Hat Jesus die Kirche gewollt?

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Christel
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Hat Jesus die Kirche gewollt?

Ungelesener Beitrag von Christel »

niels hat geschrieben: Ich denke, das man Christ auch ohne Kirche sein kann. Jesus hat lt. Bibel nie von einer Kirche gesprochen und hatte diese wohl auch nicht im Sinn.
Das habe ich oft gehört. Vielleicht ist das ja ein Definitionsproblem?

Was ist Kirche?
http://www.definero.de/Lexikon/Kirche
Das Wort Kirche (griech. kyriaké: "dem Herrn gehörig") bezeichnet:#in der klassischen Antike die Bürgerversammlung einer Polis (hinsichtlich des Begriffs ekklesia)#ursprünglich die Gemeinschaft aller Christen, gleichbedeutend mit dem theologischen Begriff "Leib Christi"#die einer bestimmten Konfession zugehörige, in einer festen Organisationsform zusammengeschlossene christliche Glaubensgemeinschaft#ein Gebäude welches der Versammlung der Glieder einer christlichen Gemeinde dient ...

Ein Gotteshaus oder eine Kirche ist ein christlicher Sakralbau. Die Übersetzung des griechischen Wortes "kyriake" (Kirche) bedeutet dem Herrn gehörig.
Auf das Gebäude könnte man verzichten. Auf die Gemeinschaft denke ich nicht. Denn dies wäre nach meiner Ansicht ein Verzicht auf die Zentralbotschaft Jesu vom „Reich Gottes“, die „neue Polis“.
Daher plädiere ich nicht für den Verzicht auf „Kirche“, sondern frage vielmehr, inwieweit sind wir schon Kirche?

LG Christel
Heinrich5

Ungelesener Beitrag von Heinrich5 »

Um es gleich zu sagen, Jesus hat keine Kirche gewollt und begründet.

Jesus wurde als Jude geboren und ist als orthodoxer Jude gestorben. Er war also nie ein Christ und hatte nie die Absicht eine neue Religion zu schaffen. Jesus selbst verstand sich als eine Art Missionar für die Juden. Seine Anhänger haben erst nach seinem Tod eine jüdische Sekte gegründet, deren Mitglieder sich Judenchristen nannten. In dieser Sekte gewann bald Paulus von Tarsus die Oberhand. Paulus ist als Begründers des Christentums und der christlichen Kiche anzusehen.

Vermutlich war es so:

Jesus war ein Mitglied einer jüdischen Erneuerungssekte (Essener)
Er predigte den „Eifer für das Gesetz“
Jesus wollte keine neue Kirche gründen sondern die Erneuerung des jüdischen Glaubens.
Er hätte es strikt abgelehnt sich als Sohn Gottes zu bezeichnen
Paulus entstellte die christlichen Lehren und machte eine neue Religion daraus
Paulus ist dafür verantwortlich, daß sich die von ihm geschaffene neue Gemeinde vom Judentum entfernte und in der neuen Kirche bald ein Antisemitismus entstand.

Mit freundlichen Grüßen
Christel
Senior- Mitglied
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Ungelesener Beitrag von Christel »

Hallo Heinrich5,

Jesus ein Essener?
Was hier über Essener zu lesen ist, scheint mir nicht zu Jesu zu passen:

http://www.judentum-projekt.de/geschich ... index.html
Die Essener lehnten den Tempeldienst und die Priesterschaft ab und hofften, durch strenge Bußübungen das Reich Gottes herbeiführen zu können. Arme und Invaliden waren ausgeschlossen: "Jeder, der an seinem Fleisch geschlagen, ein an Füßen oder Händen Gelähmter, oder Hinkender, Blinder, Tauber, Stummer oder ein mit einem sichtbaren Makel an seinem Fleische Geschlagenen, oder ein alter hinfälliger Mann ist, darf sich nicht in der Gemeinde halten." Die Gemeinschaft ist eine frühjüdische Gruppe zwischen ca. 150 v. bis 70 n. Chr., die bei Flavius Josephus, Philo von Alexandrien und anderen antiken Autoren als asketische, teilweise vereinsmäßig organisierte Gruppe als Vertreter eines "strengen Lebens".
Die Qumran-Gemeinschaft war straff organisiert, führte ein enthaltsames, priesterlich-rituelles Leben und betrachtete sich als die letzte Generation vor der Ankunft des Messias.
Heinrich5 hat geschrieben:Er hätte es strikt abgelehnt sich als Sohn Gottes zu bezeichnen.
Die Juden entgegneten ihm: „Wir haben ein Gesetz, und nach diesem Gesetz muss er sterben, weil er sich als Sohn Gottes ausgegeben hat.“ Joh.19,7

Nach eigenen Aussagen übernimmt Paulus das Evangelium von den christlichen Gemeinden:
1 Ich erinnere euch, Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündet habe. Ihr habt es angenommen; es ist der Grund, auf dem ihr steht.
2 Durch dieses Evangelium werdet ihr gerettet, wenn ihr an dem Wortlaut festhaltet, den ich euch verkündet habe. Oder habt ihr den Glauben vielleicht unüberlegt angenommen?
3 Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, / gemäß der Schrift,
4 und ist begraben worden. / Er ist am dritten Tag auferweckt worden, / gemäß der Schrift,
5 und erschien dem Kephas, dann den Zwölf.
6 Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern zugleich; die meisten von ihnen sind noch am Leben, einige sind entschlafen.
7 Danach erschien er dem Jakobus, dann allen Aposteln.
8 Als Letztem von allen erschien er auch mir, dem Unerwarteten, der «Missgeburt».
9 Denn ich bin der geringste von den Aposteln; ich bin nicht wert, Apostel genannt zu werden, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe.
10 Doch durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und sein gnädiges Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben. Mehr als sie alle habe ich mich abgemüht - nicht ich, sondern die Gnade Gottes zusammen mit mir.
11 Ob nun ich verkündige oder die anderen: das ist unsere Botschaft, und das ist der Glaube, den ihr angenommen habt. (1. Kor. 15,1-11)

LG Christel
Heinrich5

Ungelesener Beitrag von Heinrich5 »

Hallo Christel,

ich hatte ziemlich voreilig geschrieben, dass Jesus ein Mitglied bei den Essenern war. Ich muss richtigstellen, dass es dafür keine Belege gibt. Ganz sicher war aber Jesus zumindest ein Sympathisant der Essener
Nach Josephus (+ ca. 100 n. Chr.) hatten die Essener einen Unsterblichkeitsglauben. Sie waren davon überzeugt, dass der Körper vergeht und die Materie nicht von Dauer ist, dass jedoch die Seelen unsterblich sind für immer und ewig. Auf die guten Seelen wartet ein Leben in einem Land, das weder unter Regengüssen noch Schneefällen, noch Hitze leidet, das vielmehr ein vom Ozean wehender Zephyr erquickt. Auf die Bösen wartet nach ihrer Meinung eine finstere eiskalte Hölle, der Ort ewiger Strafe.
Die Qumrangemeinschaft war Mittelpunkt einer separatistischen jüdischen Gruppe, die unter priesterlicher Leitung stand. Sie hatte sich in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts vor Christus vom Jerusalemer Tempelkult getrennt und war unter ihrem Führer dem „Lehrer der Gerechtigkeit“ als dessen Gegenspieler der „Frevelpriester“ genannt wird in die judäische Wüste nach Qumran ausgewandert. . Untergruppen dieser Sekte gab es aber im ganzen Land. Jesus waren diese Lehren sehr wohl bekannt.
Christentum und Qumran sind zwei Bewegungen innerhalb des Judentums die sich in manchen Punkten sehr ähnlich sind: Beide betrachten sich als das wahre Israel. Beide sehen sich in der Endzeit und erwarten das unmittelbar bevorstehende Ende der Welt. Beide haben sich mit ihrer Naherwartung geirrt. Beide verehren ihren jeweiligen Meister als Offenbarung göttlicher Geheimnisse. Beide sind überzeugt, dass sie in biblischen Schriften vorausgesagt sind, und sehen sich als Erfüllung dieser biblischen Verheißungen. Bei beiden spielt ein Kultmahl eine große Rolle. Das christliche Abendmahl , das in vielem so ähnlich verläuft wie das Qumran-Kultmahl, hat inzwischen durch fortschreitende Stilisierung seinen Ernährungscharakter völlig verloren. Aber zu Beginn war das anders. Pauls tadelte die korinthischen Christen wegen der ungleichen Verteilung des Essens und Trinkens: „Der eine hungert, der andere ist betrunken“ ( 1 Kor 11,21 ) .

In zweitausend Jahren Christentum haben die Christen sich daran gewöhnt, das Alte Testament als Verheißung auf Jesus und die christliche Kirche zu verstehen. Nun hat sich herausgestellt, das Qumran oft haargenau dieselben Worte des Alten Testaments für sich beansprucht als Verheißung auf Qumran und den Lehrer der Gerechtigkeit. Auch in den Einzelheiten der Lehre gibt es viele Übereinstimmungen ( Monogamie, Vielweiberei, Unzucht, Ehebruch und Ehescheidung)
In zwei Punkten unterscheidet sich die Qumrangruppe von dem ursprünglichen Christentum: erstens in der Militarisierung und zweitens in der Frauenfeindlichkeit. Unter Paulus hat dann aber die Militarisierung und die Frauenfeindlichkeit, schon früh in das Christentum seinen Einzug gehalten und die Christen haben im Laufe ihrer Geschichte beides reichlich nachgeholt.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Qumransekte auf die frauenfeindliche Entwicklung des Christentums Einfluss gehabt hat und dass ehe - und familienfeindliche Sprüche aus Qumran schon Jesus in den Mund gelegt und ihm angedichtet wurden. Verantwortlich dafür sind die Evangelisten.
Essenischen Ursprungs ist höchstwahrscheinlich dieses befremdliche Wort: „Wenn jemand zu mir kommt und nicht seinen Vater und seine Mutter und sein Weib und seine Kinder und seine Brüder und seine Schwestern und dazu auch sein eigenes Leben hasst, kann er nicht mein Jünger sein“ ( Lk 14,26 ) . Qumran ist sozusagen die jüdische Vorstufe zum christlichen Zölibat.

Für mich ist das Alte und auch das Neue Testament nicht Gottes Wort, sondern Menschenwort. Genauso wenig hat auch Allah den Koran vom Himmel fallen lassen sondern er wurde von Menschen verfasst. Texte aus der Bibel zu kopieren und als „Beweiskräftige Aussagen“ wieder hier zu veröffentlichen hilft doch in der Diskussion nicht weiter. Die einen glauben an die Bibel als Gottes Wort, für die anderen sind es eben halt nur Mythen. Jesus wurde zu einem Mythos gemacht, dem „Jesus-Mythos“.
Das Christentum ist der große Mythos , oder vielmehr die Mythensammlung des Abendlandes. „Das“ Christentum gibt es nicht. Es gibt viele „Christentümer“ , das der Katholiken, Orthodoxen, Lutheraner, Calvinisten, Quäker, Methodisten, Pfingstler usw.
Viele Christen meinen, das Christentum hätte sowohl die alten jüdischen als auch die alten heidnischen Mythen abgeschafft. Das hat es nicht. Indem das Christentum (verantwortlich unter Paulus von Tarsus) nach Westen, in die griechisch – römische Welt eindrang, mischte es westliche Denkweisen und Mythen mit den jüdischen.


Noch ein paar Bemerkungen zu Paulus von Tarsus, dem eigentlichen Gründer der christlichen Kirche:

Paulus gilt zu Recht als eine der einflussreichsten Personen des christlichen Abendlandes. Er war Jude, Römer und Christ zugleich. Sich selbst sah er vor allem als Apostel, vom auferstandenen Jesus persönlich dazu berufen, das Evangelium in die Heidenwelt zu tragen. Doch erklärt das von ihm vollbrachte Lebenswerk im Dienste des Auferstandenen nur zum Teil seine eigene mächtige Wirkung.
Diese geht vor allem darauf zurück, dass zum Glauben an Christus gelangte Heiden den Apostel Paulus zur tragenden Säule der christlichen Kirche machten und ihm in ihr einen bleibenden Ort gaben: zuerst als dem Verfasser von Briefen, die Teil des Neuen Testaments wurden, sodann als vermeintlichem Schreiber von sechs untergeschobenen weiteren Briefen, die ebenfalls Aufnahme in die Heilige Schrift fanden. Aber damit nicht genug: Den dreizehn Paulusbriefen wurden noch sieben weitere Briefe hinzugefügt, die man mit falschen Absenderangaben wie "Petrus", "Jakobus", "Judas" ausstattete oder andeutungsweise Johannes zuschrieb. Die Entstehung dieser Briefsammlung - "katholische Briefe" genannt - wurde vom Vorbild der Schreiben des Paulus angeregt. Ohne den Heidenapostel und sein Werk hätte es sie gar nicht gegeben.
Die Wirkung des Paulus zeigt sich nicht nur an den echten, den gefälschten und den fingierten Briefen. Sie wird auch deutlich in der Apostelgeschichte des Lukas, deren zweiter Teil ausschließlich Paulus gewidmet ist. Seine Person steht demnach im Mittelpunkt eines knappen Drittels des gesamten Neuen Testaments. Kein Wunder, dass sie in der Kirchengeschichte eine ungeheure Wirkung entfaltet hat und dass ganze Bibliotheken über ihn zusammengeschrieben worden sind. Aber auch welthistorisch hat Paulus noch in der beginnenden Neuzeit eine entscheidende Rolle gespielt. Im 16. Jahrhundert spaltete sich die westliche Christenheit an der Auslegung der Rechtfertigungslehre des Paulus in zwei Blöcke. Dies hat politisch bis heute einschneidende Folgen.
Angesichts dieser welthistorischen Bedeutung und des theologischen Interesses, das sich in ungezählten Kommentierungen seiner Briefe zeigt, ist eine Beschäftigung mit ihm in jedem Falle lohnend.
Der Streit um Paulus wird auch deswegen kein Ende haben, weil man erst jetzt die Auslegungsgeschichte als eigene Disziplin zu entdecken beginnt und sich von dieser Perspektive aus neue Einsichten gewinnen lassen.
Dadurch gestaltet sich der Weg zum historischen Paulus als noch schwieriger. Um diesen historischen Paulus geht es aber in der vorliegenden Arbeit. Ich setze nämlich voraus, daß man sich heute trotz des riesigen Abstands von zwei Jahrtausenden Paulus in historisch-kritischer Rekonstruktion annähern kann und soll, um ihn dann als Gesamtphänomen zu würdigen. Dieser Aufgabe stelle ich mich in dem nun folgenden Nachruf auf seine Person, der in Gestalt einer Nacherzählung seines Lebens entworfen ist.
Paulus wurde etwa zur gleichen Zeit wie Jesus geboren, in der kilikischen Großstadt Tarsus. Er war Diaspora-Jude und hatte das römische Bürgerrecht von seinem Vater ererbt. Damit hatte er Teil an zwei Welten, der jüdischen und der griechisch-römischen. Zwar waren dem Kontakt zu Griechen gewisse Schranken auferlegt, und das Studium griechischer Klassiker fand im Umkreis des jungen Paulus mit Sicherheit nicht statt. Doch empfing er eine durch das hellenistische Judentum vermittelte Grundschulbildung, die den Unterricht in der griechischen Sprache einschloß.
Auch blieben Eindrücke aus der Umgebung haften, die sich später in den Briefen widerspiegeln. Paulus besuchte das Theater, verfolgte die Wettkämpfe in der Arena und wurde auf dem Markt Zeuge von philosophischen Wortgefechten. Mit anderen Worten, er wurde der hellenistischen Welt ansichtig, ihrer Weite und Schönheit, aber auch der ihr innewohnenden Vernunft. Dabei mag bereits in der Seele des jungen Paulus die Sehnsucht geschlummert haben, eines Tages Teil dieses großen Kosmos zu werden.
Vorerst gab ihm die väterliche Religion das Gefühl der Zugehörigkeit und zugleich das Wissen um deren Exklusivität. Die griechische heilige Schrift, die Septuaginta, lernte er zu großen Teilen auswendig. In seiner angestammten Religion war er kein Mitläufer, sondern jemand, dem es ernst war um den Gott, der Israel erwählt und ihm die Gebote zum Leben gegeben hatte. Kein Wunder also, daß es Paulus früher oder später vom väterlichen Hause weg nach Jerusalem trieb. Er mußte dorthin gehen und studieren, wo sein himmlischer Vater den Tempel hatte bauen lassen und wo für die Sünden der Juden täglich Opfer stattfanden, zum geographischen Zentrum des von Gott auserwählten Volkes. Hier vollendete sich die Laufbahn des jungen Eiferers als Pharisäer, und hier wollte er wirken, wohin ihn Gott gestellt hatte. Eine Gelehrtenlaufbahn wie die seines Lehrers Gamaliel schien vorherbestimmt zu sein.
Doch die Dinge kamen anders. Sie hatten mit seinem Eifer zu tun. Paulus lernte in Jerusalem eine Gruppe griechischsprachiger Juden kennen, die dieselbe kilikische Synagoge wie er besuchten, aber die Messianität eines gekreuzigten Juden namens Jesus behaupteten. Und nicht nur dies, sie sprachen das Bekenntnis, Jesus sei von Gott erhöht worden, und verbanden dies mit einer Kritik am Gesetz. Als ob die Verkündigung des gekreuzigten Jesus als des Messias nicht schon genug wäre! Das war für Paulus zu viel. Der Eifer um das väterliche Gesetz, um Gottes Ehre, trieb ihn zur Tat. Er versuchte, die neue Bewegung durch Anwendung physischer Gewalt im Keime zu ersticken.
Andere Juden einschließlich seines Lehrers Gamaliel meinten, all das liefere noch keinen Grund zum Einschreiten und schon gar nicht auf solch drakonische Weise. Dies sah der junge Fanatiker ganz anders. Die nachfolgende Entwicklung dieser Gruppe von Anhängern Jesu, die ursprünglich aus der Diaspora stammten, sollte ihm Recht geben. Hier formierte sich eine Gruppierung, die sich als eine tödliche Bedrohung für das Judentum erweisen sollte. Jedoch die Vorstellung, daß er an der späteren Ausbreitung dieser neuen Bewegung selbst maßgeblich beteiligt sein könne, hätte ihm den Atem verschlagen.
Aber das Undenkbare geschah: Mitten in einer blutigen Verfolgungsaktion vor Damaskus erschien ihm selbst derjenige in himmlischer Gestalt, dessen Anhängern er nachstellte. Als Paulus ihn in seiner Herrlichkeit sah, gab es für ihn keinen Zweifel. Blitzartig wurde im klar, was nun zu tun war. Er mußte sich in den Dienst Jesu Christi stellen, denn dieser war wirklich der Sohn Gottes - so dünkte es ihn. So gut wie alles, was seine Anhänger von ihm gesagt hatten, traf zu. Paulus konnte gar nicht anders, als Anschluß an die von ihm bisher verfolgte Gemeinde zu suchen. All dies geschah mit starker emotionaler Bewegung des Paulus. Das innere Licht schien mit solcher Kraft, daß er zeitweilig erblindete. Doch einer seiner neuen Brüder, Ananias, heilte ihn - natürlich im Namen Jesu -, nahm ihn bei sich auf und unterwies ihn im neuen Glauben, den der Verfolger bisher nur in einigen Punkten gekannt hatte.
Jetzt hatte Paulus Zeit, über die Erscheinung Jesu nachzudenken. Er erinnerte sich all jener Stellen der Schrift, in denen ein künftiger Messias vorhergesagt worden war. Aber wie war damit zu vereinbaren, daß der christliche Messias am Kreuz gestorben war, also gelitten hatte? Jedenfalls hatte Paulus in seinen bisherigen Studien noch nie etwas von einem leidenden Messias gehört. Da ihm aber die Begegnung mit dem himmlischen Herrn untrüglich gezeigt hatte, daß dieser kein anderer als der gekreuzigte Jesus sei, fiel dem in der Bibel beschlagenden Ex-Pharisäer eine Antwort nicht schwer.
In einem kühnen Gedankensprung kombinierte Paulus das jüdische Messiasideal mit dem leidenden Gottesknecht aus dem Jesajabuch. Das konnte er umso überzeugender, als feststand, daß das Leiden bei Jesus ohnehin nur ein Übergangsstadium vor dem Eingang in die himmlische Herrlichkeit war. Aber nicht nur für Jesus galt dies, auch für alle anderen Christen. Sie alle sollten vor dem großen Tag nur noch eine kleine Weile Trübsal erleiden.
Für sich selbst entdeckte Paulus aus der Lektüre der Schrift ebenfalls eine besondere Rolle. Es kamen ihm jene Stellen ins Gedächtnis, in denen die Propheten Jesaja und Jeremia darüber sprachen, daß Gott sie von Mutterleib an ausgesondert habe. Das bezog Paulus kurzerhand auf sich selbst (vgl. Gal 1,15 f ) und glaubte zu spüren, ebenso wie die beiden großen Propheten der Vergangenheit, vom Mutterleib an zum Verkündiger berufen worden zu sein - natürlich von Gott selbst.
In Paulus baute sich so ein gewaltiges Selbstbewusstsein auf, welches das aus seiner vorchristlichen Zeit noch übertraf.
Dieser Vorgang wird umso ungeheuerlicher, je mehr man sich klarmacht: Dieser Mann aus Tarsus hatte Jesus von Nazareth persönlich nie kennengelernt. Wie konnte er dann, statt bei den von ihm Verfolgten in die Schule zu gehen, seine eigene Autorität unverzüglich und direkt vom himmlischen Herrn selbst ableiten? Was muss er erlebt haben, um diese Unmittelbarkeit des Himmels zu beanspruchen, die ihm erlaubte, sich sogar mit den persönlichen Nachfolgern Jesu auf eine Stufe zu stellen? So schreibt er einfach die Einsetzungsworte des Abendmahls, die er doch im Unterricht der Gemeinde kennengelernt haben muss, einer direkten Intervention und Mitteilung durch den Herrn selbst zu. "Ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch überliefert habe ..." ( 1Kor 11,23 ) . Ähnliches gilt für alles andere, das man ihm über den Herrn vermittelt hatte. Es war automatisch durch die Autorität des Herrn geheiligt, der ihn höchstpersönlich zu seinem Apostel bestimmt hatte. Da er zu ihm dauerhaft in Kontakt stand, empfing er je nach Bedarf besondere Fingerzeige - er nennt sie Offenbarungen bzw. Geheimnisse - und leistete ihnen dann unverzüglich Folge.
Für Paulus stand der Himmel fast immer offen. Doch konnte es auch geschehen, dass ein Engel des Satans ihn züchtigte, wenn es der Herr so wollte und wenn ihm das Übermaß der Offenbarungen zu Kopfe stieg. Gleichzeitig war er stark genug, die satanische Gewalt dort einzusetzen, wo schwere Sünder einem gerechten Tod zu überführen waren. So übergab er in einem feierlichen Ritual unter Beteiligung der Gemeinde einen Blutschänder dem Satan ( 1Kor 5 ) . Dies hatte ein doppeltes Ziel: die Gemeinde vor Verunreinigung zu bewahren und die Rettung des (quasi körperlich vorgestellten) Geistes des Sünders - er war durch die Taufe unvergänglich gemacht worden - am Tage des Gerichts zu gewährleisten. Ferner erkannte Paulus den Engel des Satans auch dort, wo dieser ihm in Gestalt von Falschaposteln das Leben in den Gemeinden schwer machte. Satan und seine Engel hatten in jedem Fall immer nur eine von Gott vorherbestimmte Aufgabe und niemals Gewalt über Paulus und seine Gemeinden. Ihre reale Macht kam in keinem Fall gegen die des Paulus oder gar die Herrschaft des Gottes an, der seinen Sohn in die Welt gesandt hatte, um die Menschen von der Sünde zu befreien.
Paulus fühlte sich als Agent Gottes und des Herrn Jesus Christus. Zusammen mit diesem war er Teil eines Erlösungsdramas von kosmischem Ausmaß. Der für Paulus springende Punkt war dabei, daß die Erlösung auch Heiden gelte - nun aber nicht so, dass sie vorher zu Juden werden müssten, sondern dass sie in gleichem Rang wie die an Christus glaubenden Juden der Kirche Jesu Christi zugehören sollten. Das war auch innerhalb des Judentums ein neuer Gedanke, der Paulus in einer Mischung aus Sehnsucht, Erfahrung und Reflexion über die Schrift evident geworden war.
Paulus hatte die Wirklichkeit und die Praxis der Einheit der Kirche aus Juden und Heiden in seiner Anfangszeit fast rauschhaft erfahren. Er spielt darauf an zwei Stellen an, wo er die Liturgie anläßlich der Taufe von Konvertiten wiedergibt: "Da ist weder Jude noch Grieche, weder Sklave noch Freier, weder männlich noch weiblich, alle seid ihr eins in Christus Jesus ( Gal 3,28 ; vgl. ebenso 1Kor 12,13 ) ohne das Paar "männlich-weiblich"). Diese im Gottesdienst memorierte neue Wirklichkeit ließ alle Dämme brechen, welche die Thora um Israel herum errichtet hatte. "Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen, siehe Neues ist geworden" ( 2 Kor 5,17 ) - so der Jubelruf des Paulus. Aber diese Realität konnte erst durch den Sühnetod des Gottessohnes selbst herbeigeführt werden, wie die Fortsetzung des gerade zitierten Satzes zeigt: "Aber das alles (ist) aus Gott, der sich mit uns selbst versöhnt hat durch Christus" ( 2Kor 5,18 ). Die so vollzogene Befreiung ist auch in anderen paulinischen Briefen Gegenstand lobpreisender Rede. Man vgl. nur die jubelnde Frage: "Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?" ( Röm 8,31 b ) und die sofort gegebene Erläuterung: "Er hat auch seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben" ( Röm 8,32 ).
Erfahrungen des Christus in der Gegenwart waren Erfahrungen des Geistes. Aber der Geist wies auf ein noch größeres Ereignis hin, nämlich die Vollendung des Reiches mit dem Kommen Jesu auf den Wolken des Himmels. Nun stand Paulus vor einem Problem. Wie sollte er diese Erfahrungen, die er in seiner Heimatgemeinde immer wieder gemacht hatte, jenen verständlich machen, die Jesus selbst gekannt hatten und in Jerusalem die künftige Herrlichkeit und die Belohnungen des kommenden Reiches erwarteten? Wie konnte er ihnen glaubhaft machen, daß derselbe Jesus, den sie gekannt und der ihnen nach seinem Tod erschienen war, sich auch ihm gezeigt hatte? Wie vermochte er sie davon zu überzeugen, dass er selbst die gleiche Vollmacht zur Predigt des Evangeliums wie sie besaß und fortan sogar den Heiden die frohe Botschaft verkündigen sollte?
Aus der Geschichte der Beziehung des Paulus zur Gemeinde von Jerusalem wird deutlich, daß dies alles andere als selbstverständlich war. Ein erster Besuch, etwa drei Jahre nach der Christusschau des Paulus, dauerte zwei Wochen und diente der vorsichtigen Kontaktaufnahme mit dem Leiter der dortigen Gemeinde, Kephas, dem ersten Jünger Jesu. Während des Besuchs war die Heidenmission bereits ein Thema und wohl auch Leben, Sterben und Auferweckung Jesu Christi. Paulus war froh, diese Begegnung und die bei ihr gemachte Absprache der Heidenmission als Lizenz für seine sich daran anschließende Verkündigungstätigkeit in der Heidenwelt in der Hand zu haben.
Dann überschlugen sich die Ereignisse, denn die mit Kephas vereinbarte Heidenmission als Aufgabe des Paulus war außerordentlich erfolgreich. Aber auch judenchristliche Gemeinden entstanden: Lydda, Joppe, Cäsarea, Sidon usw. Außerdem verschaffte sich überall der "Heilige Geist" als geheimnisvoll und wunderhaft vorgestellte Größe Raum und Gehör, zuerst in Syrien, dann aber unter der Leitung des Paulus auch in Galatien, Makedonien und Achaja. Eine Bewegung war geboren und eigentlich erst ins Leben gerufen von einem Mann, der Jesus nur vom Hörensagen her kannte, dafür aber um so mehr von seiner himmlischen Ehrenstellung erzählte und zu ihm als seinem Herrn in einer direkten Beziehung stand.
Das Geschehen der Entstehung des Christentums, das mit dem Leben des Paulus unlösbar verknüpft ist, wird vielleicht besser verständlich, wenn wir es mit einer gewaltigen, im Inneren unter riesigem Druck stehenden, kochend heißen Wasserquelle vergleichen, die nur teilweise abfließen kann. Das Judentum hatte sich kurz vor dem Auftreten Jesu seinem Siedepunkt angenähert. Immer neue Wellen von endzeitlichen Hoffnungen überfluteten es. Johannes der Täufer und sein ehemaliger Jünger Jesus von Nazareth hatten wieder einmal eine Flutwelle fiebernder Naherwartung ausgelöst. Als nun auch noch die Jesusbewegung in der Gestalt der Hellenisten die Heiden aufnahm, war der Siedepunkt überschritten. Das kochende Wasser ließ sich an seiner Quelle nicht mehr halten. Es schoß in all seiner Wucht heraus, riß auch Paulus mit, der es anfangs hatte eindämmen wollen, und seine Massen ergossen sich in unbändiger Gewalt rundum, bis sie in etwas ruhigeren Bahnen und verbunden mit anderen Strömen sich verschiedene Flußläufe schufen.
Urplötzlich entstanden - jenseits von jüdischer und heidnischer Religion - zahlreiche neue Gemeinden, die zwischen Juden und Heiden standen. Damit waren von vornherein spätere Konflikte vorprogrammiert. Es konnte nicht ausbleiben, daß alsbald strenge Judenchristen mit großer Skepsis dem gesetzlosen Treiben in den gemischten Gemeinden zuschauten und ihm Einhalt zu gebieten versuchten. Mochte ihnen gleichgültig sein, was Heidenchristen taten, so blieb ihnen vor allem wichtig, daß diese sich nicht mit Judenchristen vermischten, denn damit wäre deren jüdische Identität gefährdet worden. Verständlicherweise war die Forderung nach strikter Trennung der Judenchristen von ihren heidnischen Brüdern nur eine Frage der Zeit. Es kam, was kommen mußte: Abgesandte der Gemeinde von Jerusalem brachen in der gemischten Gemeinde Antiochiens vor den Augen des Paulus einen schweren Streit über die Reinheit der Judenchristen vom Zaun und stellten dadurch alles bisher Erreichte in Frage. Paulus empfing darauf eine Offenbarung seines himmlischen Herrn, nach Jerusalem zu gehen, vierzehn Jahre nach seinem ersten Besuch. Er muß stolzen und ungebeugten Herzens gereist sein, denn er nahm den unbeschnittenen Griechen Titus mit sich, um ein Zeichen zu setzen. Nicht zufällig war auch Paulus' ehemaliger Partner in der Mission, Barnabas, mit von der Partie, aber auch eben jene strengen Judenchristen, die sich nach den Worten des Paulus in die Gemeinde eingeschlichen hatten, um die Freiheit der Heidenchristen auszuspionieren.
Die Ausgangslage gegenüber dem ersten Besuch war eine völlig andere. In Jerusalem hatte sich die Macht derart verlagert, dass nicht mehr Kephas, sondern der leibliche Bruder Jesu, Jakobus, das Sagen hatte, und zwar an der Spitze einer Dreiergruppe, bestehend aus Jakobus, Kephas, Johannes. Aufschlussreich daran ist auch, dass hier vor den beiden persönlichen Jüngern Jesu, nämlich Kephas und Johannes, jemand stand, der Jesus zu seinen Lebzeiten nicht anhing, sondern ihm skeptisch gegenüberstand - ebenso wie die restlichen Familienmitglieder einschließlich der Mutter Maria.
Nach heftigen Auseinandersetzungen in Jerusalem kam es zu einer Übereinkunft, die mit einem förmlichen Handschlag besiegelt wurde: In der Mission sollten die Jerusalemer für die Juden, Paulus und Barnabas aber für die Heiden zuständig sein. Wichtiger als diese auslegungsbedürftige Regelung war die Tatsache der Übereinkunft an sich. Denn damit war vorläufig die Einheit der Kirche gerettet, und um diese war es vor allem Paulus zu tun.
Die Einigung bestand wie bei vielen Verträgen aus einer Art Gummiparagraph und erlaubte den Parteien, das je eigene Verständnis hineinzulegen. So konnte man bei den Juden sowohl an die aus dem Mutterland Palästina als auch an die aus der Diaspora denken. Außerdem war das brennendste Problem gar nicht behandelt worden, nämlich wie man fortan in gemischten Gemeinden zusammenleben sollte. Jedenfalls schloss die Übereinkunft nicht aus, dass sie zugunsten einer strikten Trennung von Judenchristen und Heidenchristen ausgelegt wurde. Ferner hatte die "Einigungsformel" von Gal 2,9 noch eine klare Zusatzklausel, die Kollektenvereinbarung ( Gal 2,10 ), die eine Nagelprobe für das Verhältnis der heidenchristlichen zur judenchristlichen Kirche werden sollte. Über die Vereinbarung einer Kollekte war kein Streit möglich. Die heidenchristlichen Gemeinden, repräsentiert durch Paulus und Barnabas, sollten sie aufbringen. Sie eröffnete Paulus die Möglichkeit, die Jerusalemer auf die Tatsache einer Einigung geradezu "festzunageln" und zugleich das Gemeinschaftsgefühl seiner Gemeinden untereinander zu festigen. Gleichzeitig bestätigte die Kollekte seinen eigenen Status als Heidenapostel. Ohne diese Einheit der Kirche, so die Überzeugung des Paulus, war sein Heidenapostolat null und nichtig.
Jetzt galt es, diese Einigung abzusichern, obwohl Paulus schon länger den großen Plan der Missionierung Spaniens ins Auge gefasst hatte. Damit wollte der Apostel nämlich seinem Herrn den letzten Teil der Gesamtwelt erobern, zumal das Ziel, seine bevorstehende Ankunft vom Himmel, drängte. Paulus unternahm eine Reise in seine Gemeinden, um die Kollekte aufzubringen und um das Einheitsband zwischen seinen Kirchen und der Gemeinde in Jerusalem um so fester zu binden.
Begleitet von einem Mitarbeiterstab, durchreiste Paulus Galatien, erteilte hier Einzelanweisungen über die Art der Aufbringung der Kollekte und gab auch den anderen Gemeinden in Makedonien und Achaja Anweisungen, so zu verfahren. An jedem ersten Tag der Woche sollten die Gemeindeglieder etwas zur Seite legen, damit eine stattliche Summe gewährleistet sei, wenn Paulus vorbeireiste, um sie abzuholen. Diesen Betrag wollte Paulus dann durch eine Delegation nach Jerusalem überbringen lassen. Die Kollektenreise diente aber nicht nur finanzpolitischen Zwecken. Natürlich versuchte Paulus auch, neue Gläubige zu gewinnen, wenn sich dazu wie in Ephesus die Gelegenheit ergab. Ferner galt es, die bestehenden Gemeinden persönlich zu beraten oder durch Gesandte wie Titus oder Timotheus zu festigen.
Da geschah das Unglück. Plötzlich brachen Abgesandte aus Jerusalem in die Gemeinden des Paulus ein. Sie drohten all das zunichte zu machen, was er mühsam aufgebaut und in Jerusalem standhaft verteidigt hatte. Die in Jerusalem unterlegenen "Falschbrüder" bekämpften Paulus in dessen eigenen Gemeinden. Sie stellten seine apostolische Autorität in Frage, führten zusätzlich Gesetzesauflagen ein und machten damit für Paulus jegliche Gemeinschaft mit Jerusalem zunichte. So geriet der Kampf um die Einheit der Kirche zum Kampf um die Kollekte bzw. der Kampf um die Kollekte wurde auch zum Kampf um die Einheit der Kirche. Um sicherzustellen, dass die Kollekte den Jerusalemern überhaupt noch willkommen war, änderte Paulus sein Vorhaben, sie nach Jerusalem bringen zu lassen. Er selbst musste noch einmal durch einen persönlichen Auftritt einen Streit durchfechten, den er beim zweiten Jerusalembesuch durchgestanden zu haben meinte.
Kurz vor dem Aufbruch in die jüdische Metropole schrieb Paulus den Römerbrief, als dessen geheimer Adressat immer auch die Jerusalemer Gemeinde anzusehen ist. In diesem denkwürdigen Dokument legt der Apostel seine Botschaft von der Glaubensgerechtigkeit dar, die als freie Gnade aufgrund des Sühnetodes Jesu im Glauben zu ergreifen sei und sowohl für Juden als auch für Heiden gelte. Doch scheint er nicht zu merken, dass er in Röm 9-11 teilweise all das zurücknimmt, was er vorher geschrieben hat. Plötzlich zieht ein überwunden geglaubter Patriotismus den Paulus in den Bann. Denn nun meint er ernsthaft: Ganz Israel werde, auch ohne an Christus zu glauben, am Ende der Tage, nachdem die Fülle der Heiden eingegangen ist, gerettet werden ( Röm 11,26 ). So gilt die Zugehörigkeit zum auserwählten Volk durch Geburt mehr, als nach den ersten acht Kapiteln des Römerbriefes zu erwarten gewesen wäre.
Diese Kehre hat einen besonderen Grund. Paulus deutet ihn in den einleitenden Bemerkungen am Anfang von Kap. 9 selbst an. Er leidet Höllenqualen, weil die Überzahl seiner Volksgenossen das Heil in Christus doch nicht angenommen hat, und spricht den Wunsch aus, ihretwegen sogar von Christus weg verflucht zu sein. Hier wird eine andere Seite des Paulus sichtbar, die nach den scharfen Attacken gegen das Gesetz im Galaterbrief und in Röm 1-8 seltsam anmutet, aber gleichzeitig den Vorrang des Gefühls vor dem Denken auch bei Paulus belegt.
Aber all das hat den Juden wenig geholfen. In der heidenchristlichen Kirche, als deren eigentlicher Gründer Paulus gelten muss- seine Wirksamkeit in Wort und Tat löste eine Lawine in ihre Richtung aus -, hat die Erfindung eines für Israel verbleibenden Sonderwegs zum Heil nicht verhindern können, daß ungläubige Juden ebenso wie ungläubige Heiden in der Folgezeit für immer verdammt wurden. Beiden galt das Wort des auferstandenen Jesus aus dem sekundären Markusschluss: "Wer da glaubt und getauft wird, der wird gerettet werden, wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden" ( Mk 16,16 ).
Paulus selbst hat erleben müssen, wie auch die judenchristliche Kirche das Band mit der heidenchristlichen Kirche zerschnitten hat. Die von ihm eingesammelte Kollekte wurde abgelehnt. Die christlichen Brüder gingen in ihrer Paulusfeinschaft so weit, ihn sogar bei der römischen Obrigkeit anzuzeigen. Ein Epheser namens Trophimus sei angeblich von ihm in den Tempel geführt worden. Der weitere Gang der Ereignisse ist bekannt. Paulus appelliert als römischer Bürger an den Kaiser, gelangt so doch noch zu seinem Ziel Rom, wird hier aber unter Nero hingerichtet. Die Spanienreise blieb nur ein Plan.
So tragisch all das war, so muss doch der Gerechtigkeit halber gesagt werden, dass die von den Gegnern in Jerusalem gegen Paulus erhobenen Vorwürfe einen Anhalt in der Wirklichkeit hatten. Sie brachten gegen Paulus vor, dass dieser die Judenchristen in der Diaspora lehre, ihre männlichen Nachkommen nicht mehr zu beschneiden, und sie so vom jüdischen Gesetz entfremde ( Apg 21,21 ) Nun findet sich derartiges zwar nicht ausdrücklich in den paulinischen Briefen - Paulus fordert Juden nachdrücklich auf, in ihrem Stand zu bleiben - doch muss betont werden: die paulinische Wirksamkeit birgt die Konsequenzen des erwähnten Vorwurfs in sich. Tatsächlich wurden Judenchristen, die in paulinischen Gemeinden lebten, ihrer Mutterreligion entfremdet. Natürlich beschnitt die Minderheit der Judenchristen als Konsequenz ihre männlichen Nachkömmlinge dann nicht mehr. Mit anderen Worten, Judenchristen der paulinischen Gemeinden waren praktisch dazu verurteilt, früher oder später ihre Identität zu verlieren. Ein weiteres kam hinzu. Die Rechtfertigungslehre des Apostels, der zufolge die Gnade allein durch Glauben ohne Tun erlangt wird, ließ die ethische Frage unbeantwortet ( vgl. Röm 3,8 ) und konnte leicht zum Libertinismus führen.
Schließlich war die Art des Paulus, theologisch mit dem Gesetz umzugehen, alles andere als eindeutig. Faktisch stellte sich Paulus gar nicht mehr auf den Boden des Gesetzes, sondern machte einander ausschließende, d.h. widersprüchliche Aussagen über die Thora, weil er von Christus her bereits eine Antwort gefunden hatte. Mit einem solchen Mann war von jüdischer Seite keine Verständigung mehr möglich.
Ein letzter Punkt kam hinzu: Der jüdische Theologe Paulus war den Heiden ein Heide geworden, den Juden ein Jude und selbst weder Heide noch Jude. Wo sollte da die Verbindlichkeit liegen? Sein ganzes Auftreten hatte nicht nur einen Schuss von Arroganz, sondern auch eine Biegsamkeit, die auf geradlinige Geister verwirrend wirken musste. Wie sein großes Lebenswerk aber belegt, war diese Offenheit nach allen Seiten ein wirksamer Weg zum Erfolg. Nur einmal hatte er damit Schiffbruch erlitten, in Athen, als er versuchte, eine in jahrhundertelangen öffentlichen Debatten zu geistiger Wachheit gereifte Bevölkerung zu beeindrucken. Diese wies - Lukas zufolge - ihn aber in der Gestalt stoischer und epikureischer Philosophen in seine Grenzen und konnte sich weder mit dem zukünftigen Gericht Christi noch mit dessen körperlicher Auferstehung anfreunden. Des Paulus auf mystischen Erfahrungen gegründete Religion war der intellektuellen Herausforderung Griechenlands eben nicht gewachsen, sosehr er immer wieder als Feigenblatt den rechten Gebrauch der Vernunft anmahnte. Paulus kannte nicht die Erkenntnis der Wahrheit durch den logisch geschulten Verstand, der alle Begriffe und Anschauungen streng auf Inhalt und Haltbarkeit prüft, den populären Anschauungen und den Truggebilden der Phantasie unerbittlich zu Leibe rückt und keine Autorität über sich anerkennt, weder die eines Gottes noch die eines Menschen. Die Nicht-Existenz einer von Paulus gegründeten Gemeinde in Athen spricht hier Bände. Sie lässt gleichzeitig seine Ausführungen in 1Kor über die menschliche Weisheit als Torheit vor Gott zumindest teilweise als Ausflucht und als Verarbeitung der Niederlage in Athen ansehen. An die Stelle freier Forschung trat so die Autorität, an die Stelle der Erkenntnis der Glaube an die Torheit des Kreuzes.
Der tiefste Grund aber für den Sieg des Paulus und seiner Schüler in den Orten außerhalb Athens lag im Geist der Zeit. Die Welt war des Denkens müde geworden. Auf bequemerem Wege, durch Einweihung in Mysterien, von denen Taufe und Herrenmahl die christliche Spielart waren, suchte man sich der Unsterblichkeit zu versichern. Während der rationale menschliche Geist an Geltung verlor, war ein immer größerer Teil des Volkes glaubensbereit geworden und nahm gierig jede neue höhere Weisheit auf.

Die christliche Kirche verdankt diesem jüdischen Mann aus Tarsus fast alles. Er ist der wahre Gründer des Christentums.

Er hat Recht behalten: Er hat mehr als alle gearbeitet und die Grundlagen für alles weitere in der Kirche geschaffen. Dabei versetzte er die Religion Jesu, so wie er sie missverstand, auf heidnisches Territorium und bewirkte, ohne es wirklich zu wollen, die andauernde Trennung zwischen Kirche und Israel.
Damit ist zugleich die tragische Seite seines Werkes angesprochen. Der christliche Antijudaismus auf heidnischem Boden hat entscheidende Anstöße von Paulus empfangen und verheerende Wirkung gezeitigt. Schon hier mag man innehalten und die Frage aufwerfen, ob es Paulus besser nicht gegeben hätte. Wäre dann nicht ein jüdisches Reformjudentum mit christlichem Namen entstanden, welches die Möglichkeit gehabt hätte, eine menschenfreundliche Religion zu entwickeln, unter Wahrung des wertvollen Erbes der jüdischen Mutterreligion? Jedenfalls wäre ohne Paulus und seine Schüler das Judentum nicht an den Abgrund geführt worden.
Gleichzeitig sieht sich Paulus unüberwindlichen Argumenten von Seiten der kritischen Vernunft gegenüber. Sie beziehen sich auf die wichtigste Voraussetzung seiner Theologie, das Bild eines exklusiven Gottes (s. sofort), sowie auf nahezu alle Einzelheiten der von ihm ausgeführten Lehre: a) die Vorstellung, dass Gottes Sohn für die Sünden der Welt sühnen musste, b) die widersinnige Gleichsetzung von Jesus und Christus mit der damit verbundenen Anmaßung, Sprecher eines Menschen zu sein, den er persönlich nie gekannt hat, c) die Auffassung, dass der christliche Erlösungsmythos als einziger den Weg zur Seligkeit eröffne, d) die konfusen Ausführungen zum Gesetz, die beharrlich ihre Voraussetzungen verschweigen, darunter die Annahme, dass eine Lösung bereits gefunden sei, bevor eine Frage gestellt werden könne, e) der Anspruch, ein historisches Ereignis könne das Heil der Welt bedeuten.
Gewiss, man kann vielleicht noch verstehen, dass ein Mensch des ersten Jahrhunderts solche Tollheiten behauptet. Sie werden aber spätestens dann gefährlich, wenn man sieht, dass sie bis heute von den christlichen Kirchen und sogar von akademischen Theologen vertreten werden. Hier heißt es dann, um nur ein Beispiel anzuführen, die Auferstehung Jesu habe eine objektive Bedeutung für die Geschichte der Welt, ja sie sei zusammen mit Jesu Tod deren Wendepunkt und zugleich ein Ereignis auch von kosmischer Bedeutung.
Die Geschichte des Paulus nachzuerzählen, bedeutet gleichzeitig, ein kritisches Urteil über ihn zu fällen. Er war gewiss eine wahrhaft große Gestalt im frühen Christentum, ja, sein Gründer. Aber die bis heute vertretene Auffassung, seine Briefe enthielten Gottes Wort, ist ein trauriger Verrat an der Vernunft und eine Flucht vor dem Leben. Wir Heutigen kommen - bei intensiver Auseinandersetzung mit ihm - an der Erkenntnis nicht vorbei, dass durch die Art seines Denkens gefährliche Weichenstellungen erfolgt sind, die in die Irre führen. Sein Gottesbild stiftet dazu an, die "Ungläubigen" nicht zu respektieren, sondern sie zum Gehorsam aufzufordern, damit sie der ewigen Höllenstrafe entgehen. Monotheismus wird auch bei ihm letztlich zum Totalitarismus. Sein religiöser Eifer bleibt in verdächtiger Nähe zu einem Fanatikertum. So sind die zweifellos auch vorhandenen humanen Züge des Paulus immer durch den höheren Dienst an Gott gebunden und richten sich im Konfliktfall, wie die Geschichte gezeigt hat, unweigerlich gegen den Menschen. Soli Deo Gloria.

Meine Empfehlung für weiterführende Literatur zu Paulus:

Der eigentliche Gründer des Christentums „Das Leben Paulus“


Der Neutestamentler Gerd Lüdemann hat aufgrund seiner Veröffentlichungen und der darauf folgenden Diskussionen seinen neutestamentlichen Lehrstuhl an der evangelisch-theologischen Fakultät in Göttingen verloren. Doch unverdrossen forscht er weiter und legt in dichter Folge ein Buch nach dem anderen vor. Nicht wenige seiner Gegner haben dagegen seit Jahrzehnten keine Monographie mehr veröffentlicht. Lüdemanns neue Arbeit gibt Aufschluss über Paulus. Nicht das Haupt der sich auf ihn berufenden "Jesus-Sekte" innerhalb des Judentums, noch ein Jünger aus Jesu unmittelbarer Umgebung - Petrus etwa - könnten aus historischer Perspektive als "Eckstein" der christlichen Kirche gelten, sondern ein Mann, der Jesus zu dessen Lebzeiten nie gesehen hat - eben Paulus. Er "veränderte die Religion Jesu in einem erheblichen Umfang", schreibt Lüdemann, "ohne ihn und seine Schüler hätten wir wohl nie etwas von Jesus gehört." Die christliche Kirche verdanke "diesem jüdischen Mann aus Tarsus fast alles."
Vor dem Hintergrund gründlicher Textinterpretationen, die freilich auf affirmative Glaubenssätze keine Rücksicht nehmen, stellt Lüdemann uns den historischen Paulus vor Augen. Gegen die Paulus-Bilder berühmter Neutestamentler wie Albert Schweitzer und Rudolf Bultmann wendet er mit textkritischen und methodologischen Argumenten ein, sie hätten den Historisierungs- bzw. Entmythologisierungsprozess nur halbherzig vollzogen, um ihrer Kirche einen "Paulus des Glauben" zu erhalten. Mehr noch: Sie hätten mit Hilfe moderner philosophischer Gedanken und mit Frageverboten die Kritik an theologischen Basissätzen wie dem der Auferstehung Jesu Christi immunisiert.
In einem "Nachruf" schildert Lüdemann ganz nüchtern, was historisch von Paulus bleibt, wenn man ihn aus der kerygmatischen Schale pellt. Und das ist wenig: Paulus war zwar ein Altersgenosse Jesu, sonst aber gab es kaum biographische Gemeinsamkeiten. Der Großstädter, Diasporajude und römische Staatsbürger schlug die Laufbahn eines jüdischen Gelehrten ein. Anders als die meisten seiner Kollegen und in richtiger Einschätzung der Bedrohung des Judentums durch die radikale "Jesus-Sekte" entschloss er sich zur blutigen Verfolgung dieser häretischen Gruppe. Doch plötzlich - durch das emotionale Erlebnis einer Vision des Verfolgten - erlebte er eine grundstürzende Konversion. In kühnen Gedankenkonstruktionen sah er sich vom Herrn selbst zum Apostel berufen, was zu heftigen Kontroversen mit jenen in Jerusalem führte, die mit empirischem Recht von sich sagen konnten, die eigentlichen Apostel Jesu zu sein. Doch nicht sie, sondern Paulus machte die Jesus-Bewegung aus einer Provinz-Sekte zu einer erfolgreichen Religion im Römischen Reich. Die oft aus Juden und Heiden gemischten Paulus-Gemeinden waren es auch, die sich vom jüdischen Profil und von der jüdischen Ethik der Jesus-Bewegung verabschiedeten.
Aus einer jüdischen Sekte wurde eine gegenüber den Juden indifferente oder gar kritische Bewegung, was zwangsläufig zu neuen Konflikten mit den Traditionsbewahrern der Jesus-Gemeinde in Jerusalem führen musste. "Der jüdische Theologe Paulus war den Heiden ein Heide geworden, den Juden ein Jude geblieben und war selbst weder Heide noch Jude." Doch Paulus' Biegsamkeit und Flexibilität gehörten wesentlich zum Geheimnis seines Erfolges, zumal sich seine mystische Religion der intellektuellen Herausforderung Griechenlands "nicht gewachsen" zeigte. Dass er trotz der gedanklichen Defizite mit seiner Religion so erfolgreich sein konnte, führt Lüdemann in erster Linie auf den Geist der Zeit zurück: "Die Welt war des Denkens müde geworden. Auf bequemerem Wege, durch Einweihung in Mysterien, von denen Taufe und Herrenmahl die christliche Spielart waren, suchte man sich der Unsterblichkeiten zu versichern. Während der rationale menschliche Geist an Geltung verlor, war ein immer größerer Teil des Volkes glaubensbereit geworden und nahm gierig jede höhere Weisheit auf." Auf gute Zeiten folgten auch schlechte Zeiten für das paulinische Christentum. Bekanntlich hat es alle überstanden - bis heute.

Gibt es einen "Gründer" des Christentums?
Gerd Lüdemann über Paulus


Das Interesse an den historischen Umständen der Entstehung des Christentums ist neu erwacht. Eine Reihe von Studien - vor allem aus der amerikanischen Forschung - wendet kulturwissenschaftliche Theorien an, und zwar speziell, um die Ausdifferenzierung einer eigenständigen Grösse namens Christentum gegenüber dem Judentum zu erfassen. Verbunden damit ist eine Kritik an dem traditionellen Erklärungsmuster, wonach das Christentum eine Tochterreligion des Judentums sei. Dieses Paradigma wird entweder so modifiziert, dass man «Christentum» und «Judentum» als Zwillingsgeburt beschreibt, deren virtuell gemeinsame Mutter die biblische Religion sei. Oder es wird die Mutter-Tochter-Metaphorik gänzlich aufgegeben - mit der Folge, dass «Judentum» und «Christentum» als in den ersten drei Jahrhunderten noch miteinander verschlungene und nicht klar voneinander abgrenzbare Kulturen dargestellt werden.
In jedem Fall wird jedoch vorausgesetzt, dass die in den ersten drei bis vier Jahrhunderten unserer Zeitrechnung geschichtswirksam werdende Gestalt des rabbinischen Judentums und das im selben Zeitraum sich etablierende Christentum religiös-kulturelle und soziale Ausdifferenzierungen sind, die sich langwierigen und «multifaktoriellen» Prozessen verdanken - und nicht einer einzigen, etwa gar an einzelnen Gründungs- oder Stiftergestalten zu identifizierenden Ursache.
Zu diesem neuen Diskurs über Anfänge des Christentums steht das Buch des Göttinger Neutestamentlers Gerd Lüdemann quer. Es knüpft - merkbar auch an der Dominanz der literarischen Gesprächspartner - an die Diskussionen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts und deren Konstruktionen historischer Modelle an und repetiert die wichtigste ihrer Thesen, nämlich dass nicht Jesus von Nazareth der Stifter des Christentums gewesen sei, sondern Paulus von Tarsus. Er sei der «wahre Gründer des Christentums», denn er habe, vermittelt freilich vor allem durch «begabte Schüler», «die Bildung einer Kirche jenseits von Judentum und Heidentum erkämpft». Jesu Religion und die seiner Anhängerschaft in Jerusalem sei noch innerhalb des Judentums verblieben, die «Hellenisten», Griechisch sprechende Anhänger der Jesus-Bewegung in der Diaspora, hätten sich zwar für «Heiden» geöffnet, seien aber, so Lüdemann, noch zu stark von Jerusalem abhängig gewesen. Erst Paulus habe eine sichere Grundlage für eine «heidenchristliche Kirche» geschaffen, indem er der neuen Religion eine «Einheit von Lehre und Autorität» gab.
Dies ist der Kern der Lüdemann'schen Thesen, und sie sind, wie gesagt, nicht neu. Beigegeben sind ihnen einerseits ausführliche und diskutable historische Rekonstruktionen, insbesondere die Chronologie von Paulus' Leben und Wirken betreffend, seine Persönlichkeit und seine Grundüberzeugungen, verbunden mit eingehenden Kommentaren zu wichtigen Briefstellen. Andererseits fügt Lüdemann eine Abrechnung mit Paulus (und dem Christentum) aus moderner Sicht hinzu, die mit der Historisierung («das meiste von Paulus gehört ins Museum») zugleich auch konstatiert, dass sein Wirken im Wesentlichen auf «Selbsttäuschung» beruhe. Wie die geläufige Christentumskritik, die sich teilweise auch im 19. Jahrhundert schon mit einer Historisierung verbunden hatte, meint Lüdemann mit seiner Forschung nun auch zu «einer dringend nötigen Emanzipation von der christlichen Vergangenheit» beigetragen zu haben: «Ein sachgemässes Verständnis des Paulus bedeutet somit, ein unerledigtes Kapitel der christlichen Kirche und Kultur wenigstens ansatzweise abzuschliessen.»
Wenn es zum Mythos einer kulturell-religiösen Identitätsbildung in der Antike gehört, dass sie sich von einem Ursprung in Zeit und Raum herleitet, so zu den Legenden der Historiographie - auch Klio dichtet bekanntlich - die Auffassung, alles wirksam Gewordene in der Geschichte könne auf grosse Männer zurückgeführt werden. Doch wie jene Gründungsmythen das Ergebnis eines kulturell-religiösen Abgrenzungsprozesses idealisieren, so unterschätzen diese (genieästhetischen) Historisierungslegenden den Einfluss machtpolitischer und soziokultureller Transformationsprozesse. Weder Jesus noch Paulus haben das Christentum gegründet - geschweige denn, dass sie das beabsichtigt hätten. Es verdankt sich vielmehr dem Prozess der Veralltäglichung charismatisch-apokalyptischer Bewegungen, deren Teil Jesus und Paulus waren. Der Prozess spielte sich in einem multikulturellen Milieu ab, in dem das Judentum und der Hellenismus einander wechselseitig durchdrungen und den Boden für eine «transethnische» Identitätsbildung geschaffen hatten. Und diese wäre paradoxerweise kaum sozial erfolgreich geworden, wenn sie nicht gegen die römische Kriminalisierung der (jüdischen und nichtjüdischen) Christus-Anhänger die Vision einer neuen, transzendenten Welt hätte setzen können. Diese - nach Massgabe der Realität illusionären oder zumindest irrationalen - Konzepte mobilisierten offenbar Widerstandskräfte, die ironischerweise - anders, als die Verheissung des nahen Endes es wollte - eine irdische Fortdauer ermöglichten.


Verwendete Literatur:

Peter de Rosa: „Der Jesus-Mythos“
Uta Ranke-Heinemann: „Nein und Amen“
Gerd Lüdemann: „Das Leben Paulus“


Mit freundlichen Grüßen
Heinrich5
Gelöscht_09041201

wer sagt..

Ungelesener Beitrag von Gelöscht_09041201 »

.. das es jesus denn gab .. ?
.. wer sind die, die sagen was er denn dann auch noch wollte? ;-)
Heinrich5

Ungelesener Beitrag von Heinrich5 »

Hallo treumie

Ich glaube schon, dass Jesus tatsächlich gelebt hat und am Kreuz gestorben ist. Sonst wäre sicherlich nicht das Christentum entstanden. Er hatte seine Anhänger, welche später die Keimzelle für das Entstehen des Judenchristentums legten aus welchem später, mit Hilfe von Paulus, das eigentliche Christentum entstand.
Viele sind der Meinung, die vier Evangelien seien so eine Art Biografie über den historischen Jesus. Das sind sie nicht. Die Evangelien sind bereits Mythologien, in welchen dargestellt wird, wie Jesus zum Christus wurde. Die Evangelien sind nicht geschrieben worden, um Informationen über den Jesus der Geschichte zu geben.
Bibelwissenschaftler, sogenannte Exegeten, überprüfen jeden Satz, jede Aussage der Bibel. Im Bereich des Neuen Testaments fanden sie beispielsweise heraus, dass das Matthäusevangelium und das Lukasevangelium in vielen Textabschnitten auf das Markusevangelium zurückgegriffen habe. Die Literarkritik untersucht nun, in welcher Weise Abweichungen bestehen, wo weitere Ergänzungen vorgenommen wurden und wo gänzlich andere Quellen eingebaut worden sind.
Die Bibelexegese in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte ihren Schwerpunkt dabei im Differenzkriterium, um den 'historischen Jesus' aus den biblischen Texten herauszuschälen: Der so rekonstruierte Jesus trug im Grunde weder jüdische noch christliche Züge, obwohl Jesus unbestritten Jude war. Das besagt doch schon, dass an der Person Jesus gefälscht worden ist, um den Juden Jesus auch den Heiden (Griechen und Römer) schmackhaft zu machen.
Das was Jesus im Neuen Testament sagte, ist ihm in den meisten Fällen durch die Evangelisten in den Mund gelegt worden. Man glaubt heute, dass nur einige wenige Sätze aus der Bergpredigt tatsächlich von Jesus stammen könnten. Das Ziel der Evangelisten bestand darin, Jesus zum Christus zu erhöhen und die Kirche hat dies in den ersten Jahrhunderten weiter ausgebaut.
Es gibt Theologen, die erklären, dass das Christentum der Geschichte gegenüber völlig indifferent ist. Das Christentum wäre eine Botschaft an die Menschheit und es würde nichts ausmachen, wenn zweifelsfrei bewiesen würde, dass Jesus nie gelebt hat. Die Kirche würde daran keinen Schaden nehmen. Der historische Jesus wird deshalb auch heute von der Kirche weitgehend ignoriert.
Glaube kann nicht auf Geschichte gründen denn die Autoren des Neuen Testaments haben die Geschichte in ihren Schriften abgeschafft.
Es ist also mehr als müßig sich z. Bsp. darüber zu streiten, ob Jesus tatsächlich gelebt hat oder nicht.
Es ist aber tatsächlich dummes Zeug und dummes Gerede, wenn manche Theologen ihre Sätze folgendermaßen beginnen: "Wie Jesus zu seinen Jüngern sagte, ..........)

Besten Gruß
Heinrich5
Gelöscht_09041201

müßig??..

Ungelesener Beitrag von Gelöscht_09041201 »

.. keineswegs.. da so ziemlich jeder Gläubige vom Wahrheitsgehalt der Bibel ausgeht... DESHALB wird geglaubt, dass jesus existiert hat ..

also keineswegs "müßig".. sondern "in Frage stellend", was ohne Beweis als "sicher" angenommen wird..

achso.. die Reliquien.. oh ich thor.. nunja.. ;-)



vg
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Ungelesener Beitrag von niels »

Ich glaube schon, dass Jesus tatsächlich gelebt hat und am Kreuz gestorben ist. Sonst wäre sicherlich nicht das Christentum entstanden.
Als "nur" denkender Mensch verstehe ich nicht was das eine mit dem anderen in Zusammenhang bringt.

Es gibt auch Religionen, die ähnliches berichten / glauben und deren "Erlöser" - so weiß man heute sicher - nie existiert haben. Im Islam wiederum gibt es heute tausende - zumeist kleine - "Strömungen", die je einem anderen "Mohammed" "huldigen", weil die Geschichte (arme Eltern, hieß Mohammed usw.) auf die jeweilige Person zutraf und es in den Regionen viele mit Namen "Mohammed" gab wie gibt.

Afaik wurde die "Bibel" (neues Testament) hunderte Jahre nach "Jesus" aus Erzählungen / Überlieferungen über viele Generationen und geografische Entfernungen aufgeschrieben. Niemand davon hat Jesus jemals gesehen bzw. sehen können.

Allerdings kann ich mir schon vorstellen, das Jesus als Mensch gelebt und als - wie beschrieben - ein Wanderprediger gewirkt hat - ggf. auch einiges aus den Erzählungen auch real zutraf. Die Kultur der Wanderprediger ist in Indien Jahrtausende älter (z.B. Buddha / Gautama) und einige Forscher schließen nicht aus, das Jesus dort selbst über Jahre lebte, danach zurückkehrte und die "Wanderprediger-Kultur" in seine Heimat "mitbrachte". Als "Wanderprediger" hat er offenbar großen Eindruck hinterlassen und auch gute Ideen verfolgt. Das er aber z.B. jemals eine "Kirche" als Institution wollte, "glaube" ich weniger...

Beste Grüße,

Niels.
Christel
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Ungelesener Beitrag von Christel »

Hallo Heinrich5,

ich denke die Begriffe „Mythos“ oder auch „Mythologien“ haben irritiert.

Mythen sind ein weites Feld, unterschiedlicher Herkunft. „Mythos“ bedeutet nicht einfach „ausgedacht“. Mitunter werden gerade so wesentliche Erfahrungen auf den Punkt gebracht sowie tradiert. Mythen wirken identitätsstiftend.

So weit sind die „NT-Bibelschreiber“ gar nicht weg, finde ich. Gerade die Paulusbriefe sind die ältesten Zeugnisse. Jesus starb jung. Paulus kannte die Jünger, die mit Jesus unterwegs waren. Die Evangelien wurden fertiggestellt als die 1. Generation Christen langsam starb. Das heißt nicht, dass alle Textinhalte erst zu dieser Zeit entstanden.

Diese Schreiber sind auf jeden Fall sehr weit von Jesus weg, ca. 2000 Jahre.
Heinrich5 hat geschrieben:Verwendete Literatur:
Peter de Rosa: „Der Jesus-Mythos“
Uta Ranke-Heinemann: „Nein und Amen“
Gerd Lüdemann: „Das Leben Paulus“
Es sind keine Zeitzeugen, wie die Bibelschreiber. Außerdem sehr umstrittene Theologen.

Jesus sehe ich nicht in einer solchen Nähe zu den Essenern. Ich werde das später begründen.
Paulus sehe ich nicht als Gründer des Christentums. Seinen Einfluss und seine Bedeutung bestreite ich nicht.

LG Christel
Christel
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Re:

Ungelesener Beitrag von Christel »

Heinrich5 hat geschrieben:Ganz sicher war aber Jesus zumindest ein Sympathisant der Essener
Nach Josephus (+ ca. 100 n. Chr.) hatten die Essener einen Unsterblichkeitsglauben. Sie waren davon überzeugt, dass der Körper vergeht und die Materie nicht von Dauer ist, dass jedoch die Seelen unsterblich sind für immer und ewig. Auf die guten Seelen wartet ein Leben in einem Land, das weder unter Regengüssen noch Schneefällen, noch Hitze leidet, das vielmehr ein vom Ozean wehender Zephyr erquickt. Auf die Bösen wartet nach ihrer Meinung eine finstere eiskalte Hölle, der Ort ewiger Strafe.
Das ist hypothetisch. Die Geschichte mit dem Unsterblichkeitsglauben der Seele klingt zwar sehr katholisch, geht aber nicht unbedingt auf Jesus oder die ersten Christen zurück. Jesus ist nach deren Zeugnis leibhaftig auferstanden! – „Auferstehung der Toten (wörtlich: des Fleisches)“ heißt es im Glaubensbekenntnis.
Heinrich5 hat geschrieben:Christentum und Qumran sind zwei Bewegungen innerhalb des Judentums die sich in manchen Punkten sehr ähnlich sind: Beide betrachten sich als das wahre Israel. Beide sehen sich in der Endzeit und erwarten das unmittelbar bevorstehende Ende der Welt. Beide haben sich mit ihrer Naherwartung geirrt. Beide verehren ihren jeweiligen Meister als Offenbarung göttlicher Geheimnisse. Beide sind überzeugt, dass sie in biblischen Schriften vorausgesagt sind, und sehen sich als Erfüllung dieser biblischen Verheißungen. Bei beiden spielt ein Kultmahl eine große Rolle. Das christliche Abendmahl , das in vielem so ähnlich verläuft wie das Qumran-Kultmahl, hat inzwischen durch fortschreitende Stilisierung seinen Ernährungscharakter völlig verloren. Aber zu Beginn war das anders. Pauls tadelte die korinthischen Christen wegen der ungleichen Verteilung des Essens und Trinkens: „Der eine hungert, der andere ist betrunken“ ( 1 Kor 11,21 ) .
Es gab noch mehr Gruppen innerhalb des Judentums. Es gab Pharisäer, Zeloten Schriftgelehrte, Sadduzäer...
Auch die Pharisäer hofften auf ein Leben nach dem Tod.

Die Qumranfunde hatten derzeit Euphorien ausgelöst, man glaubte schon das NT neu schreiben zu können...
Das hat sich inzwischen alles gelegt. Wer Ähnlichkeiten sucht findet sie überall. Zu beachten sind allerdings auch die deutlichen Unterschiede und hier denke ich gerade an die Lehre Jesu.
Die Qumran-Leute haben ein klares Freund-Feind denken – Jesus lehrt Feindesliebe.
Die Qumran-Leute wollen sich nicht verunreinigen – Jesus ist bekannt als Freund der Zöllner und Sünder.
Die Qumran-Leute lehren die strengste Einhaltung des Sabbatgebotes – Jesus setzt sich gerade über das Sabbatgebot hinweg ...
Jesus Diskussionsgegner im NT sind übrigens nie die Essener, sondern vielmehr die Pharisäer. Diese sehen das Sabbatgebot liberaler als die Essener und dennoch eckt Jesus in seiner Auslegung des Sabbat mit ihnen an. Klar, Jesus betrachtet sich nicht nur als Ausleger des Gebotes, sondern als Herr über den Sabbat.
„Qumran“ kennt rituelle Tauchbäder, die immer wieder erneuert werden – die christliche Taufe ist ein einmaliger Akt, getauft wird auf Christus.
Heinrich5 hat geschrieben:In zwei Punkten unterscheidet sich die Qumrangruppe von dem ursprünglichen Christentum: erstens in der Militarisierung und zweitens in der Frauenfeindlichkeit. Unter Paulus hat dann aber die Militarisierung und die Frauenfeindlichkeit, schon früh in das Christentum seinen Einzug gehalten und die Christen haben im Laufe ihrer Geschichte beides reichlich nachgeholt.
Kannst Du dafür einen Beleg nennen?
„Jesus Christus, der Auferstandene, das bedeutet, dass Gott aus Liebe und Allmacht dem Tod ein Ende macht und eine neue Schöpfung ins Leben ruft, neues Leben schenkt.“ Dietrich Bonhoeffer (Das Wunder der Osterbotschaft)
Heinrich5

Re: Hat Jesus die Kirche gewollt?

Ungelesener Beitrag von Heinrich5 »

Hallo Christel,

die Frauenfeindlichkeit und die militärische Ausrichtung der Essener ist durch die Quumran-Rollen belegt. Nicht ohne Grund haben die Römer diese Sekte mit ihren Wohnanlagen nach dem letzten jüdischen Aufstand vernichtet.

Nun zu Paulus:

Frauenfeindlichkeit des Paulus:

Nachdem Paulus an Timotheus geschrieben hatte, Frauen hätten sich fromm zu kleiden, das heißt ohne Sex-Appeal, fährt er fort:“ Zu lehren gestatte ich der Frau nicht. Sie soll auch nicht über den Mann herrschen wollen, sondern sich still verhalten. Denn Adam wurde zuerst erschaffen, dann erst Eva. Und nicht Adam ließ sich verführen, sondern das Weib ließ sich betrügen und kam zu Fall. Sie soll zum Heile gelangen durch Kinder gebären“.(1.Tim.2,12 ff).
Im ersten Korintherbrief 14,34 schreibt Paulus, dass die Frau in der Kirche zu schweigen habe.

Dies bildete die Grundlage für die christliche Abwertung der Frau. Die folgenden Jahrhunderte hindurch brach ein Strafgericht nach dem anderen über die Frauen herein. Frauen waren Nachfolgerinnen Evas und galten als Hauptverantwortliche für das häufige „Fallen“ der Männer. Tertullians Schriften waren voller Galle gegen Frauen, deren Geschlecht allein Gottes Fluch über sie brachte. Er sagt: „Ihr seid das Tor des Teufels, ihr zerstört Gottes Ebenbild den Mann“. Frauen wurden fast ausnahmslos als frivole, trügerische, zur Unkeuschheit verführende Kreaturen dargestellt. Das Christentum pries bald das ehelose Leben. Fleischeslust galt als unweigerlich sündhaft, selbst in einer rechtmäßigen Ehe. Sex sollte abgeschafft werden. Für die spätere Einführung des Zölibats der Priester galt folgendes Argument: „Wer den keuschen Leib des Heilandes in der Eucharistie berührt, muss die Finger vom lasterhaften Leib des Weibes lassen“.
Der heilige Erzbischof Anselm von Canterbury schrieb in einem Gedicht: „Das Weib hat ein klares Gesicht und eine liebliche Gestalt. Sie gefällt Dir nicht wenig, die milchweiße Kreatur! Aber Ach! Würden ihre Eingeweide geöffnet und all die anderen Regionen ihres Fleisches, so würde sich zeigen, welch widerliches Gewebe diese weiße Haut enthält“. Thomas von Aquin glaubte, Frauen seien Männer , welche nicht ganz gelungen waren.
Ich könnte hier noch viele weitere Beispiele aufführen.


Paulus legt die Grundlagen für die Militarisierung des Christentums:

Röm 13-13,8 „Der Christ und die staatliche Ordnung“

„Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt. Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen. Vor den Trägern der Macht hat sich nicht die gute sondern die böse Tat zu fürchten; willst Du also ohne Furcht vor der staatlichen Gewalt leben, dann tue das Gute, so dass Du ihre Anerkennung findest. Sie steht im Dienst Gottes und verlangt, dass Du das Gute tust. Wenn du aber Böses tust, fürchte dich! Denn nicht ohne Grund trägt sie das Schwert. Sie steht im Dienst Gottes und vollstreckt das Urteil an dem, der Böses tut. Deshalb ist es notwendig Gehorsam zu leisten, nicht allein aus Furcht vor der Strafe sondern vor allem um desGeistes willen. Das ist auch der Grund warum ihr Steuern zahlt; denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Gebt allen , was ihr ihnen Schuldig seid, sei es Steuer oder Zoll, sei es Furcht oder Ehre.“

1 Tim 6,1 – 2a „Wort an die Sklaven“

„Alle, die das Joch der Sklaverei zu tragen haben, sollen ihren Herren alle Ehre erweisen, damit der Name Gottes und die Lehre nicht in Verruf kommen. Wer aber einen gläubigen Herrn hat, achte ihn nicht deshalb für geringer, weil er sein Bruder ist, sondern diene ihm noch eifriger; denn sein Herr ist gläubig und von Gott geliebt und bemüht sich, Gutes zu tun".


Paulus trägt hier die Gedanken vor, mit denen das Christentum später Triumphe feiern wird. Nämlich die Verherrlichung des Gehorsams, der Passivität und der sklavischen Unterwürfigkeit gegenüber den Mächtigen, und zwar unter dem fadenscheinigen Vorwand, dass alle Macht von Gott kommt und deshalb auch ein leben in Armut und Demut auf eine göttliche Entscheidung zurückgeht. Paulus schmeichelt den Römern und predigt aus opportunistischen Gründen den Gehorsam gegenüber der Justiz, der Beamtenschaft und dem Kaiser Roms. Die Krankheit der Kranken, die Armut der Armen, die Qual der Gequälten, die Unterwürfigkeit der Dienenden und das Los der Sklaven entspricht demnach dem Willen des liebendenden barmherzigen Gottes.
Da alle Macht von Gott ausgeht, kommt der Ungehorsam gegenüber den Mächtigen einer Rebellion gegen Gott gleich. Gefordert wird eine Unterwürfige Haltung gegenüber jeglicher Form von Ordnung und Autorität.
Die Kirche hofiert die Mächtigen, rechtfertigt das Elend der Armen, schmeichelt denjenigen, die das Schwert in der Hand halten, und macht sich zur Komplizin des Staates. Auf diese Weise schafft sie es von Anfang an, immer auf der Seite der Tyrannen, Diktatoren und Autokraten zu stehen.

Gruß,
Heinrich5
Christel
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Re: Hat Jesus die Kirche gewollt?

Ungelesener Beitrag von Christel »

Hallo Heinrich,

die Essener lasse ich außen vor, denn außer, dass das auch Juden waren... sehe ich ehrlich keine echte Verbindung zum NT. Vielleicht sind einige Essener Christen geworden?

Paulus war jedenfalls nicht Essener, sondern Pharisäer. Das ist bekannt.
Heinrich5 hat geschrieben:Nachdem Paulus an Timotheus geschrieben hatte ...
Das hat er nicht!!!

Wie Du weißt, lieber Heinrich, wurden nicht alle Briefe, die Paulus zugeschrieben wurden, von Paulus selbst verfasst, z.B. der von Dir zitierte 1 Tim! Die Aussage stammt nicht von Paulus. Auch für den Texteil in (1Kor 14,34) wird die Verfasserschaft von Paulus angezweifelt.

Wäre auch ein bißchen komisch, wenn er einerseits so redet, andererseits Frauen mit Empfehlungsschreiben versieht und aussendet:
„1 Ich empfehle euch unsere Schwester Phöbe; sie steht im Dienst der Gemeinde in Kenchreä. 2 Nehmt sie auf im Herrn, wie es Heiligen ziemt, und steht ihr bei, wenn sie in irgendeiner Sache euer bedarf. Sie ist ja selber vielen beigestanden, auch mir selbst." (Röm 16,1)

Phöbe war nicht die einzige Frau in leitender Position im Dienst des Paulus:
"3 Grüßt Prisca und Aquila, meine Mitarbeiter in Christus Jesus; 4 sie haben für mein Leben ihre Nacken dreingesetzt; ihnen schulde nicht nur ich Dank, sondern auch alle Gemeinden der Heiden. 5 Grüßt auch ihre Hausgemeinde." (Röm 16,3f.)

Da die Timotheusbriefe nicht von Paulus stammen sind Deine damit begründeten Anschuldigungen gegen Paulus gegenstandslos.

Bleibt Dein Auszug aus dem Römerbrief. Also von Millitärdienst steht da gar nichts!

LG Christel
Heinrich5

Re: Hat Jesus die Kirche gewollt?

Ungelesener Beitrag von Heinrich5 »

Hallo Christel,

Du machst es Dir aber zu einfach.

Anstatt auf die von mir genannten Bibelstellen 1. Tim 2.12 ff ; 1 Tim.61 – 2a ; 1. Kor. 14.34 ; Röm 13-13.8. , einzugehen, wiegelst Du ab.


Du schreibst:
Da die Timotheusbriefe nicht von Paulus stammen sind Deine damit begründeten Anschuldigungen gegen Paulus gegenstandslos.


Es ist vollkommen irrelevant, ob Paulus der Verfasser aller Briefe war, welche ihm über die Jahrhunderte, also ca. 1.900 Jahre lang zugeschrieben wurden.
In den verschiedenen Bibelübersetzungen, welche ich in meinem Schrank habe, stehen nur in der von der katholischen und evangelischen Kirche herausgegeben Einheitsübersetzung nähere Erläuterungen zu den in letzter Zeit gewonnenen Erkenntnisse der Bibelforschung, auch zu den sogenannten paulinischen Briefe.
In allen vorhergehenden Übersetzungen, z.Bsp. in der Luther-Bibel, steht natürlich nichts davon. Da steht z.Bsp. nur „DER ERSTE BRIEF DES APOSTEL PAULUS AN THIMOTHEUS“ als Überschrift. Keine weiteren Erläuterungen.
In 1.900 Jahren Kirchengeschichte hat die Kirche nie in Zweifel gestellt, dass alle paulinischen Briefe, also auch die sogenannten Pastoralbriefe, von Paulus stammen. Sie waren und sind dem Verfasser vom „Heiligen Geist“ inspiriert und damit nicht in Zweifel zu stellendes „Gottes Wort“.

In der heutigen Einheitsübersetzung des NT wird jetzt eingeräumt, dass die neuere Forschung annimmt, dass die drei Pastoralbriefe nicht unmittelbar von Paulus stammen. Es heißt hier weiter, „….der Verfasser der drei Briefe, wer immer er sein mag, ist jedoch überzeugt, im Sinn und in der Autorität des Apostels Paulus zu schreiben und dessen Lehre für seine Zeit verbindlich darzulegen“.

Noch einmal: Es ist also vollkommen irrelevant, ob Paulus der Verfasser aller Briefe war, welche ihm über die Jahrhunderte, also ca. 1.900 Jahre lang zugeschrieben wurden. Der Kirche selbst ist dies heute auch ziemlich egal.
Möglicherweise hat Paulus auch keinen einzigen Brief selbst geschrieben. Sein Beruf war Zeltemacher. Er verkaufte seine Zelte an die Nomaden. Da seine Briefe, wie Bibelforscher aussagen, schwerfällig, holprig,und kompliziert an der Sprache ausgerichtet sind, ein unbeholfenes Griechisch, hat er seine Briefe wahrscheinlich bei seiner handwerklichen Arbeit irgendwelchen Schreibern diktiert. Manche schließen sogar daraus, dass er ziemlich ungebildet war und nicht schreiben konnte.

Du schreibst:
„Bleibt Dein Auszug aus dem Römerbrief. Also von Millitärdienst steht da gar nichts!“


Von Miltitärdienst hatte ich auch gar nichts geschrieben. Ich schrieb davon, dass hier Paulus die Grundlagen für die spätere Militarisierung der christlichen Gesellschaft legte. Er ist sozusagen der geistige Brandstifter.
Aufgrund erst dieser paulinischen Aussage in Römer 13-13.8 konnte das Christentum, unter Konstantin, 300 Jahre später zur Staatsreligion aufsteigen. Aus verfolgten Christen wurden verfolgende Christen.
Noch einmal:
Paulus trägt hier die Gedanken vor, mit denen das Christentum später Triumphe feiern wird. Nämlich die Verherrlichung des Gehorsams, der Passivität und der sklavischen Unterwürfigkeit gegenüber den Mächtigen, und zwar unter dem fadenscheinigen Vorwand, dass alle Macht von Gott kommt und deshalb auch ein leben in Armut und Demut auf eine göttliche Entscheidung zurückgeht. Paulus schmeichelt den Römern und predigt aus opportunistischen Gründen den Gehorsam gegenüber der Justiz, der Beamtenschaft und dem Kaiser Roms. Die Krankheit der Kranken, die Armut der Armen, die Qual der Gequälten, die Unterwürfigkeit der Dienenden und das Los der Sklaven entspricht demnach dem Willen des liebendenden barmherzigen Gottes.
Da alle Macht von Gott ausgeht, kommt der Ungehorsam gegenüber den Mächtigen einer Rebellion gegen Gott gleich. Gefordert wird eine Unterwürfige Haltung gegenüber jeglicher Form von Ordnung und Autorität.
Die Kirche hofiert die Mächtigen, rechtfertigt das Elend der Armen, schmeichelt denjenigen, die das Schwert in der Hand halten, und macht sich zur Komplizin des Staates. Auf diese Weise schafft sie es von Anfang an, immer auf der Seite der Tyrannen, Diktatoren und Autokraten zu stehen.

Gruß,
Heinrich5
Christel
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Re: Hat Jesus die Kirche gewollt?

Ungelesener Beitrag von Christel »

Hallo Heinrich,
wenn gegen mich, aufgrund meiner Briefe Anschuldigungen erhoben werden, ist es sehr wohl relevant, ob die Briefe von mir sind oder nicht!

Beim Thema „Hat Jesus die Kirche gewollt?“ diskutieren wir auf historischer Ebene.
Du selbst hast auf dieser Ebene in das Thema eingestimmt und über den historischen Jesus sowie Paulus geschrieben.

Du kannst nicht ernsthaft jetzt die Ebene wechseln wollen, nur weil Deine Thesen historisch nicht haltbar sind.

Also ich orientiere mich nach Möglichkeit am neusten Stand historischer Forschung sowie an dem, was die Einleitungswissenschaft heraus gefunden hat. Vor mir liegt ein Standardwerk der Einleitungswissenschaft von Udo Schnelle in der 6., neu bearb. Aufl. 07.2007.

Schnelle, Udo
Einleitung in das Neue Testament
(UTB) ISBN: 978-3-8252-1830-0
Kartoniert
608 S., 6 Ktn, Reg.
Diese Einleitung behandelt die Entstehungsverhältnisse der 27 neutestamentlichen Schriften und stellt die theologischen Grundgedanken jeder Schrift und die Tendenzen der neuesten Forschung dar. Darüber hinaus werden Themen wie die Chronologie des paulinischen Wirkens, die Paulus-Schule, methodische Überlegungen zu Teilungshypothesen, die Gattung Evangelium, Pseudepigraphie und das Werden des neutestamentlichen Kanons ausführlich erörtert. Umfassend und beeindruckend.
Theologische Literaturzeitung
Ein ausgezeichnetes und kompetentes, auch didaktisch sorgfältig gestaltetes Einleitungswerk.
Zeitschrift für Katholische Theologie
Das Buch wird sicherlich für lange Zeit ein Standardwerk bleiben. Ordenskorrespondenz
Den Römerbrief habe ich nicht ignoriert. Ich interpretiere diese Textstelle anders als Du. Du liest dort sehr viel hinein. – Aber das steht nicht da!

LG Christel
„Jesus Christus, der Auferstandene, das bedeutet, dass Gott aus Liebe und Allmacht dem Tod ein Ende macht und eine neue Schöpfung ins Leben ruft, neues Leben schenkt.“ Dietrich Bonhoeffer (Das Wunder der Osterbotschaft)
Heinrich5

Re: Hat Jesus die Kirche gewollt?

Ungelesener Beitrag von Heinrich5 »

Hallo Christel,

für die Kirche waren die Briefe 1900 Jahre lang die „Briefe des Apostels Paulus“ In der kirchlichen Verkündigung sind sie es heute noch. Das Wort des Kirchengründers Paulus hatte und hat noch immer Gewicht.

In meinem letzten Gottesdienst, welchen ich im Fernsehen verfolgte, hieß es
„Lesung aus dem ersten Brief des heiligen Apostels Paulus an Timotheus“.
Es hieß nicht
„Lesung aus dem ersten Brief eines Unbekannten an Timotheus“

Warum ist das wohl so?

Über Jesus, und ob er die Kirche gewollt hat, kann man nicht auf historischer Ebene diskutieren, denn historische Fakten aus dem Leben Jesu sind nicht bekannt. Das Neue Testament mit Darstellungen über Jesus ist nicht dessen Lebenslauf, sondern es sind kleine Geschichten, Anekdoten, Mythen. Jesus wird in diesen zum Christus erhoben und glorifiziert.

In den Römerbrief lese und diskutiere ich nichts herein. Den Theologen haben sich aber zur Geschichte der Kirche und des Christentums etliche Fragen gestellt. Z. Bsp. :
Warum verweigerten Christen bis zur Erhebung des Christentums zur Staatsreligion den Beruf des Soldaten und lehnten Gewalt ab?
Warum wurden aus verfolgten Christen unter Konstantin plötzlich verfolgende Christen?
Warum erhob der ungetaufte heidnische Kaiser Konstantin das Christentum in seinem Reich zur Staatsreligion? Er selbst ließ sich erst viele Jahre später auf dem Sterbebett taufen. Was versprach sich Konstantin vom Christentum als Staatsreligion?
Wie konnte es dazu kommen, dass ein ungetaufter heidníscher Kaiser Konzile einberief, persönlich das Erscheinen der Bischöfe überwachte und in den Konzilien festlegte, welche Konzilsbeschlüsse in seinem Sinne und zur Festigung seiner Staatsmacht durch die Bischöfe zu erfolgen hatten?. usw. usw.

Die Antworten fanden die Theologen in den Lehren des Paulus, speziell auf den Punkt gebracht sind diese in:
Röm 13-13,8 „Der Christ und die staatliche Ordnung“ und in
1 Tim 6,1 – 2a „Wort an die Sklaven“

auch wenn heute eingeräumt wird, dass die neuere Forschung annimmt, dass die drei Pastoralbriefe nicht unmittelbar von Paulus stammen. Wichtig der Kirche ist, dass der Verfasser der drei Briefe, wer immer er sein mag, überzeugt ist, im Sinn und in der Autorität des Apostels Paulus zu schreiben und dessen Lehre für seine Zeit verbindlich darzulegen“. Siehe Einheitsübersetzung des NT - Einleitung zu den Pastoralbriefen. Und darauf kommt es doch an.

Gruß
Heinrich5
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