Die Betrachtung der Heiligen Schrift nach ihrem inneren, geistlichen oder mystischen Sinn hat ihre Grundlage in der Vorstellung von der Verhülltheit des Geistes der Schrift in ihren (körperlichen) ‚Buchstaben’: „Bis heute liegt die Hülle auf ihrem (der Juden) Herzen, wenn Mose (= die Thora) vorgelesen wird.
Sobald sich aber einer dem Herrn zuwendet, wird die Hülle entfernt. Der Herr aber ist der Geist; und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit. Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werden so in sein eigenes Bild verwandelt…“ (2 Kor 3,15-18; vgl. 3,6). Dieses Verwandlungsgeschehen, wie es in der Verklärung (griech. metamorphosis) Christi vorgebildet ist (Mt 17,1-9),
bedeutet die Gleichgestaltung mit dem Sohn Gottes (Röm 8,29) als Wiederherstellung der ursprünglichen Gottbildlichkeit des Menschen „in Heiligkeit und Gerechtigkeit“ (Eph 4,24). Anders gesagt: die „Wiedergeburt“ oder „Gottesgeburt“ in der Seele oder im Herzen zielt auf die unverhüllte „Schau“ Gottes (Theoria), im weiteren Sinn auf ein mystisches ‚Entzündetwerden’ von der göttlichen Schönheit und Herrlichkeit Gottes und seines unerschöpflichen Wortes. In der Erzählung von den Emmaus-Jüngern, denen der Auferstandene beim ‚Brotbrechen’ und darum dann bei der Feier der Eucharistie die Augen für den inneren Sinn der Schrift öffnet, kommt das Moment des ‚Entzündetwerdens’ in Liebe am deutlichsten zum Ausdruck: „Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss“ (Lk 24,32).[7]
Nach Lk 12,49 ist Jesus gleich einem neuen Prometheus „gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen“, was dann mit der Sendung des Geistes in Feuerzungen an Pfingsten geschieht (Apg 2,3). Wie die Eucharistie „Feuer und Geist“ (Ephraem der Syrer) und „brennendes Brot“ (Teilhard de Chardin) ist, so wird auch nach jüdischer Mystik „der feurige Organismus der Tora“ mit dem Kommen des Messias ihr äußeres Gewand (die Buchstaben-Hülle des äußeren Schriftsinns) ablegen und als „weißes Feuer“ oder „Urlicht“ erstrahlen: als „Licht vom unerschöpflichen Licht“.[8]
Diese Feuerspur des Geistes durchzieht die ganze Bibel, angefangen beim brennenden, aber nicht verbrennenden Dornbusch als mystischem Ort der Offenbarung des Gottesnamens (s.u. Motive) über die Feuersäule als Wegzeichen für den Weg Israels durch die ‚Wüste‘ (Ex 13,21f; Ps 78,14) bis hin zur Gesetzgebung auf dem Sinai im Feuer (Ex 19,18; 24,17) und dem vom Gottesfeuer verzehrten Altaropfer (Lev 10,2; 2 Kön 1,10). Das immerwährende Altarfeuer in Stiftshütte und Tempel ist vom Himmel her entzündet (Lev 9,24; 2 Chr 7,1-3). Der Gott, dessen Wort wie Feuer brennt (Jer 5,14; 23,29) und der selbst „verzehrendes Feuer“ ist (Dtn 4,24; Hebr 12,29), spricht aus der Flamme zu seinem Volk (Dtn 5,4f.22-26). Zu diesem die Sünde regelrecht ‚auffressenden‘ Gott sagt Origenes (185–254), der nach dem jüdischen Philosophen Philo von Alexandrien als eigentlicher Begründer der geistigen Schriftauslegung gilt: „Der Feuergott verzehrt die menschliche Schuld, er zehrt sie auf, er verschlingt sie, er brennt sie aus, wie er auch an anderer Stelle sagt: ‚‚Ich werde dich läutern im Feuer, bis du rein bist.‘ Das also bedeutet das Sündenessen des Einen, der das Sündopfer darbringt. Denn ‚er hat unsere Sünden auf sich genommen‘ und sie selbst gleichwie Feuer verschlungen und aufgezehrt.“[9]
In der Szene von den drei Jünglingen im Feuerofen (Dan 3,15-97), die lobsingend in den Flammen wandeln „wie in kühlendem Windhauch“ (Dan 3,50), erkannten die frühen Christen ihre eigene Verfolgungssituation, aber auch ihre Auferstehungshoffnung, weshalb sich die Szene auch als Bildsymbol in den römischen Katakomben findet
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Christliche_Mystik