Proteste gegen "Turbo-Abitur"?!

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niels
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Proteste gegen "Turbo-Abitur"?!

Ungelesener Beitrag von niels »

Seit einiger Zeit möchte Niedersachsen auch das Abitur binnen 12 Jahren einführen bzw. darauf umstellen. Aus der Schülerschaft wie deren Eltern regen sich heftige Proteste.

In Thüringen sind 12 Jahre "Tradition" - schon in der DDR wurde das Abitur in 12 Jahren absolviert und die Ergebnisse von zahlreichen Schülerwettbewerben zeigen, das die thüringer Schüler keinesfalls schlechter abschneiden als Abiturienten über 13 Jahre. In der DDR hatten Abiturienten nur zwei Jahre Gymnasium - zuvor noch den 10. Klasse-Abschluß in ihrer Heimatschule zu absolvieren.

aber:
Schon heute haben viele niedersächsische Schüler kaum noch Freizeit. Nicht selten sind Schüler von früh morgens in der Schule und kommen erst gegen bis 16:00 oder gar 18:00 Uhr heim - sollen dann noch Hausaufgaben machen. Ich kann mich erinnern, das ich in den zwei Jahren Gymnasium HIG fast täglich um 14:30 Uhr daheim war - dabei war unser Lehrplan wegen der Unsicherheit über die bundesweite Anerkennung besonders voll und straff gehalten worden.

Während man heute die Stundenpläne mit dem PC macht, wurden unsere damals mit Papier und Stift entworfen. Nicht selten gibt es heute "Pausen" über mehrere Stunden - und das bei oft nicht ordentlicher Essens-Versorgung der Schüler in NDS' Schulen. Heutige Schüler kennen oft kaum noch Freizeit - dabei wäre diese gerade in der Entwicklungsphase der Heranwachsenden doch besonders wichtig. Es gibt ja noch andere Dinge, die eine Schule allein nicht vermitteln kann.

Allerdings verstehe ich nicht, wie heute der Großteil der Schüler "allgemein reif" für Hochschulen sein kann. Früher war diese Ausbildung nur den besten vorbehalten. Aus meiner Klasse z.B. waren es nur zwei Leute (von 21). Ein guter Realschulabschluß, der eigentlich für den Zugang zu allen Lehrberufen reichen sollte, ist heute nur noch wenig wert. Ohne Abitur sind viele Lehrberufe nicht mehr zu bekommen - obwohl die Ausbildung in keiner Hochschule erfolgt. Hauptschulabschluß entspricht in etwa einer "Sonderschule".

Offenbar gab es in den letzten 20 Jahren eine Art "Bildungsabschlußinflation", nach der immer höhere / bessere Abschlüsse von allen gefordert werden. Ich habe zumindest das Gefühl, das auch die Qualität vieler Studiengänge und - abschlüsse darunter gelitten hat. Gute Ingenieure z.B. gibt es heute nicht mehr als früher - das zeigt schon der Arbeitsmarkt. Die Zahl der Studenten hingegen ist an manchen Hochschulen auf ein Vielfaches gestiegen - ähnlich auch die Zahl der neuen, "modernen" Studiengänge, die früher max. auf Fachhochschulniveau angesiedelt waren.

Muß heute wirklich jeder studieren? Braucht heute wirklich jeder ein Abitur? Täte man nicht z.B. besser daran, den Realschulabschluß wieder den Wert zu verleihen, den er "offiziell" hat und das Abitur für die wirklich "Guten" ausrichtet?

Sollte man die Stundenpläne optimieren, um den Abiturienten oder allen Schülern zumindest ein Basismaß an Freizeit zu ermöglichen? Das es geht, wenn man will, ist ja bekannt.

Immer mehr Eltern wollen IHRE Kinder auf dem Gymnasium sehen - ob aus Prestigedenken, "weil es jeder macht" oder um den Kindern beste Vorrsaussetzungen für höhere Einkommen zu ermöglichen. Ob auch jeder für eine höhere Bildung oder "wissenschaftliches Arbeiten mit dem Kopf" geeignet ist, bleibt dahingestellt - egal ob nun in Niedersachsen oder Thüringen.


Cheers,


Niels.
Alexxxander
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Re: Proteste gegen "Turbo-Abitur"?!

Ungelesener Beitrag von Alexxxander »

Das Bildungsniveau und Reife eines jungen Menschen, hier eines Schülers,
steht und fällt hauptsächlich mit dem Elternhaus.
Sehr viele Eltern sind mit der Erziehung ihrer Kinder komplett überfordert,
sind viel zu bequem, um in ihre Sprösslinge geistig zu investieren,
verfügen allerdings auch selbst kaum über grundlegende Bildung, so dass sie keine Vorbildfunktion mehr haben.

Die Kinder werden weitestgehend sich selbst überlassen,
lernen nicht, was für das spätere Leben wichtig ist und lernen auch keine Grenzen mehr kennen.
Kommt es zu Schulproblemen, sind immer die Lehrer schuld.

Fehlende Erziehung und mangelnde Bildung im Elternhaus machen die Schulen immer mehr zum Reparaturbetrieb der Gesellschaft,
für das reine Lernen bleibt kaum noch Zeit.
Vollkommen zu Recht hat die Kanzlerin vor Jahren den Vorschlag eines Erziehungspasses gemacht, der zur Zeugung von Kindern berechtigen sollte.
Natürlich Utopie, aber Aussage genug über den geistigen Reifezustand großer Teile der Elternschaft.

Hinzu kommt, dass viele Lehrer kaum noch Autorität besitzen, sich gegen randalierende Schüler nicht mehr durchsetzen können.
Ein Großteil der, oft schlechten, Pädagogen hat resigniert und gibt, unter dem Druck von Eltern und kontraproduktiven Bestimmungen hinsichtlich Notengebung, Gefälligkeitsnoten.

Die Pisastudien haben bisher stets gezeigt, dass wir bildungsmäßig Entwicklungsland geworden sind.
Trotzdem wird von Seiten der Politik nichts unternommen, Missstände zu beseitigen.
Würden wir, gemessen am Bruttosozialprodukt, für Bildung soviel Geld bereitstellen wie der Pisa-Dauersieger Finnland,
müsste der derzeitige Bildungsetat um ca. 45 Milliarden € aufgestockt werden.
Von nichts kommt nichts.

Alles was die Politik zustande bringt ist Schaumschlägerei wie z.B. die Namensänderung für Hauptschule,
als ob dadurch ein besseres Leistungsniveau erreicht werden könnte.

Auch die Spaßpädagogik hat m.E. Anteil am Niedergang des einmal weltweit vorbildhaften deutschen Bildungssystems.
Sie kann Erziehung zu Leistung und Disziplin nicht ersetzen, ganz im Gegenteil.
Wenn Unterricht mit Computerspielen und Musikvideos konkurrieren will, ist es eh schon fünf nach zwölf.

Welche Maßnahmen wurden ergriffen, um das katastrophale Bildungsniveau zu heben?
Die Bildungsstandards wurden immer weiter zurückgefahren (!!!)
z.B. Senkung des geforderten Grundwortschatzes für Grundschüler bis zur 4.Klasse von 1100 auf 700 Wörter,
je nach Bundesland 2/3 oder 50%-Erlasse d.h., mindestens 2/3 bzw. mindestens die Hälfte der Schüler muss mit ausreichend oder besser benotet werden,
sonst muss eine Klassenarbeit wiederholt werden.
Folge dieser unsinnigen Bestimmung, die Lehrer heben das Notenniveau so an,
dass sie die Arbeit nicht wiederholen müssen.
Eine wahre Schildbürgerstreich-Orgie.

In vielen Klassen drücken Ausländerkinder mit mangelhaften Sprachkenntnissen das Leistungsniveau.
Wer die deutsche Sprache nicht beherrscht, sollte auch keine deutsche Schule besuchen dürfen.
Mit falscher Rücksichtnahme bzw. Toleranz sägen wir uns den eigenen Ast ab.

Die Aufzählung zeigt, dass die Bildungsmisere viele Ursachen hat und nur behoben werden kann,
wenn Bildung wieder die Bedeutung zukommt, die sie einmal hatte,
nämlich höchstes Gut einer Gesellschaft, das deren Fortbestand und Wohlstand sichert.
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niels
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Re: Proteste gegen "Turbo-Abitur"?!

Ungelesener Beitrag von niels »

...Erziehungspass? Vorschlag von der Kanzlerin?

Hab ich da richtig gehört oder ist da jemand schon heute im 1. April? Zuweilen nachvollziehbar klingt es jedenfalls (nur wie bloß realisierbar ;)...

Niels.
Alexxxander
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Re: Proteste gegen "Turbo-Abitur"?!

Ungelesener Beitrag von Alexxxander »

Das ist ein Vorschlag aus der Zeit als Familienministerin.
Angesichts der vielen unglaublich unreifen Eltern sehr sinnvoll.

Für alles benötigt man nicht nur in Deutschland einen Befähigungsnachweis,
Gesellenprüfung, Meisterbrief, M.A.,Diplom etc.

Ohne jegliche Ausbildung darf man jedoch Kinder in die Welt setzen und erziehen
und das Wahlrecht bekommt man auch automatisch mit Vollendung des 18.Lebensjahres
ohne den Nachweis politischer Mündigkeit erbringen zu müssen.

Ergo muss man sich nicht wundern, wenn sich elterliche Unfähigkeit weiter fortpflanzt
und wir von unfähigen Politikern regiert werden.

Wenn mich nicht alles täuscht, nennt man Letzteres Demokratie (demos = Volk, kratie = Herrschaft)
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niels
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Re: Proteste gegen "Turbo-Abitur"?!

Ungelesener Beitrag von niels »

Das ist ein Vorschlag aus der Zeit als Familienministerin.
Angesichts der vielen unglaublich unreifen Eltern sehr sinnvoll.
Ich habe mich manchmal schon ähnliches gefragt, aber WIE willst Du das in der Praxis realisieren? Ich sehe da eine Menge verfassungs- und menschenrechtlicher Bedenken wie Hürden.

Will man z.B. Schwangere ohne Pass zwangsabtreiben - oder wie willst Du die Schwangerschaft verhindern (mit Kondom oder Pille per Gesetz?)? WO will man die Hürde festsetzen und an welchen Kriterien?

Dürfen z.B. Hartz IV Empfänger oder Hauptschulabgänger automatisch keine Kinder bekommen? Es gibt auch reiche und "gut situierte" Eltern, bei denen es mit Erziehung ähnlich schwach aussieht.

Ich denke das ein besseres und lückenloseres öffentliches Erziehungs- wie Gesundheitssystem (schon ab Kleinkindalter) besser helfen würde - nicht selten gibt es Kinder auch aus ärmsten und ungebildeten Verhältnissen, die selbst eine hohe Bildung erreichen - auch wenn das (leider) nicht die Regel ist. Dort, wo es Verwahrlosung gibt, sollte schneller mit beigestellten Helfern geholfen und nötigenfalls auch eingegriffen werden.
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Re: Proteste gegen "Turbo-Abitur"?!

Ungelesener Beitrag von Alexxxander »

Ich denke, der damalige Vorschlag von Merkel war nicht ernst gemeint. Sie wollte vielleicht nur darauf hinweisen, was angesichts der Erziehungsmisere erforderlich wäre. Natürlich ist so etwas nicht realisierbar, erinnert stark an “1984“.

Es ist allerdings auch eine Utopie zu glauben, mit staatlicher oder sonstiger Hilfe etwas gegen kaputte Familienverhältnisse ausrichten zu können. Einzig sinnvolle Lösung wäre, Kinder aus solchen Familien in eine andere Umgebung zu verpflanzen. Auch eine Utopie, nicht zuletzt auf Grund der hohen Anzahl betroffener Kinder und Jugendlicher.

Vor Jahren hatte ich ein Gespräch mit dem Direktor der privaten, reformpädagogischen ’Odenwaldschule’ bei Bensheim (nahe Heidelberg).
Dort wird in jedem Schuljahr auch ein bestimmter Prozentsatz verwahrloster Jugendlicher aufgenommen. Die Kosten von ca. 2.500 € monatlich bezahlt das Sozialamt. Diese Schüler dürfen nur einen Teil der Ferien in ihren Familien verbringen. So will man verhindern, dass sie rückfällig werden. Obwohl sie in der Odenwaldschule sehr viel Einzelbetreuung erfahren, müssen die allermeisten von ihnen die Schule nach 1 Jahr wieder verlassen, weil sie einfach leistungsunwillig und nicht integrierbar sind.
Das ist die Realität.
Erschreckend ist die rasant steigend Zahl von Problemkids, vor allem auch derjenigen mit Migrationshintergrund, die zu einer immer größeren Belastung und Gefahr für unsere Gesellschaft werden. Da helfen eigentlich nur noch radikale Erziehungskuren, wie sie relativ erfolgreich in den USA zur Anwendung kommen.
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niels
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Re: Proteste gegen "Turbo-Abitur"?!

Ungelesener Beitrag von niels »

Ja, sicher. Auch mit staatlicher Hilfe wird man viele "zerrüttete" Familienverhältnisse kaum ändern können. Dennoch bin ich überzeugt, das viel mehr getan werden könnte, als es bisher z.B. passiert.

In der DDR gab es schon ab der Kinderkrippe eine durchgehende / flächendeckende Versorgung mit Krippen- und Kindergartenplätzen. Die meisten Frauen in der DDR gingen arbeiten, was heute meist nicht denkbar wäre. Heute sieht man viele Frauen, die nicht ein Jahr in ihrem gelernten Job gearbeitet haben - der Kinder wegen oder weil die Rückkehr in den Arbeitsmarkt nach vielen Jahren nur sehr schwer möglich ist.

Auch in der Schule gab es mit Hort usw. eine Ganztagesbetreuung. Meiner Erinnerung nach wurde die Krippe, Kindergarten und sogar der Hort vom Großteil der Kinder besucht - selbst wenn ein Elternteil daheim war.

Ich könnte mir schon vorstellen, das z.B. Kinder aus kritischen Familien oder mit schlechten Schulergebnissen - notfalls auch per Auflage (Familiengericht, Gesetz o.ä.) - diese Einrichtungen besuchen müssen. Bisher gibt es nur die Option, Kinder in einem Heim o.ä. unterzubringen, das aber wäre - da gebe ich Dir Recht - Utopie (und auch nicht immer nötig). Das ein Kind aber nur schwer lernen, sich aber auch noch schwerer entwickeln kann, wenn es daheim z.B. laut plärrende Fernseher, keine Kommunikation mit den Eltern und keine gemeinsamen Mahlzeiten gibt, ist mir klar - gerade hier sollten o.g. Einrichtungen eine gute Alternative bieten.

Die dort arbeitenden "Pädagogen" sollten sich nicht nur auf die schulischen Ergebnisse beschränken, sondern den Kindern bei der sozialen Entwicklung helfen. Nur so bietet man auch denen einen Ausweg, deren Eltern das nicht interessiert. Aus der DDR oder meiner damaligen Schulklasse sind mir mehrere solcher "Fälle" in Erinnerung, wo die Kinder aus Eigeninitiative die Kurve gekriegt haben - teils sogar "gegen" ihre Eltern, die von Bildung wenig hielten.

Es sollte also mehr Angebote geben - im Zweifel aber auch Unterstützung der Kinder, deren Eltern das nicht interessiert.
Christel
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Re: Proteste gegen "Turbo-Abitur"?!

Ungelesener Beitrag von Christel »

Das Wort „Turbo-Abitur“ suggeriert, dass
a) dadurch die Schüler überfordert werden,
b) dies kein vollwertiges Abitur ist.

Erschwerend kommt zur die Beurteilung hinzu, dass Bildung Ländersache ist. Das heißt, das Wissen wie etwas in den verschiedenen Bundesländern gehandhabt wird ist begrenzt.

Wir in Thüringen wissen, dass das Abitur in 12 Jahren machbar ist und PISA bestätigt, dass es kein Abitur mit Abstrichen ist.

Dass Problem Ausländerkinder mit mangelhaften Sprachkenntnissen dürfte in Thüringen zu vernachlässigen sein, am Gymnasium sowieso. Es ist wohl anzunehmen, dass jemand der das Gymnasium besucht, ob nun mit oder ohne Migrationshintergrund, der deutschen Sprache mächtig ist. Es gibt Kinder mit Migrationshintergrund, die sind Spitze.
„Jesus Christus, der Auferstandene, das bedeutet, dass Gott aus Liebe und Allmacht dem Tod ein Ende macht und eine neue Schöpfung ins Leben ruft, neues Leben schenkt.“ Dietrich Bonhoeffer (Das Wunder der Osterbotschaft)
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Re: Proteste gegen "Turbo-Abitur"?!

Ungelesener Beitrag von Alexxxander »

Natürlich sind die Schüler mit dem 12-jährigen Abitur komplett überfordert!
Warum werden denn bundesweit seit Jahren die Leistungsstandards ständig zurückgefahren? Doch nicht, weil die Schüler den Anforderungen entsprechen.
Warum haben wir bei Studenten bundesweit eine reale Abbrecherquote von 50%
(nicht die offizielle, die geschönt ist)?

@Christel
Ein Studienkollege von mir ist Professor für Didaktik. Der hat im letzten Semester eine Klausur mit dem halben Schwierigkeitsgrad wie im WS 1991/92 schreiben lassen, aber nach den damaligen Standards benotet. Ergebnis: 85% mangelhaft. Und das in Didaktik, dem wichtigsten Fach in der Lehrerausbildung. In allen anderen Studienfächern sieht es nicht besser aus. Ein Großteil der Studenten ist heute nicht mehr in der Lage, logisch konsistent zu denken, dementsprechend fallen deren Referate, Staatsexamens- oder Diplomarbeiten aus.

Das deutsche Abitur, an staatlichen Gymnasien abgelegt, kannst du im Vergleich mit dem an Privat- oder reformpädagogischen Schulen vergessen.
Warum haben Leute wie Helmut Kohl, Richard von Weizsäcker nebst Geschwister, die Porsches, die Straußnachkommen etc, etc. ihre Kinder auf teure Privatschulen im In- und Ausland unterrichten lassen? Bestimmt nicht, weil diese Schulen schlechter als die staatlichen deutschen Gymnasien sind.

Die Masse der Kinder mit Migrationshintergrund sind alles andere als Spitze, Einzelfälle als Gegenbeweis anzuführen taugt nicht. Besonders in Grund- und Hauptschulen aber auch in Realschulen stellen Ausländerkinder ein großes Problem dar. Nicht zuletzt ihretwegen fallen die Pisastudien so schlecht aus. Geh doch mal in sog. Brennpunktschulen, dort wirst du mit der Realität Bekanntschaft machen.
Christel
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Re: Proteste gegen "Turbo-Abitur"?!

Ungelesener Beitrag von Christel »

Alexxxander hat geschrieben:Natürlich sind die Schüler mit dem 12-jährigen Abitur komplett überfordert!
Wie kommst Du darauf?

Das Niveau ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich. Das liegt nicht an dem einen Jahr:
In Thüringen machen die Schüler z.B. in 12 Jahren Abitur. Sie sind nicht schlechter als andere, die in 13 Jahren Abitur machen.

Das Abitur gibt es in Deutschland nicht. Siehe Stichwort Zentralabitur:
http://de.wikipedia.org/wiki/Zentralabitur

Es wird auch beim Abitur unterschiedlich viel gefordert.

Dort wo in 12 Jahren das Abitur erreicht wird (Sachsen und Thüringen) fiel die PISA Studie überdurchschnittlich gut aus.

http://www.mdr.de/thueringen/5924426.html
Thüringen belegt im PISA-Test Platz drei
Thüringen hat beim aktuellen PISA-Test besser abgeschnitten als in den vergangenen Jahren. In den Disziplinen Lesen, Textverständnis und in den Naturwissenschaften hat das Land nach Sachsen und Bayern als drittbestes Bundesland abgeschnitten. In der Mathematik liegt Thüringen auf Platz vier hinter Sachsen, Bayern und Baden-Württemberg
Alexxxander hat geschrieben: Warum haben wir bei Studenten bundesweit eine reale Abbrecherquote von 50%
Dies wäre ein Argument, wenn es bei denen, die in 12 Jahren das Abitur machen eine höhere Abrecherquote gäbe. Ich wüßte nicht, dass dem so wäre.
Natürlich wird an der Uni sehr viel mehr verlangt als beim Abi.

Die Abbrecherquote könnte am Wissenstand liegen, nach 12 Jahren ist der nicht geringer als nach 13 Jahren. Die Prüfungen zeigen das...
Aber vielleicht auch daran, dass so mancher in der Schule nicht gelernt hat zu lernen. 13 Jahre unterfordert und dann den Sprung nicht geschafft. Es gibt Kinder, die langweilen sich auf dem normalen Gymnasium.

Privatschulen ist eine andere Sache. Ich habe von einer gehört, da können die meisten Kinder bereits vor der Einschulung lesen. Es wird also schon in der Grundschule ein ganz anderes Niveau gehalten.
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Re: Proteste gegen "Turbo-Abitur"?!

Ungelesener Beitrag von Alexxxander »

Das derzeitige Abitur ist niveaumäßig weit unter dem von vor 20 oder mehr Jahren angesiedelt und zwar bundesweit.
Das deutsche Abitur, ausgenommen Privat- und reformpädagogische Schulen, ist so schlecht, dass an vielen Universitäten inzwischen Probesemester eingeführt wurden.

Was zu meiner Zeit undenkbar war ist inzwischen an vielen Universitäten Normalität, dass nämlich Sprach- und Grammatiknachhilfekurse für Germanistikstudenten (!!!) eingeführt werden mussten. Bestimmt nicht deshalb, weil das Abiturniveau im Vergleich zu früher gestiegen ist.

Es geht nicht darum, dass und welche Unterschiede es zwischen den einzelnen Bundesländern gibt, sondern dass überall zurückgefahren wurde.
Wenn Deutschland sich weiter am Mittelmaß orientiert, wird der Absturz unseres Leistungsniveaus sich noch mehr beschleunigen als bisher.

Hinsichtlich Allgemeinbildung herrscht bei deutschen Abiturienten Totalflaute.
In einzelnen Leistungsfächern dressiert, sind sie nicht fähig, über den Tellerrand zu schauen wobei festzustellen ist, dass sie vielleicht gerade noch verstehen, was sie
sich meistens durch Auswendiglernen eintrichtern, es aber nicht begreifen. Dies gilt in erschreckendem Maße besonders für die naturwissenschaftlichen Fächer.

Inzwischen haben sich einige Universitätsdekane entschlossen, den Niedergang des deutschen Schulsystems nicht weiter als gottgegeben hinzunehmen und fordern von allen Studenten, gleich welcher Fakultät, eine Art Studium generale. Die Universität Lüneburg ist in dieser Hinsicht Vorreiter in Deutschland und wurde sowohl von der Bundesregierung als auch vom Land Niedersachsen dafür ausgezeichnet.

Bayern war lange Jahre das Aushängeschild für gutes Abitur, aber auch dort mussten die Lehrpläne in den letzten Jahren immer wieder beschnitten werden, um die Durchfallquote in Grenzen zu halten.

Wer glaubt, dass unser Schulsystem mit dem in anderen Ländern konkurrenzfähig ist, der kann sich in den nordischen Staaten oder z.B. in Kanada schnell vom Gegenteil überzeugen. Neben denen sind wir Entwicklungsland.
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niels
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Re: Proteste gegen "Turbo-Abitur"?!

Ungelesener Beitrag von niels »

Ein "studium generale" gab es schon 1993/94 in Thüringen für ingenieurwissenschaftliche Studiengänge (vorgeschrieben). Inwieweit das helfen mag, sei dahingestellt - ich find's allein ein bischen spät...

Beschwerden hört man u.a. auch aus Der Wirtschaft über die neuen "internationalen" Abschlüsse a la Bachelor und Master, die angeblich qualitativ nicht mehr mit dem Diplom (Ing.) mithalten können.

Bei der Arbeit Im Irak traf ich verwundert z.B. einige Absolventen eines dortigen Informatik-Studiums (Bachelor und Master) - die wußten nicht viel mehr über IT als ev. der PC-Händler um die Ecke. Praktische Software programmieren konnten die z.B. gar nicht und außer Windows konnten die kein Betriebssystem benutzen / bedienen.

Wir sind nun auch dabei unseren traditionellen Vorsprung zu verspielen (oder einfach zu "verschlampen").
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Re: Proteste gegen "Turbo-Abitur"?!

Ungelesener Beitrag von Christel »

Ich denke nicht, dass man die Abschlüsse von vor 20 Jahren so unbedingt vergleichen kann...
Es ändern sich ständig Ansprüche und damit Inhalte.
Alexxxander hat geschrieben:Bayern war lange Jahre das Aushängeschild für gutes Abitur, aber auch dort mussten die Lehrpläne in den letzten Jahren immer wieder beschnitten werden, um die Durchfallquote in Grenzen zu halten.
Nun, ich denke es gibt schon Unterschiede zwischen Bayern und Niedersachsen...

Aber ich verstehe nicht, warum man die Durchfallquote beim Abitur senken will, indem man die Ansprüche senkt? – Wieso Abitur für alle? Wäre es nicht besser statt auf Masse auf Qualität zu achten?
niels hat geschrieben: Bei der Arbeit Im Irak traf ich verwundert z.B. einige Absolventen eines dortigen Informatik-Studiums (Bachelor und Master) - die wußten nicht viel mehr über IT als ev. der PC-Händler um die Ecke. Praktische Software programmieren konnten die z.B. gar nicht und außer Windows konnten die kein Betriebssystem benutzen / bedienen.
Demnach ist im Ausland doch nicht alles besser.

Ich denke, dass der Fehler teilweise schon in den Anfängen liegt.

Wenn in der Grundschule, der Lehrer erst einmal anfangen muß zu erziehen...
Schulfähigkeit setzt nicht nur die Kenntnis der deutschen Sprache voraus, sondern auch die Fähigkeit sich eine Weile konzentrieren zu können… - Achtung vor anderen Menschen, für Erstklassler nicht in jedem Fall selbstverständlich.

Ich habe nichts gegen unterschiedliche Bildungskonzepte, aber wenn Kinder erst einmal schreiben können wie sie wollen... und erst ab 3. Klasse werden Fehler korrigiert, dann finde ich das zu spät. Zu diesem Zeitpunkt haben sich längst falsche Schreibweisen eingeprägt.

Vielleicht könnte man ja doch Schulpflicht durch Lernpflicht zumindest teilweise ersetzen?
Die Schüler müßten dann regelmäßig Prüfungen ablegen. Dazu gäbe es Kursangebote ohne Nutzungspflicht.
Es ist egal wie jemand etwas lernt, es kommt aufs Können an.
„Jesus Christus, der Auferstandene, das bedeutet, dass Gott aus Liebe und Allmacht dem Tod ein Ende macht und eine neue Schöpfung ins Leben ruft, neues Leben schenkt.“ Dietrich Bonhoeffer (Das Wunder der Osterbotschaft)
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Re: Proteste gegen "Turbo-Abitur"?!

Ungelesener Beitrag von Alexxxander »

@Christel
Qualität statt Masse kann ich voll unterschreiben. Leider sieht die Realität ganz anders aus, selbst Examina an den Unis werden, im Vergleich zu früher, mittlerweile fast geschenkt.

Was den Irak anbetrifft, so kann das Land nicht Maßstab für unsere Ausbildung sein. Außerdem kann man von den Erfahrungen dort nicht auf das gesamte Ausland schließen. In den nordischen Staaten, mit einer 200-jährigen reformpädagogischen Erfahrung steht der Mensch im Mittelpunkt, bei uns allein die Leistung. Nicht von ungefähr stehen diese Staaten jedes Mal an der Spitze der Pisastudien.

Du sprichst das Hauptproblem an, dass nämlich die Schule inzwischen zu einer Erziehungsanstalt verkommen ist, weil sehr viele Elternhäuser ihren Kindern in keinerlei Hinsicht etwas auf den Weg mitgeben können, weil sie selbst noch unreif sind und zu erziehen wären.

Was falsche Schreibweise anbetrifft kann ich Dir nicht zustimmen.
In reformpädagogischen Schulen (Waldorfschulen, Montessorischulen etc.) bekommen die Kinder bis in die 10.Klasse und teilweise darüber hinaus keine Noten. Ihre Rechtschreibung ist teilweise schlimm, aber trotzdem wird niemand in Richtung bessere Rechtschreibung dressiert. Du würdest staunen, dieselben Schüler im nachpubertären Alter zu erleben, dann sind sie nahezu perfekt.

Der staatliche Lehrplan schreibt bestimmte Zeitpunkte vor, zu denen die Kinder lesen oder das Einmaleins bis 10 beherrschen müssen. Dabei wird keine Rücksicht auf den unterschiedlichen Entwicklungsstand von Schülern genommen und bereits in der 1.Klasse werden so Verlierer produziert.

Notengebung im vorpubertären Alter ist entwicklungspsychologisch das Falscheste was man machen kann, weil Kinder bereits im ersten Schuljahr, einer überaus wichtigen Prägungsphase im Leben eines Menschen, ein Selbstbild entwickeln, an dem sie sich meist ihr ganzes Leben lang orientieren.
Einmal Verlierer, immer Verlierer könnte man sagen.
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Re: Proteste gegen "Turbo-Abitur"?!

Ungelesener Beitrag von niels »

Was den Irak anbetrifft, so kann das Land nicht Maßstab für unsere Ausbildung sein.

Ist es aber (auch) durch die Einführung der internationalen Studeinabschlüsse Bachelor und Master - die einen "international einheitlichen Abschluß" abbilden sollen - geworden (so zumindest der Tenor aus vielen Unternehmen die Ingenieure benötigen, weshalb einige die Rückkehr zum "tradiotionellen" Diplom fordern.).
Außerdem kann man von den Erfahrungen dort nicht auf das gesamte Ausland schließen.
Ja und nein. Zum einen sieht es in sehr vielen anderen Ländern kaum besser aus. Selbst in Idien und China - den Ländern, die aus ihrer Selbsbetrachtung heraus ein "überhaus hohes Potential" an "Wissenschaftlern und Ingenieueren" bieten - habe ich selten neinen wirklich guten (d.h. fundiert ausgebildeten) Ingenieur oder Wissenschaftler getroffen. Sicher gibt es auch dort solche - die meisten dortigen Ansolventen zähle ich aber nicht dazu.

Nur weil man sich einbildet, "gut" zu sein, muß das im Vergleich noch lange nicht stimmen. Kommt halt drauf an, was man für Maßstäbe anlegt.
In den nordischen Staaten, mit einer 200-jährigen reformpädagogischen Erfahrung steht der Mensch im Mittelpunkt, bei uns allein die Leistung. Nicht von ungefähr stehen diese Staaten jedes Mal an der Spitze der Pisastudien.

In DEN Staaten nicht unbedingt - in einigen davon schon. Ganz ohne Leistung geht es auch dort nicht, allerdings habe ich den Eindruck, das differenzierter auf die Talente und Möglichkeiten der einzelnen Schüler eingegangen wird.
Du sprichst das Hauptproblem an, dass nämlich die Schule inzwischen zu einer Erziehungsanstalt verkommen ist, weil sehr viele Elternhäuser ihren Kindern in keinerlei Hinsicht etwas auf den Weg mitgeben können, weil sie selbst noch unreif sind und zu erziehen wären.
Nein, die Schulen sind keine Erziehungsanstalt, weil bisher nicht in der Lage auf die Erziehung der Schüler einzugehen. Deshalb bekommen die Schüler, die zuhause kaum Erziehung genießen auch dort keine...

Schaust Du Dir mal die nordischen Schulen genauer an, wirst Du feststellen, das dort auch die Erziehung der Schüler / Kinder maßgeblich integrierter Teil der Schulausbildung bzw. des schulischen Lebens ist. Dort wird nicht nur Wissen vermittelt, sondern vor allem bei der Persönlichkeitsbildung unterstützt, individuelle Talente geschult und auf mehr Können statt Wissen gezielt.

Ähnliche (i.d.R. bisher private) Schulprojekte gibt es mittlerweile auch in Deutschland. Dorthin können zwar meist nur wenige der Schüler gehen - aber die Option ist da, solange die Eltern das möchten (weshalb auch nur diese Kinder erreicht werden).

Wenn Deutschland tatsächlich ein "Bildungsland" werden möchte, müssen jedem Kind solche Optionen offen stehen - auch unabhängig vom Elternhaus. Dennoch halte ich dabei eine weitere Differenzierung der Abschlüsse und Standards für allen dienlich. Es hilft keinem, wenn bald alle ein Abitur (immerhin "allgemeine Hochschulreife") haben, aber nur wenige an der Uni dann mehr als 2 Semester schaffen. An einer FH für WiWi habe ich selbst erlebt, das man dort benotete (!) Taschenrechnerarbeiten in Mathematik schreiben musste, da viele erst einmal den grundlegenen Umgang mit ihrem (oft sehr teuren) Taschenrechner erlernen mussten.

Während z.B. in Afrika oder Asien viele Eltern allein für den Schulbesuch ihrer Kinder hart arbeiten gehen, präferieren heute dagegen nicht wenige Deutsche doch den Kauf z.B. eines Flachbild-Fernsehers oder größeren Autos.
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