Wenn Glaube krank macht

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Atheisius
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Wenn Glaube krank macht

Ungelesener Beitrag von Atheisius »

Leseprobe - Auszüge ausdem Buch von

Elke Endraß / Siegfried Kratzer - Wenn Glaube krank macht - Wege aus der Krise

ISBN 3-7831-2528-6 - Kreuz-Verlag

Vorwort

Haben Sie manchmal ein schlechtes Gewissen, wenn Sie lachen? Können Sie sich nur verhalten über etwas freuen?
Haben Sie Schuldgefühle, wenn es Ihnen (zu) gut geht?
Schämen Sie sich mitunter, wenn Sie mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin Zärtlichkeiten austauschen?
Als in einer Rundfunksendung unsere Interviews mit Menschen ausgestrahlt wurden, die an ihrem Glauben krank geworden sind, waren wir überrascht von den zahlreichen Reaktionen gerade auch von jungen Hörern. Wer glaubt, die religiöse christliche Erziehung hinterlasse heutzutage kaum noch bleibende Spuren, der irrt. Dass religiös bedingte Neurosen bei Sektenmitgliedern vorkommen, ist längst bekannt. Dass sie aber auch innerhalb der beiden großen Volkskirchen eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, gehört zu den Problemen, die in christlichen Kreisen gerne verdrängt werden.

Auf viele Menschen hat der Glaube keine befreiende und lebensentfaltende Wirkung. Belastet durch eine falsche Erziehung und fragwürdige Gottesbilder fühlen sie sich oft ein Leben lang unterdrückt und in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gehemmt. Mangelndes Selbstwertgefühl, Ängste, Kontaktschwierigkeiten, Zwangshandlungen bis hin zu Depressionen und Selbstmord sind die Folge. Oft kommt es auch zum Religionsverlust oder zu einer Entartung des religiösen Lebens. In unserer Sendung „Wenn der Glaube krank macht" haben wir damals mit betroffenen Christen beider Konfessionen gesprochen. Die teilweise erschütternden Berichte machen deutlich, dass das barmherzige Gottesbild aus dem Gleichnis vom verlorenen Sohn oft erst mühsam erarbeitet werden muss. Meist sitzen die religiösen Verletzungen so tief, dass die Hilfe eines erfahrenen Seelsorgers und Therapeuten nötig ist.

Wir wissen, wovon wir reden. Wir stammen beide aus religiösen Kreisen, in denen ein richtender, strafender Gott gepredigt wurde. Ein Gott, der wie ein Erbsenzähler alle unsere Verfehlungen kontrollierte. Wir sind groß geworden in einem fundamentalistisch geprägten Umfeld, in dem nichts in Frage gestellt werden durfte, in dem das Denken allein schon Sünde war. Wir waren beheimatet in Gruppen, die sich für etwas Besonderes hielten und uns in ein enges Gewissenskonzept zwängten, die uns allerdings auch Schutz und Geborgenheit vermittelten. Spät haben wir uns daraus befreit.
Dieses Buch richtet sich an all jene, denen ihr Glaube Angst macht und die so sehr unter ihrem Glauben leiden, dass sie sogar krank geworden sind. Es richtet sich an Christen der beiden großen Konfessionen, an Angehörige der katholischen Kirche als auch der evangelischen Kirche sowie an die so genannten Evangelikalen.

Wir möchten mit diesem Buch Mut machen, den überkommenen Glauben kritisch zu hinterfragen. Wir möchten Mut machen zum Zweifel, Mut zu einem selbstbestimmten Leben, das nicht ständig unter den Argusaugen eines strafenden Gottes abläuft. Wir möchten Mut machen, dem richtenden Gott davonzulaufen, um sich dem barmherzigen Gott in die Arme zu werfen.
Glaubenserfahrungen, die in der Kindheit gemacht werden, sind prägend für das ganze weitere Leben. Befreiung ist möglich. Doch der Weg dorthin ist oft lang und steinig. Dieses Buch will Möglichkeiten und Hilfen aufzeigen, sich aus dem krankmachenden Glauben zu lösen. Vielleicht gelingt es so, dass der eine oder andere wieder neu den Weg zu einer Glaubensgemeinschaft findet, die ihm den Nährboden zur Entwicklung einer gesunden Persönlichkeit gibt.

Macht der Glaube krank?

Ich bin sehr streng katholisch erzogen worden. Die Themen, um die sich alles dreht, waren Hölle, Verdammnis, Fegefeuer. Alle die jenseitigen Dinge, die die katholische Kirche nach wie vor noch lehrt. Meine Probleme kamen, als ich die Schule mit 16 Jahren verließ. Ich habe noch keine wichtige Lebensentscheidung selber getroffen. Ich rutschte in meinen Beruf, weil meine Eltern es so wollten. Ich komme mit dem Alltagsleben kaum zurecht. Problematisch ist alles, was mit dem Körper zu tun hat, vor allem die Sexualität. Ich stehe zum Beispiel vor dem Schwimmbad mit dem Eintrittsgeld in der Hand und kehre wieder um, weil man mir beigebracht hat, dass es Sünde ist, seinen Körper halbnackt zur Schau zu stellen. Ich bin nicht verheiratet. Seit 20 Jahren fahre ich allein in den Urlaub. Meine Angst hindert mich am Leben. Es ist die Angst vor Hölle und Fegefeuer. Die Angst vor diesen Dingen wechselt sich ab. In den letzten Jahren habe ich mehr Angst vor dem Fegefeuer. In meiner Jugend habe ich mich oft eingesperrt und tagelang Popmusik gehört, um diese Angst in mir zu übertönen.
Um die Jahreswende geht es mir immer besonders schlecht. An jedem Silvester- und Neujahrsgottesdienst wird das Lied gesungen „Befrei die armen Seelen all". Das ist für mich immer besonders schlimm. Ich will ein Jahr mit Dank abschließen. Aber wegen dieser einen Textzeile geht es nicht. Sie erinnert mich daran, dass am letzten Tag die Karten aufgedeckt werden. Dann ist es zu spät. Denn was macht uns so sicher, dass wir nicht bei den Verdammten sind? Kein Mensch ist so perfekt, dass er ohne Sünde ist. Ich kann mit dem Gottesdienst aber auch nicht entziehen, weil ich sonst gegen das Feiertagsverbot verstoßen würde und dann länger im Fegefeuer wäre.

Der 41jährige Versicherungskaufmann Tobias ist ein ansehnlicher, sympathischer Mann und doch, er leidet unter einer Krankheit, die früher in Fachkreisen als „ekklesiogene Neurose" bezeichnet wurde - Neurosen also, die durch. durch die Kirche verursacht wurden (ekklesia = Kirche). Heute spricht man eher von "religiös bedingten neurotischen Erkrankungen", denn es ist ja nicht nur die Kirche, die eine Neurose auslöst, sondern ein falsch vermittelter Glaube. Für diesen ist allerdings oft auch das familiäre Umfeld verantwortlich, in dem ein Kind groß wird. Aber ist das nicht ein Widerspruch? Ein Glaube, der krank macht? Kam Jesus nicht, um zu heilen und zu befreien? Solange es sich um Sekten handelt, überrascht es uns meist nicht weiter, wenn ein Mensch Schaden an Leib und Seele nimmt. Aber im volkskirchlichen Bereich? - Ein Tabu. Kaum jemand redet gerne darüber.
Zu den auffälligsten Symptomen eines krank machenden Glaubens gehört es, dass er keine mündigen Menschen duldet. Über viele Jahrhunderte hinweg war der Missbrauch der Religion ein probates Mittel, um Menschen besser regieren zu können. Erich Fromm gab vor 60 Jahren zu bedenken, dass jede Religion sich in Zukunft die Frage beantworten müsse, ob sie weiter autoritär bleiben wolle oder ob sie humanitär werden wolle.

Wann aber ist eine Religion humanitär?
Wenn sie die Funktion des Über-Ichs aufgibt, das den Menschen in Schuldgefühle und Ängste schnürt, so dass er immer wieder hilflos an die Rettung von außen appellieren muss. Nicht zuletzt deshalb hielt Sigmund Freud die Religion für eine Zwangsneurose und den Glauben für eine Illusion. Er sei etwas für Menschen, die zu schwach sind, um die Härten des Lebens zu ertragen und deshalb ihren Wunsch nach einem beschützenden Vater auf Gott projizieren.

Doch gleichgültig, ob die Betroffenen aus katholischen oder evangelischen Kreisen kommen – die Symptome sind ähnlich.

Der Psychoanalytiker Tilmann Moser bezeichnete dieses Phänomen vor fast 30 Jahren als „Gottesvergiftung". In seinem gleichnamigen Buch rechnete er gnadenlos mit dem Gott seiner Kindheit ab, die in ein enges pietistisches Korsett gezwängt war. Irgendwann wollte Moser mit diesem Gott nichts mehr zu tun haben. Einem Gott, der nur auf Rache aus war; einem Gott, der alles kontrollierte. Der ihm ständig die Schuld vorrechnete; einem Gott, der ihn nicht atmen und somit auch nicht richtig leben ließ. Er habe sich mit diesem Buch von Gott befreit, behauptet Moser. Gott spiele in seinem Leben heute keine Rolle mehr.

Siehe auch meinen Beitrag :
Re: Satan, Luzifer, Beelzebub...
Beitrag von Atheisius » Freitag 23. Dezember 2022, 18:38

viewtopic.php?t=5515&sid=37f6a032729b1d ... 4bb7aaf6af

und:

https://www.spiegel.de/politik/gott-ist ... 009140750
„Gott ist die aufs Lächerlichste vermenschlichte Erfindung der ganzen Menschheit. In den Jahrmilliarden, die unsere Erde alt ist, sollte sich Gott erst vor 4.000 Jahren den Juden und vor rund 2.000 Jahren den Christen offenbart haben, mit deutlicher Bevorzugung der weißen Rasse unter Vernachlässigung der Schwarzen, der Gelben und der Rothäute?
Claire Goll (1891 – 1977)
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