Terrorismus, Mord und Totschlag ohne Vorratsdaten?

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niels
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Terrorismus, Mord und Totschlag ohne Vorratsdaten?

Ungelesener Beitrag von niels »

Herr Schäuble wälzt sich seit gestern Abend unruhig im Schlaf und auch Herr Bosbach (CDU) wacht seit knapp zwei Jahren wieder schweißgebadet mitten in der Nacht auf.

"Wir haben keine Vorratsdaten mehr!...". Damit wird es nun unmöglich, Terrorismus abzuwehren und schlimmste Straftaten aufzuklären. Auch die Kinderpornographen können nun wieder "beruhigt" ihren schlimmen Untaten zuwenden... "Deutschland ist nicht mehr sicher!" - so die aktuelle Parole und einhellige Reaktion aus CDU auf die seit langem erwartete Entscheidung des Verfassungsgericht, welches die durch die CDU - damals im Rahmen der "Terrorbekämpfung" entgegen geltenden Freiheits- und Persönlichkeitsrechten eingeführt wurde, nicht zuletzt weil es die Amis unter Bush - mit ihrem allseits beliebten "Patrioten-Gesetz" ebenso machten (wie auch Guantanamo, die Überwachung von Bürgerrechtsgruppen bis zum einfachen Buchkäufer...).

Dabei sah die CDU eigentlich sogar vor, das alle "Verbindungsdaten" - zu denen heute u.a. auch die kompletten Bewegungsprofile eines Handy-Nutzers wie bei Bedarf auch biometrische Sprachsignaturen gehören - gleich generell über ganze 15 Jahre zu speichern. Auf Druck von Verfassungsrechtlern wie der EU musste man die Datenhaltung dann doch auf "lediglich" ein halbes Jahr einschränken.

Nach Verkündung der Entscheidung haben gleich eine ganze Reihe der großen Provider und Telcos alle bisher gespeicherten Verbindungsdaten unwiderbringlich gelöscht, da wohl viele einen "Neuentwurf" durch die CDU erwarten, der sich an der aktuellen Entscheidung "vorbei" bewegt. Für diesen Fall haben Bürgerrechtsgruppen wie der "Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung" (AK Vorrat) - die u.a. die aktuelle Sammelklage von immerhin über 35.000 Klägern (!) mitinitiiert haben - bereits in Erwägung, eine erneute Verfassungsklage zu initiieren, die die in der aktuellen Entscheidung bisher nicht berücksichtigten "Generalverdächtigung" aller Bürger für verfassungwidrig erklären lassen will.

Die verspochene Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung bei der "Terrorbekämpfung" konnte bisher nicht gezeigt werden (auch wenn dies von einigen CDU-Leuten, die Computer wohl für Maschinen halten, die beim booten bunte Farbe in den Bildschirm pumpen gegenteilig behauptet wird). Selbst einige hochrangige Polizeigewerkschfater haben noch vor Monaten eingeräumt, das die Wirksameit der Vorratsdatenspeicherung "zweifelhaft" sei und die wenigen Fälle mit terroristischem Hintergrund doch letztendlich allein mit "klassischer Ermittlungstätigkeit" gelöst / verhindert werden konnten.

Stattdessen bedienen sich Ermittler heute fast ausschließlich in "nicht-terroristischem" Kontext in den Daten. Genau das aber war und ist im alten Gesetz nicht vorgesehen - es widerspricht auch den im Rechtsstaat geltenden Rechtsgrundsatz, das keinen Generalverdacht erlaubt.

Wir haben auch vor 2 Jahren gut und nicht unsicherer gelebt. Das extrem hohe Mißbrauchspotential wie die Umkehr höchstschützenswerter rechtsstaatlicher Prinzipien sind ein erster Schritt in den Überwachungs- und Kontrollstaat.

Ein Staat, der seinen Bürgern nicht traut, auch auch das ihn ihn gesetzte Vertrauen durch die Bürger verwirkt.

Das von vielen technischen wie juristischen Laien zu hörende Argument: "Ich habe doch nichts zu verbergen" verharmlost unbewusst eine höchstgefährliche Entwicklung. Wozu muß ein Staat wissen, wo ich wann wie lange und mit wem im Umfeld ich mich vor 10 Jahren aufgehalten habe? Er braucht und soll es ebenso auch nicht für gestern wissen. Das geht ihn nichts an. Hat er einen begründeten Verdacht gegen mich, kann er die üblichen rechtsstaatlichen Ermittlungsmethoden verwenden um mich einer Straftat zu überführen.

Auch die zukünftige Kriminalprävention und Ermittlungsarbeit wird nicht ohne klassische Ermittlertugenden und - arbeit auskommen. Wer meint, er könne als Ermittler seinen Arbeitsplatz an Maus und Tastatur verlegen, hat seinen Be3ruf weder verstanden noch die Prinzipien des Rechtsstaates verinnerlicht.

Ich finde es besorgniserregend, wie seit 1-2 Jahren alte, schon mit den technischen Grundlagen der modernen Kommunikationstechnik auf der die Kommunikationsgesellschaft fußt, höchst überforderte Leute in der Politik ihre höchst persönliche Angst vor'm "nicht Begreifbaren" in juristisch-rechtsstaatlich wie technologisch unsinnigste, unbrauchbare und zuweilen lächerliche immer neue Gesetzesentwürfe müntzen, die ihnen nicht schnell genug umgesetzt werden können - entgegen der Stimmen aus allen einschlägigen Fachkreisen wie IT, Jura und Sozialwissenschaften..

Nebenbei:
Es ist nicht erst seit heute für jeden kaum geübten Internetanwender höchstwirksame Verschleierungslösungen bei der Internetnutzung einzusetzen. Für einige gibt es fertig nutzbare, ferei Programme, die Anwender selbst an aktuellen Handys per Klick installieren und in Gang setzen können. Die Anwendungen leiten alle Kommunikation mehrfach hart verschlüsselt über gleich eine ganze Reihe zufällig zusammen / hintereinandergeschalteter Serveradressen weltweit, so das eine Verfolgung belegbar unmöglich ist. Es ist irrig anzunehmen, das nun gerade Terroristen so blöd sind und ihre Kommunikation nicht derart zu sichern und zu verschleiern.

Eigentliches Ziel dieser Gesetze ist nicht der "islamische Terrorist", sondern der einfache Deutsche. Da geht es um Steuerhinterziehung, Urheberrechte ("illegale" Musik, Film oder Softwaredownloads) oder was auch sonst noch alles "interessant" werden könnte. Man wird dann wohl anhand des Stromverbrauches eines Haushalts ermitteln können, ob sich dort eine zusätzliche Person aufhält oder ein nicht bei der GEZ gemeldeter Fernseher läuft usw. - auch wenn dies bisher so noch nicht vorgesehen ist. Das diese Gesetze zu unserem "Schutz" verwendet werden, kann nur derart gedeutet werden.

Die vor 15 Jahren eingeführte "erweiterte" Telefonüberwachung - die es vorher zuletzt in der DDR (illegal! Durch die Stasi...) gab, war / "ist" übrigens auch nur unter Richtervorbehalt erlaubt - dennoch sind wir Deutschen Weltmeister bei der Telefonüberwachung. Im Schnitt wird jeder 5. deutsche jedes Jahr min. einmal von einer Überwachungsmaßnahme "erfasst". Das sollte uns zu denken geben. Immerhin sid die, die derart höchstpersönliche Daten in Verantwortung haben / bekommen auch nur Menschen, unsere Nachbarn oder auch weniger freundliche Mitmenschen, die wir uns oft nicht aussuchen können.

Herr Bosbach! Herr Schäuble! Sie werden es kaum glauben, aber nicht wenige junge Deutsche schlafen nicht nur auch ohne Überwachung gut und fest - viele sogar noch viel ruhiger und fester. Jede "präventive" Überwachung ist unrechtsstaatlich und gehört in die Schublade "Stasi 2.0", auch wenn die Oktoberfestbetreiber alle Besucher biometrisch mit Gesichtsknochen erfassen (ohne deren Wissen) und Datenschutz Ihnen eher Last als Pflicht ist.

Aber: Ihnen beiden empfehle ich einen der auch von Ihrer VHS angebotenen "Internet-Grundkurse" da ich hoffe, das diese Ihnen wenigstens die wichtigsten Grundlagen vermitteln kann. Das Internet ist weder "Hort des Bösen" noch "Quelle der Gewalt" - es wird ausschließlich von Menschen gemacht und genutzt, ganz normalen Menschen - wie eh und jeh. Paranoia und PTBS waren nie geeignete Basis für sachliche Politik.

Cheers,


Niels.
Heinrich5

Re: Terrorismus, Mord und Totschlag ohne Vorratsdaten?

Ungelesener Beitrag von Heinrich5 »

Die Rechnung dafür geben die Provider dann leider wieder an uns, die Nutzer, weiter. Das Internet könnte für uns wieder teurer werden.

Bei den Providern sind sämtliche Vorratsdaten zentral in ihrem Hochsicherheits-Rechenzentrum an einem geheimen Ort auf Servern - also besonders großen Computern - gespeichert. Egal ob Handy-, Internet-, oder Telefonverbindungen, alles wurde hier im gesetzlich vorgeschriebenen Zeitraum von sechs Monaten erfasst und gespeichert. Auf den Servern ist ein Datenbanksystem installiert, also eine leistungsstarke Software, mit deren Hilfe die gewaltige Menge an unterschiedlichen Rufnummern, Zugriffen und Uhrzeiten ordentlich protokolliert werden konnte.

Weder die Telekom noch Vodafone haben bislang entschieden, was sie mit den teuren Geräten und Computern machen, die für die Speicherung der Vorratsdaten angeschafft wurden.

Die Unternehmen haben auf Wunsch der Regierung in sehr teure Technik investiert, um die Daten zu speichern.
Der Verband der deutschen Internetwirtschaft Eco hat die Bundesregierung deshalb aufgefordert, künftige Investitionskosten in politisch gewollte Technik zu erstatten.

Denn die teure Technik zur Datenspeicherung könnte auch dann überflüssig sein, wenn ein neues Gesetz die Provider künftig wieder dazu verpflichtet, Daten zu speichern. In diesem Fall könnten die großen Speicher-Computer teilweise sogar zu klein und zu schwach sein, um den Forderungen des neuen Gesetzes nachzukommen.

Denn das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil die Anforderungen an künftige Speichermaschinen und ihre Programmierer extrem hoch definiert. So muss die Speicherung in Zukunft besonders gut verschlüsselt erfolgen, um einen unerlaubten Zugriff zu unterbinden. Das kostet Geld, weil man spezielles Know-how und besondere Software benötigt. Außerdem verlangt das Gericht eine Vier-Augen-Kontrolle, was die Personalkosten in die Höhe treiben könnte.

Die Branche muss also investieren. Die Kosten werden an uns weitergegeben.

Auch für die revisionssichere Protokollierung von Zugriffen auf die Daten wird wohl neues Personal eingestellt werden müssen. All dies erfordert Investitionen in Hard- und Software sowie besonders geschultes Personal.

Die Datenschützer freut derweil, dass in künftigen Gesetzen wohl auch verlangt werden wird, sämtliche Technik jederzeit auf dem technisch aktuellsten Stand zu halten. Auch diese Forderung der Verfassungsrichter dürfte die Netzanbieter viel Geld kosten.

Und noch etwas wird sich ändern: Während es bislang bei Verstößen gegen die Datensicherheit keine Sanktionen gegeben habe, sei die Datensicherheit jetzt hoch bewertet, erklärt Eco-Sprecherin Maritta Strasser. Künftig würden Verstöße gegen die Datensicherheit bei der Speicherung so hart bestraft wie Verstöße gegen die Speicherungspflicht im Allgemeinen.
Daher wird erwartet, dass künftig hohe Haftpflichtversicherungen für die mit der Datensicherheit beauftragten Mitarbeiter abgeschlossen werden müssen.
http://www.sueddeutsche.de/computer/724/504931/text/
Josef
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Re: Terrorismus, Mord und Totschlag ohne Vorratsdaten?

Ungelesener Beitrag von Josef »

Männer !
Das war wirklich hochinteressant und müßte WÖRTLICH mal in die aktuelle Tageszeitung und/oder kostenlose Blätter einfließen !

Mit vorzüglicher Hochachtung :!:
Josef
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niels
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Re: Terrorismus, Mord und Totschlag ohne Vorratsdaten?

Ungelesener Beitrag von niels »

Die Rechnung dafür geben die Provider dann leider wieder an uns, die Nutzer, weiter. Das Internet könnte für uns wieder teurer werde
Müssen sie ja - natürlich.

Das Konzept hat sich Deutschland wohl von den Russen abgeguckt.

Der Staat will über alle Telekommunikationskunden "volle Transparenz" - die Kosten haben bitteschön die Anbieter zu tragen. Wer (nach der urpsünglichen Idee) über 15 Jahre alle Kunden-Verbinndungsdaten aufheben will, muß seine Datenbank-IT schon kräftig und teuer aufstocken. Als Provider erfährt man dem Konzept nach übrigens ebensowenig über die abgegriffenen (kopierten) Daten wie den Betroffenen wie als Betroffener. Der Staat definiert lediglich, wie schnell er auf wieviele Daten wie leistungsfähig zugreifen will. Da er's nicht bezahlen muß, schnellen die Ansprüche entsprechend hoch. CSI MIami & Co. haben wohl einige Wünsche geweckt...

In Russsland führte dies dazu, das gerade kleinere Internet-Provider - die sich nicht unterkriegen lassen wollten - vom Staat mit Auflagen in die Knie gezwungen worden sind. Aber auch die, die weiter "mitspielen" wollten, haben es oft finanziell nicht geschafft. gewinner waren ganz wenige große - natürlich Putin-nahe - Unternehmen, deren Inhaber sich heute pelzbehängt mit Gattin in St. Moritz und Co. rumtreiben, von Computern ungefähr soviel verstehen wie jeder andere hier (oder weniger...).

Wir - als IP Anwender - dürfen natürlich dafür bezahlen, das uns der Staat überwachen will - zum einen für die extra notwendige IT beim Provider - zum anderen mit unseren Steuern für die beamten und deren Apparat. Ist in DE doch selbstverständlich...
babsi
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Re: Terrorismus, Mord und Totschlag ohne Vorratsdaten?

Ungelesener Beitrag von babsi »

Sowas wie "Habt ihr denn was zu verbergen?" Finde ich bei dieser Diskussion auch total fehl am Platz und geht total and der Sache vorbei. Denn in Wahrheit muss damit umgegangen werden, dass den Bürgern einfach kein vertrauen entgegenbringt und zur sicherheit einfach einmal alle verdächtigt und überwacht und das kann nicht sein. Bei einem begründeteten Verdacht darf jeder alles von mir haben aber nicht einfach zum spaß!
Der Kopf ist jener Teil unseres Körpers, der uns am häufigsten im Wege steht.
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