„Das Milieu ist konstitutiver/prägender Bestandteil der Identität eines Menschen.“
In diesem Zusammenhang habe ich auch Marx genannt, weil von ihm der Satz stammt:
’Das Sein bestimmt das Bewusstsein’.
Was ist falsch an dieser Feststellung?
Wie glaubst du, dass Bewusstsein entsteht?
Das hat für mich recht wenig mit dem Thema hier zu tun - allein schon, weil schon die meisten Menschen Begriffe wie Bewusstsein, Wissen und Intelligenz durcheinanderwerfen. Allein für den Begriff "bewusstsein" gibt es fast unzählige - aus meiner Sicht zudem großtenteils schwachsinnige - "Definitionsversuche". Meinem persönlichen verständnis am nähesten kommt da noch der internationale Kongress für Bewusstseinsforschung (u.a. ehem. in Göttingen) mit seinem (wie er selbst sagte "Versuch" einer "wissenschaftlichen Definition" als Basis für ein gemeinsames Verständnis der Teilnehmer und Forscher über was man da überhaupt redet - bis dahin war man sich uneinig, welche Definition denn überhaupt brauchbar sei. Aber mal beiseite...
Zudem glaube ich nicht, ich weiß (oder auch nicht, dann gebe ich mir das aber ebenso zu und muß mich im Zweifel damit vorerst abfinden).
Allerdings ist der Beriff "Millieu" auch zieh- und dehnbar wie ein Kaugummi - bedeutet letztendlich das "Umfeld" / die Umgebung (oder "Environment" wie man so schön treffend sagt).
Sicher, wenn einer in Einzelhaft im Knast sitzt - ohne Zugang zu Büchern und Schreibkram wird er sich "millieubedingt" nur sehr schwer weiterbilden können - auch wenn es ein Professor ist. Ebenso wie man aber das Umfeld eines Menschen ändern kann, kann und wird es sich auf seine weitere Entwicklung auswirken - insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. Entsprechend nichts- wie vielsagend ist diese These hier in der Diskussion.
„Die Hürden für den "Ausbruch" aus dem jeweiligen "Millieu" legt die Gesellschaft selbst vor“.
Der Meinung bin ich nicht, weil Bildung die wichtigste Voraussetzung für einen „Ausbruch“ ist.
Nein? Na dann sind wir schlicht verschiedener Meinung.
Ein Bildungsland, in dem ein großer Teil der Schüler heute Fotomodell, Sänger (bzw. "Star") oder vielleicht noch Automechaniker - nach Möglichkeit aber ersteinmal "reich" (finanziell) werden wollen, weil sie darin ihre Vorbilder und Ideale sehen, ist keines. Die Gesellschaft - d.h. die Menschen in der Gesellschaft selbst - bestimmen ihre Werte und was ihnen wichtig ist. Wir leben aber in einer Konsumgesellschaft - nicht in einer Bildungsgesellschaft (beides ergänzt sich auch nicht sonderlich gut). Konsun befriedgigt die meisten 10mal mehr als Wissen. Bildung hat heute einen für die allermeisten untergeordneten Stellenwert, es sei denn man kann daraus ohne großen Aufwand und mit minimalem Hirnschmalzeinsatz sofort neuen materiellen Profit oder Status schlagen.
Wenn Du die Gesellschaft als "Millieu" betrachtes, magst Du wohl teilweise recht haben - aber auch da gibt es schon einige Ausnahmen.
Mir ist u.a. eine Familie z.B. mit 8 Kindern bekannt, wo eine Tochter immerhin ein Physik-Studium absolvierte - die Eltern wie die anderen Kinder gar keinen Schulabschluß schafften / hatten. Nicht selten reicht schon der Umgang mit bestimmten anderen Kindern / Schülern in der Schule, vor allem aber in der Freizeit. In der DDR z.B. waren die Schüler AGs eine wichtige Freizeit-Einrichtung für Interessierte Schüler - deren Eltern waren häufig nicht an Bildung interessiert. Für arbeitende Eltern gab es den Hort, in dem auch gemeinsam Hausaufgaben gemacht wurden. Das heutige "Freizeitangebot" der Schulen / der Bildungslandschaft bietet das jedoch nicht, maximal noch einzelne Jugendvereine. Hier sind allein noch die Eltern gefragt - viele damit aber schlicht überfordert oder einfach uninteressiert.
Eine "Millieuänderung" oder gar "Millieuwechsel" ist nicht zwingend mit einem "Ausbruch" zu erreichen - bei vielen der mir bekannten Beispiele waren vorrangig sukzessive Entwicklungen zu beobachten, nur in seltenen Fällen ein "Ausbruch" oder gar "schlagartige" Änderung. Hier sind gute Vorbilder und aktive, offene Angebote und die Kinder und Jugendlichen meist viel wichtiger.
Allerdings merkt man schon, das es heute / monentan gerade Mädchen erheblich häufiger als Jungs schaffen.
Wer tagtäglich mit Schülern zu tun hat, der bildet sich seine Meinung bestimmt nicht vom „Hörensagen“.
Wieso, bist Du aktiv unterrichtender Lehrer? Als "Lehrer" kennt man seine Kinder (fast) nur aus der Schule und hat nur sehr begrenzten Einfluß auf deren "Millieu", zumal das heutige Bildungssystem kaum bis keine Angebote einer "Millieuänderung" macht bzw. machen will, oder nicht?
Wäre es Dir möglich, mir einige der Privatschulen zu nennen, an denen sogar mehr als 50% Seiteneinsteiger unterrichten?
Ich würde mich nämlich gern mit den Einrichtungen in Verbindung setzen, um deren Erfahrungen kennenzulernen.
Nein, das möchte ich nicht, da ich so u.a. auch die Absolventen dieser (hier in der Gegend bekannten) Schulen diskreditiere, was mir fern liegt. Ich werde Dir aber den Tip und damit zugeben, das es sich bei den meisten von mir genannten um (staatlich anerkannte) berufliche Schulen oder auch Einrichtungen für den (alternativen) Hauptschulabschluß handelt - bei Realschulen habe ich weniger Einblick. Es liegt aber an jedem selbst, meine Feststellung nachzuvollziehen oder zu widerlegen - z.B. durch Recherche im eigenen Bekanntenkreis. Ich spreche zumindest für meine Erfahrungen...
Allerdings halte ich - wenn ich an meine eigene Schulzeit zurückdenke - auch nicht jeden ausgebildeten / studierten Lehrer für einen fähigen Pädagogen, noch weniger für einen guten Erzieher. Ich habe in der Schule von Lehrern noch mehrfach kräftige Prügel bezogen und vielen anderen Unsinn erlebt - für viele war das da noch normal. Manch einer wurde wegen solcher Vorfälle halt einfach an die nächste Schule versetzt, wo er z.T. heute noch lehrt. Aber vielleicht liegen auch meine Ansprüche einfach nur zu hoch...
btw:
Wenn ich heutigen Schulunterricht in der Grundschule z.B. im TV sehe, bei dem die Kinder zu viert um einzelne quer in den Raum gestellte Tische (mehr oder weniger) "sitzen" (oder besser herumtollen), während die Lehrerin die Stunde über meist irgendwo an einem Tisch unterwegs ist, dann frage ich mich, wie man sich bei der Lautstärke und dem Durcheinander überhaupt 4-6h konzentrieren kann? Zu meiner Zeit saß man während des Unterrichts still und gerade - mit dem Gesicht nach vorn. Der Lehrer hatte so alle Im Blick und geredet wurde nur, wenn man gefragt wurde bzw. sich meldete. Wir waren 24 in der Klasse und niemand ist laufend aus der Reihe getanzt. Die Lehrerin war eine "Autorität" und dennoch oft recht beliebt. Das ist heute - schon wegen der noch in Mode befindlichen sog. "anti-autoritären Erziehung" (ich sage sogenannt, weil es meist nicht um die Autorität geht, sondern das Interesse an der stetigen Erziehung der Kinder ist, was den Eltern fehlt) nicht denkbar. Kinder brauchen klare und sichere Haltepunkte wie gemeinsame Regeln und Rituale in der Familie wie in der Schule, damit sie sich wirklich frei und unbeschwert entwickeln können. Viele Kinder erwarten diese sogar von ihren Eltern - bekommen sie aber nicht, weshalb sie regelrecht "am Sender" drehen. Eltern überlassen auch immer mehr Entscheidungen oft ihren immer jüngeren Kindern - die aber sind oft noch gar nicht in der Lage und überfordert, selbst Entscheidungen zu treffen.
Disziplin als Basis für eine konzentrierte Arbeit wird so m.E. nicht anerzogen. mag sein, das man mich für spießig hält, aber ohne Ruhe und Disziplin kann kein Schüler wirklich durchweg konzentriert arbeiten.
Ich sehe keine Einschränkung darin, das Kinder nur in der Pause - nicht aber während des Unterrichts herumtollen oder sich austoben dürfen. Wie sollen die Kinder sonst lernen sich auf eine Arbeit oder Sache mehr als ein paar Sekunden zu konzentrieren? Wie sollen die Kinder überhaupt das Lernen lernen (vor allem, wenn sowas zuhause bisher kein Thema war)? Gerade noch Mädchen sind da öfter im Vorteil, weil sie in dem Grundschulalter ruhiger sind - bekommen deshalb auch meist bessere Zensuren.
Heute beschweren sich viele Lehrer, die Klassen seien heute "viel zu groß" und "unübersichtlich" - ja, bei so einem "Durcheinander" fällt schnell mal ein Schüler durchs Sieb, der nicht laut genug "hier!" schreit. Ähnliches hat die Vielzahl der neuen / getrennten Schulkonzepte gebracht - während man früher erst seine "10. Klasse" (heute vgl. Realschulabschluß) zu machen hatte, dann erst zum Abitur durfte, gehen die Kinder heute schon viele jahre früher auf's Gymnasium. Fällt man beim Abi durch, bleibt häufig nur der Hauptschulabschluß (hoffe ich bin da richtig informiert?...)
Ich denke das die meisten "Schulreformen" und "-konzepte" der letzten Jahrzehnte mehr Unheil als Brauchbares gebracht haben. Es wäre an der Zeit umfassend Resume zu ziehen und aus dem Gelernten ein einfaches, klares wie faires Konzept für alle auf die Beine zu stellen, das möglicherweise auch einzelne Rückschritte bedeuten kann. Privatschulen können gern Alternativen bieten - immerhin beflügelt dies dann den Wettbewerb auch mit den öffentlichen Schulen (sofern diese dann selbst einen 'Qualitätsanspruch' gegen sich hegen).
Andernfalls sehe ich schwarz für "Bildungsdeutschland". Wer aber in der Politik wie in der Fachwelt will schon zugeben, das SEINE auch so dolle große Idee sich schlicht als Müll herauskristallisiert?