Der geteilte Jesus

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Christel
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Der geteilte Jesus

Ungelesener Beitrag von Christel »

Atheisius hat geschrieben: Montag 22. November 2021, 16:53 Sowohl die Evangelien als auch die Apostelgeschichte sind in meinen Augen und auch in den Forschungsergebnissen der Neutestamentler zum Größtenteil unglaubwürdig, man sollte sich nicht darauf berufen.
Atheisius hat geschrieben: Montag 22. November 2021, 16:46 Heinz-Werner Kubitza: „Der Jesuswahn – Wie die Christen sich ihren Gott erschufen. Die Entzauberung einer Weltreligion durch die wissenschaftliche Forschung.“
Denn die wissenschaftliche Forschung hat längst erkannt, dass Jesus ein ganz anderer war und mit dem Jesus der Kirchen fast nichts gemein hat.
Merz: „Ich sage auch hier: Das können wir wirklich nicht wissen.“

Wirklich gesichertes historisches Wissen gibt es also kaum über ihn – über den vielleicht einflussreichsten Menschen der Geschichte, Jeschu ben Josef – Jesus von Nazareth.
https://www.deutschlandfunk.de/jesus-ei ... s-100.html
Will man wissen, woher das kommt, dann landet man bei einer Erfindung, genauer
bei der Betrugshypothese/ Verschwörungstheorie von:
Hermann Samuel Reimarus (* 22. Dezember 1694 in Hamburg; † 1. März 1768 ebenda) war Gymnasialprofessor für orientalische Sprachen in Hamburg, Vertreter des Deismus und Wegbereiter der Bibelkritik in der Frühzeit der Aufklärung. https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Samuel_Reimarus
Reimarus behauptete die Jünger hätten, die Leiche Jesu gestohlen und nach 50 Tagen, als die Leiche nicht mehr identifizierbar war, seine Auferstehung und baldige Wiederkunft verkündet.

Hat man erst einmal das Neue Testament für unglaubwürdig erklärt, dann ist man frei zu spekulieren, wer Jesus wirklich war. So konnte Jesus sogar vom Juden zum Arier gewandelt werden.

Atheisius glaubt nicht an einen Betrug durch die Apostel, sondern durch Paulus.

Spekulationen, Betrugshypothesen und Verschwörungstheorien haben mit Wissenschaft gar nichts zu tun. Das sollte man jedenfalls meinen. Doch so einfach ist das nicht.

Zwar wurde die Betrugshypothese/ Verschwörungstheorie von Reimarus verworfen, doch hielt man an der „methodischen Trennung“ zwischen dem „historischen Jesus“ und dem „Christusglauben der Apostel“ fest (Vergleiche Theißen/März „Der historische Jesus“, 2011, Seite 22f.).

Zudem gilt Reimarus als „Wegbereiter der Bibelkritik“ , daraus entwickelte sich die historisch-kritische Methode. Diese wird auch in der katholischen Theologie angewandt.

Wie gesagt, Betrugshypothesen/Verschwörungstheorien sind nicht wissenschaftlich, plausibler ist der „Ostergraben“:
Es heißt „liberale protestantische Theologie“, es wurde 1899/1900 durch Adolf von Harnack, 1906 von Albert Schweitzer und 1921 von Rudolf Bultmann errichtet und sein Fundament lautet: Man muss unterscheiden zwischen dem, was eine endzeitlich gestimmte, radikale kleine Jesus-Truppe zu Lebzeiten ihres Meisters dachte und hoffte und dem, was sie als Massenbewegung nach seiner Auferstehung glaubte und tat. Man muss unterscheiden zwischen dem, was dem vor-österlichen Judentum-Reformer Jesus als „Reich Gottes“ vorschwebte und dem, was der nach-österliche Christentum-Missionar Paulus unter „Gemeinde“ verstand.
https://www.deutschlandfunkkultur.de/vo ... n-100.html
In der Theologie wird heute diskutiert wie tief dieser "Graben" ist, manche bestreiten ihn auch ganz.

All das ändert nichts daran, dass Jesus heute geteilt ist. Man unterscheidet:
Jesus von Nazaret, den historischen Jesus und Jesus Christus, den geglaubten Jesus.

Wenn nun geklagt wird, dass man über Jesus wenig wissen kann. Dann heißt das nur so viel, dass man es mittels der historisch-kritischen Methode nicht beweisen kann.

Und wenn man meint, die Evangelien seien nicht glaubwürdig, dann ist das nicht das Ergebnis wissenschaftlicher Forschung, sondern das Ergebnis geglaubter Verschwörungstheorien (Atheisisus) oder das Ergebnis spekulativer Thesen, die den Theologiestudenten gleich zu Beginn des Studiums offeriert werden, wie den „Ostergraben“.

Es wird halt überall nur mit Wasser gekocht.
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Re: Der geteilte Jesus

Ungelesener Beitrag von Atheisius »

Atheisius glaubt nicht an einen Betrug durch die Apostel, sondern durch Paulus.
Wieso nur Paulus?
Es wird halt überall nur mit Wasser gekocht.
Da pass mal auf, dass das Wasser nicht überkocht.
„Gott ist die aufs Lächerlichste vermenschlichte Erfindung der ganzen Menschheit. In den Jahrmilliarden, die unsere Erde alt ist, sollte sich Gott erst vor 4.000 Jahren den Juden und vor rund 2.000 Jahren den Christen offenbart haben, mit deutlicher Bevorzugung der weißen Rasse unter Vernachlässigung der Schwarzen, der Gelben und der Rothäute?
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Re: Der geteilte Jesus

Ungelesener Beitrag von Christel »

Ich schrieb:
Christel hat geschrieben: Dienstag 23. November 2021, 13:12 plausibler ist der „Ostergraben“:
Ja man kann sich gut vorstellen, dass die Jünger, Jesus nach seiner Auferstehung und der Erfahrung seiner Erscheinungen anders sahen und beurteilten als zuvor.
Doch das ist ausschließlich eine Aussage über die Jünger, nicht über Jesus!

Es ist kein Begründung dafür, dass der historische Jesus anders gewesen sein soll als der Jesus der Evangelien.
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Re: Der geteilte Jesus

Ungelesener Beitrag von Christel »

Wie auch immer, sobald man begonnen hat zwischen dem historischen Jesus und dem Jesus der Evangelien zu unterscheiden, steht die Frage: Wie war der historische Jesus? Was hat er wirklich gesagt?

Man braucht nun „Differenzkriterien“ um zwischen beiden zu unterscheiden.

Wie machte das Reimarus?

Als Deist ging es ihm darum hinter den Evangelien die reine unverfälschte Religion des Ursprungs, die Vernunftreligion wiederzufinden.
Worte Jesu, die von Worten damaliger Menschen unterschieden werden können, sind, so die These, ursprünglich.
Auch diese Forscher konnten sich trotz methodischen Arbeitens kaum von ihrer philosophischen Tradition lösen: Jesus wird auf diese Weise nicht nur von Juden, sondern von der Menschheit insgesamt getrennt. Der Gedanke des Genius Jesu bzw. des einsamen Heros, der sich von allen unterscheidet, spielt an dieser Stelle herein. Die Ergebnisse dieser Forschung wurden in späterer Zeit zur rassischen Einordnung Jesu herangezogen. Mit diesem forschungsgeschichtlichen Hintergrund wird das „gereinigte“ Markusevangelium als arisches, Jesus nahes Urevangelium angesehen.
Meine Erkenntnisse und Zitate entnahm ich „Wie Jesus zum Arier wurde“ von Wolfgang Fenske, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2005 Seite 143 „Exkurs VII: Differenzkriterium und Markuspriorität“

Man sieht, das Ergebnis dieser Forschung hat nichts mit dem historischen Jesus zu tun, dafür sehr viel mit den Forschern selbst.
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Re: Der geteilte Jesus

Ungelesener Beitrag von Atheisius »

Christel schrieb:
All das ändert nichts daran, dass Jesus heute geteilt ist. Man unterscheidet:
Jesus von Nazaret, den historischen Jesus und Jesus Christus, den geglaubten Jesus.
Das ist doch genau das, was ich auch schon immer sagte. Es gibt den historischen Menschen und Juden Jesus, Sohn des Josephs und seiner nicht-jungfräulichen Mutter Maria und den erfundenen Jesus Christus der Evangelien.
Der Jude Jesus sah sich selbst nicht als Gottessohn. Er wollte einfach nur Jude bleiben und keine Kirche gründen. Viel interessanter ist doch hier, wer hat aus ihm nach seinem Tod den Christus gemacht, den Gottessohn und den Wunderheiler? Wer erfand das Märchen von der Auferstehung? Den Unsinn von der Heiligen Dreifaltigkeit usw. und sofort? Da kommen wir doch wieder zu Paulus und seinen Evangelienschreibern zurück.
„Gott ist die aufs Lächerlichste vermenschlichte Erfindung der ganzen Menschheit. In den Jahrmilliarden, die unsere Erde alt ist, sollte sich Gott erst vor 4.000 Jahren den Juden und vor rund 2.000 Jahren den Christen offenbart haben, mit deutlicher Bevorzugung der weißen Rasse unter Vernachlässigung der Schwarzen, der Gelben und der Rothäute?
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Re: Der geteilte Jesus

Ungelesener Beitrag von Christel »

Ich schätze historische Forschung. Was die Bibel betrifft, besonders die Einleitungswissenschaft. Kennt man den historischen Hintergrund, dann kann man die Texte besser verstehen.

Was biblische Figuren wie Jesus, Paulus… betrifft, da interessiert mich, was lässt sich historisch feststellen. Also was kann man tatsächlich wissen?
Atheisius auf das was man historisch wissen kann, darauf können wir uns einigen. Voraussetzung ist jedoch, dass dabei wirklich alle glaubens-, weltanschaulichen, auch „philosophischen Tradition“ ausgeblendet werden.

Was können wir aufgrund historischer Forschung wissen?
Atheisius hat geschrieben: Dienstag 30. November 2021, 18:52 Es gibt den historischen Menschen und Juden Jesus, Sohn des Josephs
Atheisius hat geschrieben: Dienstag 30. November 2021, 18:52Der Jude Jesus
Damit endet das, was Du historisch festgestellt hast.
Alles andere geht darüber hinaus, ist eine fragwürdige weltanschauliche Deutung.
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Re: Der geteilte Jesus

Ungelesener Beitrag von Atheisius »

Christel schrieb:
Damit endet das, was Du historisch festgestellt hast.
Nein. Ich habe da einiges mehr festgestellt, was historisch das Leben des Menschen Jesus betrifft. Richtiger gesagt, das haben Theologen (unter Anderen auch für mich) festgestellt, welche das Leben Jesus erforschen. Vielen Forschungsergebnissen kann ich mich, auch als "Ungläubiger" an einen Christus durchaus anschließen.

Ich habe hier im Forum das Buch von Rudolf Augstein „Jesus Menschensohn“ einmal vorgestellt. Zu diesem Buch gibt es eine interessante Diskussion zwischen Andreas Lindemann und dem „Spiegel“, welche ich hier ungekürzt wiedergebe. Auch dem ev. Professor Lindemann stimme ich in vielen Einzelheiten zu, aber eben auch nicht in allen, z. Bsp., dass er an seinem Glauben an den erfundenen Christus unerschütterlich festhält.


Ist Jesus dem Glauben im Weg?

Der evangelische Neutestamentler Andreas Lindemann über die Widersprüche zwischen Jesus-Forschung und kirchlichen Lehren

SPIEGEL: Herr Professor Lindemann, Rudolf Augstein hat sein Buch "Jesus Menschensohn" jetzt neu bearbeitet und darin folgenden Kernsatz formuliert*:

"Nicht, was ein Mensch namens Jesus gedacht, gewollt, getan hat, sondern was nach seinem Tode mit ihm gedacht, gewollt, getan worden ist, hat die christliche Religion und mit ihr die Geschichte des so genannten christlichen Abendlandes bestimmt."

Stimmen Sie dem zu?

Lindemann: Ich würde es nicht so apodiktisch formulieren, aber im Prinzip kann ich diesem Satz zustimmen, wenn auch nicht den Konsequenzen, die Augstein in seinem Buch daraus zieht.

SPIEGEL: Augstein wirft Ihnen, Herr Lindemann, Schizophrenie vor. Als kritischer Exeget stellen Sie in Ihren Büchern und Aufsätzen Widersprüche zwischen dem Menschen Jesus und dem Christentum fest; als Theologe erklären Sie, es sei "letztlich ohne Bedeutung", ob sich das Christentum "in Anknüpfung oder im Widerspruch zu Jesus" entwickelte.

Lindemann: Aus Augsteins Sicht mag das schizophren scheinen, ich sehe es nicht so. Wir Christen glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Christus. In einer Predigt würde ich sagen: Wir glauben an Gottes Handeln an Jesus, der dadurch zum Christus wurde.

SPIEGEL: Wenn sich nahezu alles, was über Jesus in der Bibel steht, als unhistorisch erwiese, könnte es Ihren Glauben erschüttern?

Lindemann: Nicht im geringsten. Zugespitzt formuliert ist es sogar umgekehrt, wie gemeinhin angenommen wird. In der historischen Erforschung des Neuen Testaments kann es immer nur Wahrscheinlichkeiten, nichts völlig Sicheres geben, und man muss immer mit neuen Erkenntnissen rechnen, die ein Umdenken erfordern. Für den Glauben gilt dies nicht. Und vor allem kann ich ihn nicht davon abhängig machen, was wir historisch forschenden Theologen jeweils feststellen.

SPIEGEL: Gehen Sie so weit wie Heinz Zahrnt, der Autor mehrerer Jesus-Bücher, der auch Christ bleiben würde, wenn man "den Nachweis brächte, dass Jesus von Nazaret nicht gelebt hätte"?

Lindemann: Nein, keinesfalls. Dass Jesus gelebt hat, daran gibt es keinen begründeten Zweifel.

SPIEGEL: Augstein führt in seinem Buch die Argumente an, die gegen eine Existenz Jesu sprechen.

Lindemann: Die Argumente sind aber schwach, und nach meinem Eindruck macht er sie sich auch nicht zu Eigen. Hätte Jesus nicht gelebt, wäre der christliche Glaube ein Mythos.

SPIEGEL: Ist nicht die Kunstfigur Christus, die es nur in der Bibel und im Glauben der Christen gibt, ohnehin ein Mythos, selbst wenn dieser Mythos einen Bezugspunkt zu einem Menschen namens Jesus hat?

Lindemann: Ich würde nicht von einem Mythos sprechen, denn der Mensch Jesus oder, wie wir Exegeten sagen, der "historische Jesus" ist mehr als ein Bezugspunkt.

SPIEGEL: Papst Johannes Paul II. und seine Hoftheologen ignorieren fast immer, was die Jesus-Forschung in den 250 Jahren seit der Aufklärung erbracht hat. In einer "Handreichung" des Vatikans zum so genannten Heiligen Jahr 2000 wird behauptet, "dass es sich bei den Evangelien um Lebensbeschreibungen Jesu handelt".

Lindemann: Das wird seit Jahrzehnten von keinem ernst zu nehmenden Exegeten mehr behauptet.

SPIEGEL: "Kein Augen- oder Ohrenzeuge spricht noch direkt zu uns." Das schreibt der Heidelberger Exeget Christoph Burchard über die Autoren des Neuen Testaments. Also haben weder, wie jahrhundertelang behauptet wurde, der Apostel Matthäus noch der Apostel Johannes ein Evangelium geschrieben, auch waren die Evangelisten Markus und Lukas keine Begleiter von Aposteln. Stimmen die Exegeten darin überein?

Lindemann: Ich denke schon. Es gibt natürlich immer Ausnahmen.

SPIEGEL: Der Papst hält an den beiden Aposteln als Autoren fest, und er verkündet, die Evangelien seien zwar Glaubensschriften, aber "als historische Zeugnisse nicht weniger zuverlässig".

Lindemann: Ich kenne jedenfalls im deutschsprachigen Raum keinen Exegeten, auch keinen katholischen, der sich so äußert.

SPIEGEL: Belassen wir es bei diesen Proben römischer Ignoranz. Weihnachten läuft im Ersten Deutschen Fernsehen drei Stunden lang ein zweiteiliger Jesus-Film, in dem vieles so dargestellt wird, als habe es sich wirklich ereignet. Stört Sie der Aberglaube an die Buchstaben der Bibel, wie er im Vatikan verbreitet und auf dem Bildschirm vorgeführt wird?

Lindemann: Ich würde nicht gerade von Aberglauben sprechen. Es ist jedoch ein Missverständnis der biblischen Texte, wenn sie als Tatsachenberichte aufgefasst werden. Trotzdem kann und muss man sogar danach forschen, was insbesondere in den Evangelien historisch zuverlässig ist.

SPIEGEL: Genau das wollen wir jetzt. Wir möchten mit Ihnen einige zentrale Bibelberichte über Jesus falsifizieren oder verifizieren.

Lindemann: Wir können das gern tun, aber vorab möchte ich sagen, was mir an diesem Vorgehen missfällt, wie es mir auch an Augsteins Buch missfällt. Er begnügt sich durchgängig damit, festzustellen, was nicht stimmt, was sich nicht ereignet hat.

SPIEGEL: Erwarten Sie mehr von jemandem, der wissen will, was geschehen ist?

Lindemann: Eigentlich schon. Es ist einerseits eindrucksvoll, in welchem Umfang Augstein die neuere exegetische Literatur heranzieht ...

SPIEGEL: Deshalb brauchten wir nach Zitaten von Theologen nicht zu suchen. Wir fanden alle, die wir für dieses Gespräch brauchten, in Augsteins Buch.

Lindemann: ... aber es ist andererseits bedauerlich, dass er es sozusagen atomistisch tut. Wenn es ihm wichtig ist, zitiert er zu einem Thema drei, vier Exegeten und greift dabei aus ihren Büchern nur die ihm passend erscheinenden Zitate heraus.

SPIEGEL: Was hätte er sonst tun sollen?

Lindemann: Er wird den Autoren, die er zitiert, oft nicht gerecht, die sich ja nicht so punktuell geäußert haben, und er macht dadurch sein Buch insgesamt doch recht einseitig.

SPIEGEL: Das Positive, das Sie vermissen, liefern einige Theologen im Übermaß. Ihr Kollege Traugott Holtz gehört nicht zu ihnen. Hat er Recht, wenn er in seinem dieses Jahr erschienenen Jesus-Buch schreibt: "Über die Zeit bis zu Jesu erstem öffentlichen Auftreten wissen wir gar nichts."

Lindemann: Holtz hat völlig Recht. Hinzu kommt: Ob Jesus mit 30 Jahren öffentlich auftrat, weiß man nicht. Das steht nur im Lukas-Evangelium. Und auch über die Dauer seines Wirkens - ob ein, zwei oder drei Jahre - können wir nichts sagen.

SPIEGEL: Vielen ist noch immer unbekannt, dass Jesus weder im Jahre null oder eins noch in der Heiligen Nacht, noch in Bethlehem geboren ist, und viele halten die Legenden vom Kindermord des Herodes in Bethlehem und von der Flucht der so genannten Heiligen Familie nach Ägypten noch immer für Tatsachenberichte.

Lindemann: Unterschätzen Sie nicht die Allgemeinbildung der Deutschen?

SPIEGEL: Bei einer Umfrage für den SPIEGEL erklärten in diesem Jahr 77 Prozent der Befragten, Bethlehem sei der Geburtsort Jesu - weil sie es nicht besser wissen.

Lindemann: Das Geburtsjahr kennt man in der Tat nicht; die Angaben in den Evangelien sind vage und widersprechen sich. Die Vermutungen reichen von 7 vor Christus bis 6 nach Christus. Der 25. Dezember war ursprünglich der Geburtstag des römischen Sonnengottes. Und Bethlehem wird wahrscheinlich nicht der Geburtsort gewesen sein. Bethlehem wird vermutlich nur deshalb genannt, weil es die Stadt Davids war und dort laut Altem Testament der Messias geboren werden sollte.

SPIEGEL: Ist Jesus in Nazaret geboren?

Lindemann: Das vermute ich und mit mir viele andere.

SPIEGEL: Dass die Jungfrauengeburt nicht historisch ist, ist feste protestantische Überzeugung. Wie äußern sich dazu heutzutage die katholischen Exegeten?

Lindemann: Nach meinem Eindruck halten nur wenige katholische Neutestamentler daran noch fest. Aber auch die anderen katholischen Kollegen tun sich hier schwer, denn es geht offenbar um ein zentrales Dogma ihrer Kirche. Deshalb breiten sie zwar alle Argumente aus, meiden aber ein klares Ja oder Nein, und einige schweigen sich in ihren populären Büchern zu diesem Thema aus. So gehen sie einem Konflikt mit Rom aus dem Wege und brauchen sich doch nicht wider besseres Wissen zu äußern.

SPIEGEL: Ist es für Sie ein Problem, einerseits überzeugt zu sein, dass es keine Jungfrauengeburt gegeben hat, und andererseits das Glaubensbekenntnis zu sprechen: "Geboren von der Jungfrau Maria"?

Lindemann: Nein, überhaupt nicht. Glauben, das kann ich auch als kritischer Exeget tun, weil Matthäus und Lukas erzählend die Glaubensüberzeugungen vermitteln, dass Jesus in noch ganz anderer Weise als vor ihm Johannes der Täufer mit dem Heiligen Geist und mit Gott verbunden ist.

SPIEGEL: Hielt sich Jesus für Gottes Sohn?

Lindemann: Nein.

SPIEGEL: Trotzdem schreibt Walter Kasper, bis vor kurzem Bischof von Rottenburg-Stuttgart und neuerdings im Vatikan, in seinem Jesus-Buch, dass "mit dem Bekenntnis zu Jesus als dem Sohn Gottes der christliche Glaube steht und fällt"*. Noch strikter heißt es im römisch-katholischen "Weltkatechismus": "Um Christ zu sein, muss man glauben, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist." Warum müssen die Christen glauben, was Jesus selbst nicht glaubte.

Lindemann: Einem evangelischen Theologen fällt es immer schwer zu fordern, dass man etwas glauben "muss". Aber in der Sache gebe ich Kasper und sogar dem "Weltkatechismus" Recht. Es geht nicht darum, ob Jesus der Sohn Gottes war, sondern um das Bekenntnis, dass er der Sohn Gottes ist.

SPIEGEL: Christ wird man durch die Taufe. Hat Jesus getauft?

Lindemann: Nein.

SPIEGEL: Hat er von seinen Anhängern verlangt zu taufen?

Lindemann: Der historische Jesus hat es nicht verlangt, das wird im Neuen Testament auch nicht behauptet. Der Missions- und Taufbefehl ...

SPIEGEL: "Darum geht hin und macht zu Jüngern alle Völker, taufet sie ...", Matthäus Kapitel 28, Vers 19.

Lindemann: ... ist erst durch den Auferstandenen ergangen.

SPIEGEL: Wie sollen Christen sich das vorstellen: dass der auferstandene Jesus diesen Auftrag auf wunderbare Weise aus dem Jenseits erteilt hat oder dass die Urchristen ihm dies in den Mund gelegt haben?

Lindemann: Letzteres. Der Evangelist Matthäus hat den Taufbefehl formuliert, um die von der urchristlichen Gemeinde von Anfang an geübte Taufpraxis zu legitimieren.

SPIEGEL: Hat sich Jesus in der Erwartung geirrt, das Weltende und das Reich Gottes seien nahe? Es gibt Jesus-Worte, die dies vermuten lassen, das bekannteste findet sich im Markus-Evangelium Kapitel 9, Vers 1: "Unter denen, die hier stehen, sind einige, die den Tod nicht schmecken werden, bis sie gesehen haben, dass das Reich Gottes mit Macht gekommen ist."

Lindemann: Viele Exegeten lösen das Problem, indem sie Jesus diese Aussage absprechen. Dafür gibt es auch gute Argumente. Andererseits halte ich es für unwahrscheinlich, dass der Evangelist Markus dieses Wort Jesus in den Mund gelegt hat. Es hatte sich ja schon zu Markus'' Lebzeiten als Irrtum erwiesen. Einer von beiden hat sich jedenfalls geirrt, Jesus oder Markus. Im Grunde ist das egal.

SPIEGEL: Machen Sie es sich nicht zu leicht? Der katholische Bischof Kasper jedenfalls nimmt dieses Problem ernster, vielleicht weil zu einem unfehlbaren Papst ein irrender Christus schlecht passt. Zitat Kasper: "Hat sich Jesus etwa in dieser seiner Naherwartung getäuscht? Wäre dies der Fall, dann hätte dies weit reichende Konsequenzen nicht nur für den Vollmachtsanspruch seiner Person, sondern für den Wahrheits- und Gültigkeitsanspruch seiner ganzen Botschaft."

Lindemann: An diesem Anspruch ändert der Irrtum in der Terminfrage nichts.

SPIEGEL: Laut Bibel hat Jesus Tote auferweckt, einen Sturm gestillt, ist über Wasser gegangen, hat fünftausend mit fünf Broten und zwei Fischen gesättigt, Wasser in Wein verwandelt. War Jesus zu solchen Wundern, also zu Taten fähig, die vor oder nach ihm kein Mensch vollbracht hat?

Lindemann: Ich halte es für ausgeschlossen, dass Jesus die von Ihnen genannten Wunder getan hat. Solche Erzählungen gab es damals auch über andere große Männer. Für historisch halte ich, dass Jesus Kranke geheilt und, nach dem Sprachgebrauch der Bibel, "Dämonen ausgetrieben" hat.

SPIEGEL: Hielt sich Jesus für den Messias, den viele Juden damals erwarteten?

Lindemann: Nach allem, was wir wissen, nicht. Er hat auch nach der Darstellung der Evangelien nichts von dem getan, was vom kommenden Messias erwartet wurde.

SPIEGEL: Hat Jesus gehofft, nach seinem Tode als Christus das Haupt einer Kirche zu werden?

Lindemann: Auch diese Frage ist, historisch gesehen, zu verneinen. Jesus wollte keine Kirche gründen. Überhaupt sah er die Entwicklung nicht voraus, die nach seinem Tode, wie Sie sagen, nach seiner Auferstehung, wie wir Christen sagen, einsetzte und die Welt veränderte.

SPIEGEL: Was von all dem, was Christen sonst noch glauben oder glauben sollen, hat Jesus schon geglaubt? Dass er präexistent war, es ihn also schon gab, bevor er gezeugt wurde? Dass er wiederkehren werde am Ende der Tage?

Lindemann: All das ist christlicher Glaube, und Jesus hat dies nicht geglaubt, er hätte dies auch nicht glauben können, denn er war Jude und kein Christ. Er sah seine Aufgabe in Israel, und keinesfalls wollte er eine neue Religion stiften.

SPIEGEL: Würden das die meisten Exegeten so formulieren?

Lindemann: Viele, und weit mehr als noch vor 20, 30 Jahren. Der christliche Glaube ist keine Fortsetzung der Botschaft Jesu, sondern bezieht sich auf das Heilsereignis in Christus, auf die Auferstehung und eben nicht auf die Verkündigung Jesu.

SPIEGEL: Dann wären die "echten" Jesus-Worte, wenn man sie denn feststellen kann, jüdisch und nicht christlich?

Lindemann: Kein Zweifel. Jesus hat sich stets ausschließlich als Jude verstanden.

SPIEGEL: Wie steht es dann mit der Bergpredigt? Dass Jesus sie gehalten hat, behauptet heute wohl kein ernst zu nehmender Exeget mehr.

Lindemann: Das stimmt. Die Bergpredigt ist eine Komposition des Evangelisten Matthäus. Er hat Vorgefundenes und Eigenes zu einem literarisch und theologisch bedeutenden Werk vereint. In ihm gibt es Christliches und Jüdisches, Hellenistisches und eben auch von Jesus Stammendes. Auf ihn gehen, wie ich meine, insbesondere das Vaterunser und das Gebot der Feindesliebe zurück.

SPIEGEL: "Alle neutestamentlichen Aussagen, die den Tod Jesu als Heilsereignis verstehen, sind erst nach Jesu Tod entstanden", so der Frankfurter Theologe Hans Kessler. Also verstand auch Jesus selbst seinen Tod nicht als Sühnetod für die Sünden der Menschen, wie es im Credo steht.

Lindemann: Davon hat Jesus in der Tat nicht gesprochen. Die Worte, mit denen er seinem Sterben Heilsbedeutung zuschreibt, sind ihm nachträglich in den Mund gelegt worden.

SPIEGEL: Wieder halten wir Ihnen entgegen, was Bischof Kasper dazu schreibt: Wenn es so wäre, "dass dieser Gedanke keinerlei Anhalt im Leben und Sterben Jesu selbst" hat, dann "rückt das Zentrum des christlichen Glaubens in gefährliche Nähe von Mythologie und Ideologie".
Lindemann: Wir sind in der Tat an einem zentralen Punkt. Auch hier gilt: Die Wahrheit des christlichen Glaubens hängt nicht vom Selbstverständnis Jesu ab.

SPIEGEL: Wenn Jesus von seinem Sühnetod nichts wusste, kann er auch das Abendmahl nicht eingesetzt, nicht von seinem Blut gesprochen haben, "das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden".

Lindemann: Ich meine in der Tat, dass die Abendmahlsworte nicht historisch auf Jesus zurückzuführen sind. Die urchristliche Gemeinde hat ihren Glauben in Worte Jesu gekleidet.

SPIEGEL: Herr Lindemann, wenn wir Sie so hören, kommt uns der Gedanke: Was man über den Menschen Jesus weiß, ist dem christlichen Glauben im Wege.

Lindemann: Das bestreite ich nicht. Ich gehe sogar einen Schritt weiter. Wir haben ja bislang nur erörtert, was Jesus nicht gesagt oder nicht getan hat. Es gibt aber auch Aussagen Jesu, die dem christlichen Glauben widersprechen. Ich denke an vieles, was mit der ausschließlichen Bindung Jesu an das Judentum zusammenhängt.

SPIEGEL: Woran etwa?

Lindemann: An die Sabbat- und Reinheitsgebote, an denen Jesus bei aller vorhandenen Kritik selbstverständlich festgehalten hat.

SPIEGEL: Was von all dem, was in den Evangelien über die Auferstehung steht, ist Legende?

Lindemann: Die Überlieferung vom leeren Grab und seinem Auffinden durch Frauen und Jünger, die unterschiedlichen Schilderungen der Begegnungen mit dem Auferstandenen und natürlich auch die Himmelfahrt.

SPIEGEL: War das Grab denn leer?

Lindemann: Das weiß ich nicht. Aber selbst wenn das Grab und Reste des Leichnams Jesu gefunden würden, würde dies meinen Glauben an die Auferweckung Jesu durch Gott nicht berühren.

SPIEGEL: Was halten Sie denn von den Visionen, die Paulus im 1. Korintherbrief aufzählt: dass Christus "gesehen" worden sei, zuerst von Petrus, dann von anderen und schließlich von Paulus selbst? Was wäre auf dem Film gewesen, wenn damals eine Kamera diese Visionen hätte aufnehmen können?

Lindemann: Man würde auf dem Film die von Paulus erwähnten Menschen, vielleicht ihre Reaktionen, aber gewiss kein filmisch wahrnehmbares Gegenüber sehen.

SPIEGEL: Reicht Ihnen als Basis für Ihren Glauben die Behauptung von Menschen, was sie erlebt haben? Ihr Glaube lebt vom Glauben dieser Urchristen?

Lindemann: So ist es.

SPIEGEL: Herr Professor Lindemann, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

* Rudolf Augstein: "Jesus Menschensohn". Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg; 573 Seiten; 54 Mark.
* Beim Abendgebet in der Sakramentskapelle der Kathedrale von St. Louis (USA) am 27. Januar.
* Walter Kasper: "Jesus der Christus". Grünewald-Verlag, Mainz; 332 Seiten; 48 Mark.
* Mit den Redakteuren Werner Harenberg und Manfred Müller in Bethel.
Von Werner Harenberg und Manfred Müller

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-15239644.html
„Gott ist die aufs Lächerlichste vermenschlichte Erfindung der ganzen Menschheit. In den Jahrmilliarden, die unsere Erde alt ist, sollte sich Gott erst vor 4.000 Jahren den Juden und vor rund 2.000 Jahren den Christen offenbart haben, mit deutlicher Bevorzugung der weißen Rasse unter Vernachlässigung der Schwarzen, der Gelben und der Rothäute?
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Re: Der geteilte Jesus

Ungelesener Beitrag von Christel »

Atheisius, meine Aussage bezog sich auf diesen Beitrag „Atheisius » Di 30 Nov, 2021 18:52“:
Christel hat geschrieben: Mittwoch 1. Dezember 2021, 09:55 Was können wir aufgrund historischer Forschung wissen?
Atheisius hat geschrieben: Dienstag 30. November 2021, 18:52 Es gibt den historischen Menschen und Juden Jesus, Sohn des Josephs
Atheisius hat geschrieben: Dienstag 30. November 2021, 18:52Der Jude Jesus
Damit endet das, was Du historisch festgestellt hast.
Alles andere geht darüber hinaus, ist eine fragwürdige weltanschauliche Deutung.
Du hast so viel ins Forum gestellt, das kann ich natürlich nicht in zwei Sätzen zusammenfassen.

Aber in dem Beitrag (» Di 30 Nov, 2021 18:52“) war nicht mehr an historischen Fakten dabei.

Alles andere, was Du in dem Beitrag geschrieben hast ist weltanschaulicher und spekulativer Natur.
Atheisius hat geschrieben: Mittwoch 1. Dezember 2021, 13:32Ich habe hier im Forum das Buch von Rudolf Augstein „Jesus Menschensohn“ einmal vorgestellt. Zu diesem Buch gibt es eine interessante Diskussion zwischen Andreas Lindemann und dem „Spiegel“, welche ich hier ungekürzt wiedergebe.
Diskussion würde ich dieses Interview nicht nennen. Auch wenn es in der Branche üblich ist, hier führt eindeutig der Spiegel mittels Fragen. Es geht nicht um historische Forschung, sondern um Kirchenkritik, es ist weltanschaulicher Schlagabtausch.
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Re: Der geteilte Jesus

Ungelesener Beitrag von Christel »

Historisch steht fest:
Jesus war Jude. Er lebte im ersten Jahrhundert im Gebiet des heutigen Palästina/Israel. Er predigte das Reich Gottes. Er eckte mit seiner Botschaft an und starb an Kreuz. Die Inschrift soll gelautet habe: „Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum“ =„Jesus von Nazareth, der König der Juden“.
Die Zeitumstände und die Situation sind somit bekannt.
In diesem Rahmen erfolgt die Einordnung des „historischen Jesus“.

Man muss Jesus folglich ins Judentum einordnen, darf dabei aber nicht vergessen, dass seine Lehre nicht bei allen Juden Zustimmung fand.
Um ihn richtig einordnen zu können, benötigt man historisches Wissen über das Judentum zurzeit Jesu.

Am nächsten dran, sowohl an der Zeit als auch an der Person Jesu waren die Evangelisten.
Es ist also keineswegs gerechtfertigt, die Evangelien zu verwerfen und im Gegensatz zu ihnen sich selbst einen „historischen Jesus“ auszudenken. In jedem Kriminalfall spielen Zeugen eine wichtige Rolle. Kein Kommissar kommt auf die Idee zu sagen, ach lassen wir die Zeugen, denken wir uns selbst was aus.

Das habe ich auch immer wieder gehört:
SPIEGEL: Hielt sich Jesus für Gottes Sohn?

Lindemann: Nein
Doch eine einleuchtende Begründung dafür, die hörte ich nie.

Im Thema „Philognosie und dümmlicher Gottesglauben“ verwies ich hierauf:
Christel hat geschrieben: Freitag 26. November 2021, 10:44 Aus dem „Lexikon für Theologie und Kirche“ Sonderausgabe 2006, 9.Band, Spalte 689, Sohn Gottes, Altes Testament:
Im AT begegnet SG. als ein dem Mythos entlehnter, im Horizont der Offenbarung Jahwes jedoch theologisch modifizierter Begriff, der auf Gottwesen der himml. Welt (1); auf Israel als Jahwevolk (2) u. auf David als theokrat. Kg. (3) angewandt wird.
In dem Lexikon finden sich anderthalb Spalten zu „Sohn Gottes“ im Alten Testament, also im Judentum zurzeit Jesu.
Zur Erinnerung, Jesus wurde als „König der Juden“ hingerichtet und diese Vorstellungen des Königs als Sohn Gottes gab es nun mal im Judentum.

Mitunter wird in spitzfindiger Weise versucht die Bezeichnung „Menschensohn“ gegen „Gottessohn“ auszuspielen. Doch:
Dieser Prophet wird von Gott 87-mal als Menschensohn (ben adam) angeredet. Er ist der von Gottes Geist erfüllte (Ez 2,1 EU) Seher der Sünde des Gottesvolks (8,5 EU), der unter diesem verstockten Volk wohnen, ihm Gottes Gericht in Rätselworten ankündigen (17,2 EU) und selbst darunter leiden (24,16 EU u. a.) muss. https://de.wikipedia.org/wiki/Menschensohn
Das alles war zurzeit Jesu bekannt.

Man hat einen Graben gebuddelt zwischen "Jesu Anhängern" und Jesus. Man war so frei für eigene Spekulationen und teilte Jesus in einen „historischen Jesus und einen „Jesus der Evangelien“. Doch der sogenannte „historische Jesus“ hat oft mehr Ähnlichkeit mit denen, die ihn Erfunden haben, als mit dem echten Jesus.
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Re: Der geteilte Jesus

Ungelesener Beitrag von Holuwir »

Christel hat geschrieben: Mittwoch 1. Dezember 2021, 19:10 Kein Kommissar kommt auf die Idee zu sagen, ach lassen wir die Zeugen, denken wir uns selbst was aus.
Die Bibelschreiber gingen anders vor: Denken wir uns selbst was aus und sagen dann, wir waren Zeugen.
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Re: Der geteilte Jesus

Ungelesener Beitrag von Atheisius »

Holuwir schrieb:
Die Bibelschreiber gingen anders vor: Denken wir uns selbst was aus und sagen dann, wir waren Zeugen.
Prima Holuwir. Mit einem einfachen Satz wieder mal alles auf den Punkt gebracht.
„Gott ist die aufs Lächerlichste vermenschlichte Erfindung der ganzen Menschheit. In den Jahrmilliarden, die unsere Erde alt ist, sollte sich Gott erst vor 4.000 Jahren den Juden und vor rund 2.000 Jahren den Christen offenbart haben, mit deutlicher Bevorzugung der weißen Rasse unter Vernachlässigung der Schwarzen, der Gelben und der Rothäute?
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Re: Der geteilte Jesus

Ungelesener Beitrag von Christel »

Holuwir, da bist Du wieder bei einer Verschwörungstheorie ähnlich wie Reimarus und genau so wenig plausibel.

Jesus versammelte Jünger um sich. Das steht historisch fest. Es gab also tatsächlich Augenzeugen. Dadurch verbreitete sich der Glaube an Jesus. Es bildeten sich Gemeinden.
Danach wurden die Evangelien verfasst.

Nach Deinen Worten gingen sie so vor:
Holuwir hat geschrieben: Mittwoch 1. Dezember 2021, 20:05 Denken wir uns selbst was aus und sagen dann, wir waren Zeugen.
Dann müssten sämtliche Gemeinden gleichzeitig in geistiger Umnachtung verfallen sein, alles vergessen haben, was sie bisher gesehen und gehört haben. Da sie nichts mehr wussten, haben sie einfach die Texte übernommen. - Kaum glaubhaft!

Zudem wusste keiner der „Bibelschreiber“, dass er an der Bibel schreibt. Die gab es nämlich noch nicht und dass es sie einmal geben würde, konnte niemand ahnen. - Es fehlt daher das von Dir genannte Motiv.

Andersherum war es:
Jesus versammelte Jünger um sich. Das steht historisch fest. Es gab also tatsächlich Augenzeugen. Dadurch verbreitete sich der Glaube an Jesus. Es bildeten sich Gemeinden.
Diese Gemeinden übernahmen jene Schriften, wo sie ihren bisherigen Glauben widerfanden, und die sie als authentisch und wichtig ansahen.

PS: Ihr seid immer nur beim "Papier". Es gab Jünger, die Gemeinden gründeten.
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Re: Der geteilte Jesus

Ungelesener Beitrag von Holuwir »

Christel hat geschrieben: Donnerstag 2. Dezember 2021, 09:26 Es gab also tatsächlich Augenzeugen. Dadurch verbreitete sich der Glaube an Jesus. Es bildeten sich Gemeinden.
Danach wurden die Evangelien verfasst.
So, es gab also Augenzeugen, dass dieser Jesus der Sohn des Gottes der Juden, der Christus war. Wie geht sowas?
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Re: Der geteilte Jesus

Ungelesener Beitrag von Christel »

Lieber Holuwir,
Deine Frage ist rhetorischer Art, denn so wie Du es formulierst, hatte ich es nicht geschrieben. Ich fände, es gut, wenn wir auf Augenhöhe diskutieren würden. Das würde die Sache wesentlich entspannen.

Außerdem, Du weißt sehr genau, dass Jesus Jünger um sich versammelte, dazu kamen zahlreiche Unterstützer und es gab die Zwölf, die symbolisch Israel repräsentieren. Da Judas ausfiel suchte man nach einem Ersatzmann. Dieser musste folgenden Anforderungen genügen:
Es ist also nötig, dass einer von den Männern, die mit uns die ganze Zeit zusammen waren, als Jesus, der Herr, bei uns ein und aus ging, angefangen von der Taufe durch Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns ging und in den Himmel aufgenommen wurde - einer von diesen muss nun zusammen mit uns Zeuge seiner Auferstehung sein. (Apostelgeschichte 1,21 f.)
Diese Männer waren Augenzeugen von dem, was Jesus sagte, was er tat, für den Anspruch, den er für sich erhob, für seinen Tod und für seine Auferstehung.

Dies beschreibt bis heute was Christsein ausmacht: Christen sind Zeugen für Jesus Christus. Natürlich keine Augenzeugen mehr, aber sie bezeugen ihren Glauben an ihn.

„Sohn Gottes“ ist eine Deutung. Ob sich Jesus selbst genau so bezeichnete oder nicht, kann niemand wissen. Das ist Haarspalterei. Tatsache ist das Jesus seine Anhänger lehrte, Gott als Vater anzureden: Betet so „Unser Vater im Himmel…“, dass er für sich selbst den Anspruch erhob Gottes Willen zu verkünden…

Die Behauptung, die Atheismus erhebt, Paulus hätte es erfunden und er hätte damit das Christentum verändert bzw. erst erfunden, ist aus vielerlei Gründen nicht plausibel.

Dass es Spannungen zwischen den Aposteln und Paulus gab wird nicht verschwiegen, das bestätigt auch Lukas in der Apostelgeschichte. Das Apostelkonzil im Frühjahr 48 ist ein in der Forschung anerkannter Fixpunkt. Paulus schreibt darüber im Brief an die Galater 2,1-3:
Vierzehn Jahre später ging ich wieder nach Jerusalem hinauf, zusammen mit Barnabas; ich nahm auch Titus mit. Ich ging hinauf aufgrund einer Offenbarung, legte der Gemeinde und im Besonderen den Angesehenen das Evangelium vor, das ich unter den Völkern verkünde; ich wollte sicher sein, dass ich nicht ins Leere laufe oder gelaufen bin. Doch nicht einmal mein Begleiter Titus, der Grieche ist, wurde gezwungen, sich beschneiden zu lassen.
Ein Streitpunkt war die Beschneidung, wo Paulus sich zwar das OK der Apostel holte, was den Streit jedoch nicht beendete.

Was Jesus als „Sohn Gottes“ betrifft, darüber ist kein Streit überliefert.
Den hätte es aber geben müssen, wenn die Apostel (die Augenzeugen, siehe oben) Jesus anders gesehen und gedeutet hätten. Paulus legte den Aposteln sein Evangelium vor.

Außerdem war Petrus gemeinsam mit Paulus in Antiochia, wo es im Sommer 48 als Jakobus eintraf zum Antiochenischen Zwischenfall kam. Es ging um die Tischgemeinschaft zwischen Juden- und Heidenchristen. Auch hier kein Streit um die Bezeichnung „Sohn Gottes“ für Jesus.

Wenn die Jünger Jesus, die Augenzeugen seines Wirkens und seines eigenen Anspruchs waren, das mit dem „Sohn Gottes“ völlig anders als Paulus gesehen hätten, dann hätten sie das ganz sicher nicht hingenommen. Es hätte einen Streit gegeben und wäre nicht einfach zum christlichen Glaubensgut geworden.

Was Atheisius, unentwegt wiederholt ist eine freie Erfindung von Menschen, die 2000 Jahre später leben. Eine Erfindung, die durch die historischen Quellen nicht belegt ist. Sondern, die im Gegenteil, logisch ganz und gar nicht plausibel ist.
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Re: Der geteilte Jesus

Ungelesener Beitrag von Atheisius »

Christel schrieb:
Die Behauptung, die Atheismus erhebt, Paulus hätte es erfunden und er hätte damit das Christentum verändert bzw. erst erfunden, ist aus vielerlei Gründen nicht plausibel.
Ich behaupte, dass es ohne Paulus heute kein Christentum geben würde. Die jüdisch-christliche Sekte zur Zeit des Paulus wäre mit dem Tod des Jesus, mit dem Ausbruch des Jüdischen Krieges, untergegangen. Erst durch die Mission des Paulus konnte sich das Christentum auch außerhalb Galiläas ausbreiten. Hier entwickelte sich ein von judenchristlichen Traditionen geprägtes Christentum aus welchem später die heidenchristliche Kirche entstand.
Christel schrieb:
Was Atheisius, unentwegt wiederholt ist eine freie Erfindung von Menschen, die 2000 Jahre später leben. Eine Erfindung, die durch die historischen Quellen nicht belegt ist. Sondern, die im Gegenteil, logisch ganz und gar nicht plausibel ist.
Was ich wiederhole ist keine Erfindung, sondern das Ergebnis der Leben-Jesu-Forschung. Manchmal stütze ich mich sogar auch teilweise auf Veröffentlichungen der Deutschen Bibel Gesellschaft, wobei man nicht vergessen darf, dass deren Erkenntnisse meist auch von religiösem Glauben dominiert werden.

Was schreibt diese Deutsche Bibel Gesellschaft?
Die paulinische Mission

Der Weg der paulinischen Mission lässt sich nur durch eine Kombination aus den Erzählungen der Apostelgeschichte und gelegentlichen Bemerkungen des Apostels in seinen Briefen rekonstruieren. Dabei stellt sich heraus, dass die lukanische Einteilung in zwei Missionsreisen literarische Fiktion ist, die der Abwertung der Missionstätigkeit des Apollos dient (Apg 19,1-7; vgl. 18,24f.).

Paulus konzentriert sich bei seiner Mission auf die Großstädte und Provinzzentren. Dort wirkt er solange, bis die entstandene Gemeinde selbständig existieren kann. Zeitweise hält er sich länger an einem Ort auf, benutzt ihn gleichsam als Stützpunkt (Korinth, Ephesus). Auf diese Weise entsteht schnell ein Netzwerk von Gemeinden, die nun ihrerseits in die Umgebung wirken können. Den Kontakt zu den Gemeinden hält Paulus durch Briefe und seine Mitarbeiter. Auch die Gemeinden selbst schicken Boten zu Paulus, die dann teilweise länger bei ihm bleiben und ihn unterstützen.

Innerhalb der Gemeinden bildet sich eine "Ämter"struktur – Apostel, Propheten, Lehrer (1Kor 12,28) bzw. Bischöfe und Diakone (Phil 1,1) -, die charismatisch bestimmt ist. Der Geist befähigt einzelne Gemeindeglieder dazu, diese Aufgaben zu übernehmen. Bei der konkreten Gestaltung der "Ämter" spielen auch Vorbilder aus der städtischen Umwelt der Gemeinden eine Rolle.
Die Entwicklung nach dem Tod des Paulus

Über die Entwicklung nach der Hinrichtung des Paulus in Rom (ca. 60) wissen wir wenig. In Jerusalem steigt der Druck national und zelotisch gesinnter Kreise auf die Urgemeinde. Im Jahr 62 wird Jakobus, der Herrenbruder, gesteinigt. Euseb berichtet in seiner Kirchengeschichte, dass die Gemeinde bei Ausbruch des Jüdischen Krieges nach Pella in das Ostjordanland geflohen sei. Die Zuverlässigkeit dieser Nachricht wird aber von vielen Forschern bezweifelt.

Die christlichen Quellen aus der Zeit zwischen ca. 70 und 130 zeigen das Bild eines theologisch bunten Christentums, das sich vor allem in Kleinasien, Syrien und Griechenland weiter ausbreitet. Mittelitalien und Ägypten werden zu neuen Zentren.

Einige Schriften des NT lassen das Entstehen von theologischen "Schulen" erkennen. So hatte die Paulusschule ihren Sitz wohl in Ephesus. Die johanneischen Gemeinden bilden eine eigene Entwicklungslinie, die geographisch wohl ebenfalls in der Provinz Asia zu suchen ist. Mk und Mt weisen nach Syrien, das sich zum Zentrum eines von judenchristlichen Traditionen geprägten Christentums entwickelt.

De facto ist die Kirche in dieser Zeit bereits heidenchristlich bestimmt. Der Streit um die Verbindlichkeit der Tora spielt keine akute Rolle mehr. Gleichzeitig fällt auf, dass in den Schriften dieser Zeit auf breiter Front (insbesondere paränetische) Traditionen des hellenistischen Judentums übernommen werden. Das reicht bis in die Verfassungen der Gemeinden, wo sich jetzt auch in den paulinischen Gemeinden die Leitung durch ein Presbyterium (die "Ältesten") durchsetzt. Frauen werden zunehmend in den Hintergrund gedrängt.

Die Gemeinden sehen sich vor allem durch die Aufgabe herausgefordert, nach innen und außen ihre Identität zu bestimmen. Diese Herausforderung war umso größer als immer deutlicher wurde, dass sich die Christen auf eine längere Existenz in der Welt einrichten mussten. Die Schriften der dritten urchristlichen Generation sind bemüht, das als verbindlich angesehene Erbe der Väter zu bewahren und in dieser neuen Situation authentisch zur Sprache zu bringen. Dabei machte man die Erfahrung, dass die Interpretation dieses Erbes durchaus umstritten war. Erstmals brach die Frage nach Rechtgläubigkeit und Häresie auf, wobei die Kriterien durchaus nicht feststanden und erst im Prozess der Auseinandersetzung erarbeitet werden mussten. Dabei gab es Auseinandersetzungen sowohl innerhalb einzelner Gemeindeverbände und Schulen (Deuteropaulinen, 1Joh) als auch zwischen denselben (Jak).
https://www.bibelwissenschaft.de/bibelk ... nd-paulus/
Öffentliche Wirksamkeit

Die Masse der überlieferten Tradition weist nach Galiläa als dem Wirkungsgebiet Jesu. Genauer konzentrierte sich sein Wirken offenbar auf ein kleines Gebiet nordwestlich des Sees Gennesaret, in dem die häufig erwähnten Orte Kafarnaum, Chorazim und Betsaida lagen. Es fällt auf, dass Jesus bei seinen Wanderungen die hellenistischen Städte in Galiläa – Sepphoris und Tiberias – gemieden hat. Diese Beobachtung wird durch das in seinen Gleichnissen verwendete Bildmaterial unterstützt, das ebenfalls die Welt der Kleinbauern, Pächter und Tagelöhner des ländlichen Galiläa spiegelt. Politisch gehört das Wirkungsgebiet Jesu zu weiten Teilen zur Tetrarchie des Herodes Antipas (vgl. Lk 13,31f; 23,7). Daneben wirkte er im angrenzenden Gebiet des Philippus. Die dabei zu überschreitende Grenze erklärt die häufige Erwähnung von Zöllnern. Es ist unsicher, ob Jesus auch auf nichtjüdischem Gebiet wirkte. Die wenigen Zeugnisse dafür (z.B. Mk 7,24-30) lassen eher vermuten, dass Jesus sich auch bei Überschreitung der politischen Grenzen Galiläas auf jüdisch besiedeltem Gebiet aufhielt.

Über die Dauer der Wirksamkeit Jesu machen Joh und die Synoptiker unterschiedliche Angaben (vgl. die Einleitung zu Joh). Man geht in der Forschung im allgemeinen davon aus, dass die Angabe der Synoptiker eher den historischen Tatsachen entspricht. Jesus hat also ca. 1 Jahr öffentlich gewirkt und ist dann anlässlich einer Pilgerreise zum Passafest in Jerusalem angeklagt und hingerichtet worden.

Jesus selbst war unverheiratet und hat offenbar auf Besitz verzichtet. In Galiläa hat er eine Schar von Anhängern um sich gesammelt, die sein Wanderleben teilten. Dabei ist unter den Forschern umstritten, ob der Kreis der Zwölf schon auf Jesus selbst zurückgeht. Dafür könnte sprechen, dass er nach Ostern schnell an Bedeutung verliert (vgl. die differierenden Namenslisten in den Evangelien und der Apg). Jesus wollte mit der Berufung dieser Zwölf dann den Anspruch seiner Botschaft auf ganz Israel dokumentieren, d.h. die Zwölfzahl symbolisiert die – historisch z.Zt. Jesu nicht mehr existierende – Zahl der Stämme Israels.

In den Evangelien wird immer wieder berichtet, dass Jesus in Synagogen gepredigt oder geheilt habe. Dieses Bild seiner Wirksamkeit ist wohl unhistorisch, denn archäologisch und inschriftlich sind für die Zeit Jesu in Galiläa so gut wie keine Synagogen nachweisbar. Die Evangelisten haben hier die Verhältnisse ihrer Gegenwart in die Zeit Jesu zurückprojiziert. Jesus dürfte vor allem in Privathäusern und im Freien gewirkt haben.

Auch in seiner Heimat Galiläa hat Jesus nicht nur Zustimmung geerntet. Die Prädikate "Fresser und Weinsäufer" und "Freund der Zöllner und Sünder" (Mt 11,19par) zeugen zumindest von deutlicher Distanz. Mit dem Vorwurf, er wirke durch die Macht der Dämonen (Mk 3,20-22; Lk 11,14-16par) steigert sich diese Distanz zur offenen Feindschaft.
https://www.bibelwissenschaft.de/bibelk ... rksamkeit/

Christel schrieb:
„Sohn Gottes“ ist eine Deutung. Ob sich Jesus selbst genau so bezeichnete oder nicht, kann niemand wissen. Das ist Haarspalterei.
Jesus hat sich nicht selbst als (leiblichen) Sohn Gottes gesehen. Höchstens in dem Sinne, wie sich auch heute noch ein von Mystik besoffener Christ bezeichnen würde (Wir sind alle Söhne Gottes). Zum Glauben an die alberne "Heilige Dreifaltigkeit" (alles in einem Gott vereint), kam es erst durch die katholische Kirche.
Er wollte auch keine Kirche gründen. Heiden-Christen kamen erst mit Paulus durch seine Heiden-Mission auf.

Die Deutsche Bibel Gesellschaft schreibt:
Zu den Christologischen Hoheitstiteln

Für die Christologie der Schriften des Neuen Testaments ist charakteristisch, dass Aussagen über Jesus zugleich immer Aussagen sind, die von seiner Bedeutung für die Christen sprechen. Viele der im NT überlieferten Bekenntnisse bezeichnen Jesus mit Titeln, in denen die Christologie der frühen Christen wie mit einem Brennspiegel zusammengefasst ist. Diese Titel werden als christologische Hoheitstitel bezeichnet.

Fast alle dieser Titel stammen aus der biblisch-jüdischen Tradition. Die Verwendung im Neuen Testament zeigt, dass die Christen diese Tradition mit großer Souveränität benutzt haben. Häufig werden mit einzelnen Titeln Vorstellungen verbunden, die ursprünglich aus anderen Traditionszusammenhängen stammen. Den Anstoß zu dieser Kombination verschiedener Traditionen gab offensichtlich die Tatsache, dass gerade Jesus mit seinem besonderen Geschick mit diesen Titeln bezeichnet wurde.

Ob Jesus selbst in seiner Verkündigung christologische Hoheitstitel verwandt bzw. auf sich bezogen hat, ist eine in der Forschung viel diskutierte Frage. Sie wird meist negativ beantwortet. Ein anderes Problem ist, ob seine Anhänger bereits zu seinen Lebzeiten durch Hoheitstitel ausgedrückte Hoffnungen auf ihn setzten. Diese Annahme kann angesichts der Anklage des politischen Aufruhr, die zur Kreuzigung führte, zumindest nicht pauschal verneint werden. Über mehr oder minder begründete Hypothesen wird man in beiden Fällen ohnehin nicht hinauskommen.
https://www.bibelwissenschaft.de/bibelk ... eitstitel/
„Gott ist die aufs Lächerlichste vermenschlichte Erfindung der ganzen Menschheit. In den Jahrmilliarden, die unsere Erde alt ist, sollte sich Gott erst vor 4.000 Jahren den Juden und vor rund 2.000 Jahren den Christen offenbart haben, mit deutlicher Bevorzugung der weißen Rasse unter Vernachlässigung der Schwarzen, der Gelben und der Rothäute?
Claire Goll (1891 – 1977)
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