort angesehen – allerdings ist sie in der Regel kaum bekannt, da man sich sozusagen auf ihre rechtgläubige Vermittlung durch die Kirche verlässt. (Apostolisches Glaubensbekenntnis: "Ich glaube an die heilige katholische Kirche").
Ein traditionell orientierter Christ geht praktisch ungeprüft davon aus, dass die Tradition und Lehre der Kirche, in die er hineingeboren wurde, „richtig" ist, ohne dass er dies anhand der Bibel genau begründen könnte oder auch nur eine Notwendigkeit zu einer solchen Begründung sähe.
Dass die Praxis der eigenen Kirche der Bibel entspricht, wird entweder ungeprüft angenommen oder aber die Aussagen der Kirche werden von vornherein als wichtiger angesehen. Konfrontiert mit Bibelstellen, die der eigenen kirchlichen Tradition widersprechen, sind Traditionalisten geneigt, wie ein Liberaler auszuwählen und widersprechende Stellen zu ignorieren.
Traditionelle Glaubensausrichtung wird oft wenig in Worte gefasst, sondern von den Betreffenden mehr oder weniger als selbstverständlich angesehen. Traditionalisten sind oft eifrige Kirchgänger, die ihren Glauben subjektiv als tiefgehend empfinden. Es sind aber nicht unmittelbar die biblischen Inhalte, die diesen Glauben prägen, sondern es sind die Lehren der Kirche, die ggf. der Bibel mehr oder weniger entsprechen. Im Mittelpunkt steht für Traditionalisten nicht die Bibel, nicht Jesus, sondern die Kirche.
Die Katholiken des Eichsfeldes sind besonders ausgeprägte Traditionalisten. Im 21. Jahrhundert sind sie auf der einen Seite aufgeklärte Bürger, auf der anderen Seite können und wollen sie aber auch von ihren Traditionen nicht lassen.
Sie brauchen die Kirche als eine Art Rückversicherung für den zwar unwahrscheinlichen, aber eventuell doch möglichen Fall, dass es da draußen in den unendlichen Weiten des Weltalls irgendwo doch noch einen strafenden und zürnenden Gott gibt.
In der DDR war die Demonstration einer Zugehörigkeit zur Kirche eine verständliche Trotzreaktion auf den sozialistischen Polizeistaat, den keiner mochte. Die Wallfahrten hatten starken Zulauf. Heute sind diese Zahlen zwar weniger geworden, aber die Beteiligung an diesen Demonstrationen einer unverbrüchlichen Zugehörigkeit zur Kirche ist immer noch groß genug, denn viele können nicht zugeben, dass sie in ihrem bisherigen Leben einem Hirngespinst angehangen haben, und vielleicht gibt es doch so etwas wie einen Ort der ewigen Verdammnis mit unendlichen Feuerqualen.
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Gottesdienst im Wirtshaus
Rudolf August Biermann, Gutsbesitzer aus Worbis, beschreibt die Teilnahme solcher Traditionalisten am sonntäglichen "Pflichtgottesdienst" schon im Jahr 1850 folgendermaßen:
„Der Stadtkirche von Worbis, ad Sanctum Nicolaum, gegenüber lag an der langen Straße ein schmales ärmliches Haus, das ich als Knabe aber stets achtungsvoll betrachtete, weil es, wie man sagte, das einzige im Landkreis sei, das drei Stockwerke aufwies.
In jedem Stockwerk gab es nur eine größere Stube mit Fenstern der Langen Straße zu und einen kleineren Raum, von dem man aus in den unsauberen Hinterhof blickte. Dort stand ein dürftiger Schuppen, dessen Außenwand an die Hintergasse grenzte. In den beiden unteren Räumen dieses Hauses betrieb Joseph Wand Fleischerei und Schankwirtschaft.
Außer einigen nicht verwöhnten Worbiser Stammtischgängern waren hauptsächlich heimische und fahrende Handwerksgesellen seine Gäste.
Allsonntäglich versammelte sich morgens in Wands Schankstube eine ganz besondere Frühschoppen-Gemeinde.
Sie bestand aus solchen Gliedern der katholischen Kirche, die zwar ungern die Messe besuchten, ihrem Glauben und seinen Pflichten sicherheitshalber aber auch nicht völlig abschwören mochten. So verbanden sie hier auf kluge Weise vergnügliches Beisammensein und Gottesdienst. Sommers fiel das besonders leicht.
Die Fenster der kleinen Wirtschaft standen weit offen, die Portale von St. Nikolaus jenseits der Straße ebenfalls. Man lauschte also am bretternen Schankstubentisch dem auf- und abschwellenden Orgelklang samt all den zur Messe gehörenden Gesängen, schätzte besonders den herrlichen, weithinschallenden Tenor des Dechanten Huschenbett.
Ließen die Ministranten die Wandlungsglöckchen erklingen, entblößten Wands fromme Zecher, während es ringsum feierlich still wurde, ihre Häupter, legten Spielkarten und Tabakspfeifen beiseite, rührten auch die Biergläser nicht an, bewegten hingegen die Lippen in unhörbarem Gebet. Anschließend führte man dann leichten Herzens die unterbrochenen Gespräche fort. So riet zum Beispiel ein Handwerksbursche dem anderen, sich beim Barbier nebenan den schmerzenden Zahn hinausbefördern zu lassen, denn so erklärte er, ihr Meister habe sie ja auch ohne jedes Mitleid fortgeschickt als er keine Arbeit mehr für sie hatte. "und", schloss der Ratgeber einleuchtend, "Du hast doch auch nicht für alle Deine Zähne Arbeit".
Diese Art gottesfürchtiger Eichsfelder hat sich in der heutigen Zeit stark vermehrt. Nur gehen sie heute nicht mehr zur Zeit des Gottesdienstes in die Kneipe neben der Kirche, dazu sind sie zu sparsam, denn die Getränke zum Gaststättenpreis sind nach 1990 nicht mehr bezahlbar, sondern sie bleiben zu Hause und schalten die Übertragung des Gottesdienstes im Fernsehen ein.
Da kann man sich gemütlich bei einer Flasche Bier aus dem Getränkemarkt davorsetzen oder nebenbei auch andere nützlichere Tätigkeiten vollbringen. Manche von diesen gehen noch Weihnachten oder Ostern in die Kirche, aber auch diese werden immer weniger. Trotzdem kommen sie nicht auf den Gedanken aus der Kirche auszutreten. Sie bezahlen Kirchensteuern und Kirchgeld weiter bis zum Schluss ihres Lebens, denn der Pfarrer hat ja noch die eine ganz entscheidende Aufgabe für sie zu erledigen: er muss sie mit einem christlichen, standesgemäßen Begräbnis unter die Erde bringen. Wie sollten sie auch sonst unter die Erde kommen? Alles andere ist unvorstellbar.
Pfarrer Hermann Iseke, Eichsfelder Heimatdichter, würde heute nicht mehr auf die Idee kommen die vierte Strophe seiner "Eichsfeld-Hymne" von 1902 wie folgt zu dichten:
Leben aus dem Glauben?Dem Herd, an dem in frommer Zucht die treue Gattin waltet
und Kindern, gleich des Ölbaums Frucht, die Hände betend faltet;
dem Haus, wo noch der Herrgott gilt und nicht nur, was den Magen stillt
wo felsenfester Glaube die Blicke hebt vom Staube.
Karlheinz DeschnerDer Glaube lebt vom Gläubigen
- nicht umgekehrt -
wie gern der Gläubige dies auch glaubt.
Dafür sorgen die wenigen,
die tatsächlich vom Glauben leben,
wenn auch von dem der Anderen
mehr als vom eigenen,
was der Gläubige aber nicht glaubt.