Vertrauen in die "soziale Marktwirtschaft" beschädigt?

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niels
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Vertrauen in die "soziale Marktwirtschaft" beschädigt?

Ungelesener Beitrag von niels »

Außenminister Steinmeiner meinte gestern:
"Das Vertrauen der Deutschen in das Konzept soziale Marktwirtschaft sei unter den Deutschen durch die weltweite Krise arg beschädigt..."
und es "
...würde Jahre dauern, dieses Vertrauen wieder herzustellen".

Während die einen die Lösung im sturen Festhalten an den alten Strukturen sehen, wollen immer mehr Deutsche ein "soziales Konzept", wie es z.B. die Linke verspricht und was über verstaatlichte Großnternehmen und an den "Sozialismus" angelehnte Gesellschaftsstrukturen diskutiert.

Das Konzept der "sozialen Marktwirtschaft" hat in den 50ern zwar auf nationaler Ebene mit nationalen Maßnahmen funktioniert - die Wirtschaft heute aber ist global und so werden ordentliche Lösungen auf weltweiter Ebene nötig. Das Konzept des Sozialismus ist noch älter und ist (volkswirtschaftlich beweisbar) praktisch nicht nachhaltig durchführbar.

Viele ursächliche Probleme sind lange bekannt (z.B. Leerverkäufe, Steueroasen) werden nur unwahrscheinlich zeitnah beseitigt - stattdessen wird mit sehr viel Steuergeld (treffender doch eher "Bürgerschulden") in die alten Konzepte investiert, ohne zuvor die Probleme auszuräumen, die auch die aktuelle Krise herbeiführte.

Was meinen Sie dazu? Was halten Sie davon?
Heinrich5

Re: Vertrauen in die "soziale Marktwirtschaft" beschädigt?

Ungelesener Beitrag von Heinrich5 »

Zumindest bei mir ist das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft schon lange beschädigt, nicht erst seit der Weltwirtschaftskrise ab 2008, sondern seitdem ab 1991 klar wurde dass das Gerede von den blühenden Landschaften im Osten glatt gelogen war und unsere Arbeitsplätze platt gemacht wurden.

Bis 1990 gab es die zwei Blöcke in Ost und West. Uns wurde in der DDR immer eingetrichtert, dass der westdeutsche Wohlstand nur ein Vorzeigekapitalismus, ein Schaufenster des Westens für den Osten sei um Überlegenheit zu demonstrieren. Mit dem Wegfall des Ostblocks war es dann auch nicht mehr nötig die Überlegenheit des kapitalistischen Systems zu demonstrieren. Das Schaufenster wurde ausgeräumt. Mit der sozialen Marktwirtschaft ging es ständig und merklich bergab. Die Schere von Reich und Arm klaffte von Jahr zu Jahr immer weiter auseinander. Ein Vorgang welcher unvermindert anhält.
Gerade wir im Osten mit unserer hohen Arbeitslosigkeit haben das sehr deutlich zu spüren bekommen. Kamen viele mit der alten Arbeitslosenhilfe noch einigermaßen zu recht, kam dann das soziale Tief mit Einführung des ALG II. Und ausgerechnet eingeführt von Sozialdemokraten.
Rot-Grün hat mit der Agenda 2010 das bisher größte Sozialabbau-Programm in der Geschichte der Bundesrepublik gestartet.

Welche Partei kann sich denn heute noch als eine Volkspartei präsentieren, die erfolgreich die unterschiedlichen Interessen von Arbeitnehmern und Unternehmern unter einen Hut bringt. Dem Modell des Burgfriedens zwischen Kapital und Arbeit hat die Stagnationskrise des Kapitalismus auch im vergleichsweise wohlhabenden Deutschland die Grundlage entzogen.

Der härter werdende Konkurrenzkampf auf den (Welt-)Märkten ist auch an Deutschland nicht vorüber gezogen. In den vergangenen Jahren wanderten Betriebe ab und oder wurden geschlossen, wie zum Beispiel das AEG-Werk in Nürnberg, sowie das Infineon- und BenQ-Werk in München. Gegen alle drei Schließungen haben sich die Belegschaften heftig gewehrt.

Schon im Jahr 2006 ist der Streik bei AEG Nürnberg bundesweitdeutschlandweit zum Symbol des Widerstands gegen ein System geworden, das den Aktienkurs in die Höhe schnellen lässt, wenn Arbeitsplätze vernichtet werden: Der Konzernvorstand wollte höhere Gewinne, um die internationale Konkurrenz zu verdrängen. Deshalb sollte die Produktion ins Ausland verlagert werden. Unter anderem ins polnische Zarow, eine so genannte Sonderwirtschaftszone, in der besonders günstige Bedingungen für Konzerne herrschen: niedrige Löhne, schwache Gewerkschaften, keine Betriebsräte.

Im Sozial- und Bildungsbereich wurden große Summen eingespart. Auch bei der Versorgung und Betreuung von Flüchtlingen und Ausländern. Die wöchentliche Arbeitszeit von Beamten und Landesangestellten wurde ohne Lohnausgleich angehoben, und Urlaubs- und Weihnachtsgeld empfindlich gekürzt.

Der Vertrauensverlust der beiden "Volksparteien" CDU/CSU und SPD ist ein langfristiger Trend.

Bundesweit bietet sich folgendes Bild. Es wird viel über die Krise der SPD berichtet, doch die Union steht keineswegs gut da. Angela Merkel hingegen sieht die Union nicht geschwächt:
" Die Union ist weiter der Faktor der Stabilität ist", erklärte die Kanzlerin. Das gelte laut Merkel besonders vor dem Hintergrund der globalen Finanzkrise. Hier sei die Union in besonderer Weise gefragt. Die SPD zeige, dass sie diese Rolle nicht spielen könne.

Dass die Union gerade wegen der Finanzkrise ein "Faktor der Stabilität" sein soll, zeugt von Realitätsverlust. Neoliberale und Marktbefürworter müssen derzeit ihre Köpfe einziehen. Jahrelang haben sie Deregulierung gepredigt und durchgesetzt. Vorne mit dabei war stets die Union. Sie hat den Karren mit in den Dreck gefahren und deshalb schwindet auch das Vertrauen in die Konservativen.

Wo ist die Partei, welche sich vom Kurs der Agenda-2010-Politik der bundesweiten Parteiführung distanziert. Wo ist die Protestpartei gegen Neoliberalismus?

Mehrere Banken stecken im Spekulationssumpf fest. Für die Verluste werden die Steuerzahler zur Kasse gebeten. Sie sichern damit auch die Spekulanten selbst ab.

Für die Rettung von AEG, Infineon, BenQ konnte der Staat angeblich nichts tun. In Schulen und Kindergärten fehlt Geld und es regnet durch so manches Dach. Auch dafür war angeblich kein Geld da. Für Spekulanten und Aktionäre hingegen macht es die Bundesregierung locker. Das wird neben der SPD auch der Union angelastet.

Mit der angeschlagenen deutschen Großbank "Hypo Real Estate" ist erstmals ein DAX-Konzern betroffen. Doch es ist nicht bei den Banken geblieben. Jetzt folgt die Autoindustrie. Wirtschaftsforschungsinstitute haben ihre Wachstumsprognosen signifikant nach unten korrigiert. Sie erwarten einen deutlichen Rückgang der Konjunktur und höhere Arbeitslosigkeit.

Vor diesem Hintergrund sah sich Finanzminister Steinbrück veranlasst, in einer Regierungserklärung die Bevölkerung auf harte Zeiten einzustimmen: "Unsere Realwirtschaft wird in Mitleidenschaft gezogen". Genau das hatten Union und SPD unisono noch vor Kurzem abgestritten. Beide Parteien werden versuchen, die Folgen der Finanzkrise auf die Bevölkerung abzuwälzen. Es ist unwahrscheinlich, dass die dadurch erzeugte Wut nicht auch die Union trifft.

Die LINKE hat jetzt auf das Thema soziale Gerechtigkeit gesetzt. Sie fordern erfolgreich Mindestlöhne, die Abschaffung der Studiengebühren wo noch vorhanden und waren bei der Wiedereinführung der Pendlerpauschale erfolgreich.
Die LINKE spitzt die soziale Frage zu: Reichtum ist ungerecht verteilt. Deshalb wollen sie die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und eine gerechte Besteuerung von Unternehmensgewinnen. Und damit kann man eine gebührenfreie Bildung finanzieren.

Gegen Privatisierung lautet die Botschaft: Busse und Bahnen, Schulen und Krankenhäuser gehören in die öffentliche Hand. Sie fordern ein entsprechendes Investitionsprogramm. Solche Botschaften, die der Stimmung weiter Teile der Bevölkerung Ausdruck verleihen, haben noch zu wenige erreicht.
Aber durch die Krise der CDU/CSU und der SPD sind die Chancen für DIE LINKE besser geworden. Sie hat also gute Möglichkeiten, neue Mitglieder und Wähler zu gewinnen.
Auf die kommenden Landtagswahlen kann man schon gespannt sein.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier rechnet damit, dass die Auswirkungen der Wirtschaftskrise noch jahrelang zu spüren sein werden. Der "Turbokapitalismus" habe sich als Wirtschaftsordnung untauglich erwiesen. „Es wird viele Jahre Arbeit benötigen, um das Vertrauen der Menschen in dieses Wirtschaftssystem und seine Regeln wiederherzustellen“, sagte der Außenminister der „Financial Times“. „Nun müssen wir für die Zukunft eine neue Ordnung schaffen.“

Auf diese „Neue Ordnung“ bin ich ebenfalls gespannt. Ich traue keiner Partei zu, eine solche Ordnung schaffen zu können. Vielleicht könnte es die LINKE? Aber dazu hat sie noch nicht die entsprechende Basis.
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Re: Vertrauen in die "soziale Marktwirtschaft" beschädigt?

Ungelesener Beitrag von niels »

Nun, auch mir hat man in der DDR den selben Quark über den Westteil Deutschlands erzählt - tatsächlich war es doch eher so, das die DDR-Regierung einigen Aufwand betrieb um vorm Ausland zu glänzen oder es gar dem Westen "zu zeigen" - allerdings mit starkem Fokus auf Berlin und die Messestadt Leipzig.

Das "Wirtschaftswunder" unter Erhard im Westen hatte andere Gründe - vor allem basierend auf nationalen Maßnahmen und Engagements. Darauf haben sich meiner Meinung nach zu viele ausgeruht - es war halt so schön bequem und reativ einfach zu "angemessenem Wohlstand" zu kommen. Einmal ausgebildet haben viele in dem Job ihr Leben lang gearbeitet und gut verdient.

Eine Anstellung in einem großen Unternehmen / Konrenz galt und gilt seitdem für viele als großes Los - mit besten Aussichten auf einen möglichst lebenslang sicheren Arbeitsplatz bei besten Löhnen und Sozialpaketen.

Ich bin aber gerade von einer gegenteiligen Zukunft überzeugt. Die aktuelle Krise ist keine "Wirtschaftskrise" - eher eine "Geld- und Wertekrise". Sie ist die Folge aus verschlafenen Gelegenheiten, mangelnder Fortbildung und verdrehten Werten.

Die Banken sind Ihrer ja ach so wichtigen "volkswirtschaftlichen Funktion" lange nicht mehr nachgekommen - konnte man doch mit ein paar Finanzyuppies an ein paar PCs binnen wenigen Erdumdrehungen exorbitante Gewinne aus dem Nichts "erwirtschaften", stat (auch wie langweilig und aufwendig) lokale Unternehmen mit exzellenten Ideen mit der nötigen Liquidität auszustatten - oder auch nur den einfachen Bankkunden ordentlich zu betreuuen. Gerade jetzt wollen das Ackermann & Co. neu erfinden - nen bischen spät finden einige...

Statt aus den Fehlern zu lernen, spalten sich die Gemüter in zwei große Gruppen: während die einen den bisherigen Weg mit aller Gewalt (und mit immer größeren Kosten / Schulden für unsere Zukunft) weitergehen wollen und jeden Blick nach rechts oder links scheuen rufen die anderen nach Verstaatlichung der Wirtschaft und einer Art DDR 2.0.

Dabei sind viele der aktuellen Ursachen lange bekannt - nur beseitigen möchte die niemand der Verantwortlichen (Leerverkäufe, intransparente Hochfinanz, Haftung für Banker usw.).

Jeder kleine Unternehmer in Deutschland haftet mit seiner gesamten persönlichen Habe für seine Geschäfte und Risiken - ein Banker spielt mit dem Geld anderer Leute als Angestellter einer Firma, die ihm nicht mal zum Teil gehört - die meisten haften ja nicht mal mit den Boni für "gute Arbeit" - welbst wenn der ganze Laden pleite geht.

Wer sowas gut findet und diesen Leuten Gehör wie größeren Respekt als jedem Imbißbudenbesitzer schenkt, ist selbst Schuld wenn der ihn abzieht...

Während die angloamerikanischen Länder die letzten Jahre hauptsächlich auf Bank- und Finanzwirtschaft setzten (statt sich noch "altmodisch" wie unser Mittelstand mit echter Arbeit "die Hände schmutzig" zu machen) und damit nun grobe Wirtschaftsprobleme haben, bringt unser Mittelstand den Großteil der Arbeitsplätze, Bruttosozialprodukt und damit unseren Wohlstand.

Auch wenn heute die (ja selbst meist bei Banken sitzenden) Analysten heulen und schwarzmalen - diese "Krise" war und ist wichtig wie ein Regen nach langer Trockenheit, in der die Wasserverkäufer die dicksten Geschäfte machten.

Unsere Zukunft liegt in Nachhaltigkeit, ehrlichen Konzepten, loyalen Werten und dem lebenslangen Willen dazuzulernen und anzupacken - nicht aber in einer "sozialen Marktwirtschaft" nach Erhardt oder gar im Sozialismus. Diese Werte spielten eine immer kleinere Rolle beim Geldverdienen - das es so nicht funktioniert, dürfte nun auch der letzte Geldjunkie wissen.

Was das dann allerdings noch mit "sozialer Martwirtschaft" zu tun hat, bestimmen die, die diesen Begriff definieren - für sich oder andere...
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