emery hat geschrieben: ↑Samstag 25. Juli 2020, 22:53
Vielleicht hat Paulus sich geirrt, weil er sich in einer Situation befand, die wir heute Filterbubble nennen.
Wir filtern alle, schon weil unser Gehirn so arbeitet. Nebenbei, das ist nicht unbedingt zum Nachteil, es sorgt für Effizienz. – Es gibt auch Menschen mit einem außerordentlich hohen Faktenwissen, aber sie können es nicht einordnen…
Ich weiß, Du meinst die negative Seite des Ganzen, die blind macht für die Realität, weil alles nur in den gewohnten Focus eingeordnet wird…
Natürlich betrachtet auch Paulus die Welt durch einen bestimmten Focus. Seine Briefe sind nicht einfach „Bericht“, sondern Deutung und Zeugnis. Römer 1,18-32 bildet keine Ausnahme.
Trotzdem basieren diese Aussagen von Paulus auf allgemeinen Beobachtungen, die kulturhistorisch korrekt sein dürften:
Die Menschen glaubten an Götter.
„Glaube“ ist hier möglicherweise ein zu schwaches Wort. Die Götter z.B. Naturkräfte waren sichtbar und wurden als wirkmächtig erfahen. Oder nehmen wir den „Kaiserkult“, einer der Götter zu Lebzeiten von Paulus war Kaiser Augustus:
Caesars Nachfolger Augustus wurde 27 v. Chr. erster römischer Kaiser bzw. princeps und blieb es bis zu seinem Tod gut 40 Jahre später. Als Adoptivsohn Caesars nannte er sich selbst zu Lebzeiten divi filius, also „Sohn des Vergöttlichten“. Unmittelbar nach seinem Tod wurde auch er unter die Götter erhoben. Im mit dem Herrscherkult vertrauten griechischen Osten waren ihm aber bereits zu Lebzeiten entsprechende Ehrungen zuteilgeworden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kaiserkult
Die Götter waren zu Zeiten des Paulus eine absolut „handfeste Sache“ und sichtbar. Spielarten davon gibt es noch heute. Einsteins „Pantheismus“ haben wir hier ausführlich diskutiert.
Als Jude teilt Paulus diese Auffassung vom „Göttlichen“ nicht, wie auch Römer 1,18-32 zeigt.
Die Juden haben sich spätestens 500 Jahre vor Christi Geburt (Babylonisches Exil) von solchen Auffassungen verabschiedet. – Nebenbei, sie haben ihre Könige nie vergöttlicht. Das „Alte Testament“ kritisiert nicht nur den ägyptischen Pharao (die von den Ägyptern auch vergöttlicht wurden), sondern auch die Könige Israels.
Heute wird vielfach angenommen Monotheismus/Polytheismus wären eine Frage nach der Zahl der Götter und eine Frage der Toleranz. Dies führt am Eigentlichen vorbei, mehr noch, dieser moralische Ansatz verstellt den Blick.
Es geht nicht um die Anzahl, sondern
um die Frage „Wer und was ist nicht Gott?“.
Die Antwort (auch von Paulus) die Natur ist es
nicht, auch kein König oder Kaiser oder sonstiges Sternchen.
Die Rede vom Schöpfergott (im jüdisch/christlichem Sinn) setzt genau diesen Unterschied. Gott (JHWH) ist gerade deshalb Schöpfer der Natur, weil er nicht Bestandteil derselben ist.
PS:
Erstaunlich bei Holuwir’s Argumentation ist, dass er (wahrscheinlich) meint, man müsse Gott naturwissenschaftlich in der Natur nachweisen können. Dies wäre nur möglich, wenn Gott (im Gegensatz zum jüdisch/christlichen Glauben) doch wiederum Bestandteil der Natur, also Natur wäre und sei es als eine Art Geistwesen.
Bei den Zeugen Jehovas kann er das nicht gelernt haben. Möglicherweise folgt er hier „atheistischen Missionaren“, deren naturwissenschaftliche Kenntnisse zwar sehr gut, aber deren Wissen bezüglich des christlichen Glaubens mehr als mangelhaft ist.
Damit sind wir wieder bei der Filterblase.