Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen

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Atheisius
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Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen

Ungelesener Beitrag von Atheisius »

Ich schrieb in einem vorhergehenden Thread folgendes:
Obwohl ich politisch kein Anhänger eines Staatssozialismus wie Lenin und andere bin, so kann ich mich der Definition von Religion nach Lenin anschließen:

„Die Ohnmacht der ausgebeuteten Klassen im Kampf gegen die Ausbeuter erzeugt ebenso unvermeidlich den Glauben an ein besseres Leben im Jenseits, wie die Ohnmacht des Wilden im Kampf mit der Natur den Glauben an Götter, Teufel, Wunder usw. erzeugt. Denjenigen, der sein Leben lang arbeitet und Not leidet, lehrt die Religion Demut und Langmut hienieden und vertröstet ihn mit der Hoffnung auf himmlischen Lohn. Diejenigen aber, die von fremder Arbeit leben, lehrt die Religion Wohltätigkeit hienieden, womit sie ihnen eine recht billige Rechtfertigung ihres ganzen Ausbeuterdaseins anbietet und Eintrittskarten für die himmlische Seligkeit zu erschwinglichen Preisen verkauft. Die Religion ist das Opium des Volks. Die Religion ist eine Art geistigen Fusels, in dem die Sklaven des Kapitals ihr Menschenantlitz und ihre Ansprüche auf ein halbwegs menschenwürdiges Leben ersäufen.“
Was ist Aufklärung?

Immanuel Kant fragte sich, wie der Mensch aus eigener Kraft Zugang zum Licht der Vernunft erlangen kann, um aus dem Dunkel der Vorurteile herauszutreten. Die Antwort liegt dabei im Gebrauch des eigenen Verstandes.

Sapere aude! - Wage zu wissen!

Kant beginnt seine Ausführungen unmittelbar mit der berühmten Definition:

„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“


Mündigkeit und Unmündigkeit

Kant erklärt den Gegensatz zwischen Mündigkeit und Unmündigkeit. Mündigkeit bedeutet für Kant dabei, selbstständig zu denken bzw. jederzeit den Mut zu haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Dann erklärt er, warum ein großer Teil der Menschen, obwohl sie längst erwachsen sind und fähig wären, selbst zu denken, zeit ihres Lebens unmündig bleiben, das heißt nicht selbstständig denken und dies auch noch gerne tun.

Der Grund dafür sei „Faulheit und Feigheit“. Denn es sei bequem, unmündig zu sein. Das „verdrießliche Geschäft“ des eigenständigen Denkens könne leicht auf andere übertragen werden.

Wer einen Arzt habe, müsse seine Diät nicht selbst beurteilen; anstatt sich selbst Wissen anzueignen, könne man sich auch einfach Bücher kaufen; wer sich einen „Seelsorger“ leisten könne, brauche selbst kein Gewissen.
Somit sei es nicht nötig, selbst zu denken, und der Großteil der Menschen mache von dieser Möglichkeit Gebrauch. So werde es für andere leicht, sich zu den „Vormündern“ (Religioten, Priesterkasten usw.) dieser Menschen aufzuschwingen. Diese Vormünder sorgten auch dafür, dass die „unmündigen“ Menschen „den Schritt zu Mündigkeit“ außer für beschwerlich auch noch für gefährlich hielten.

Kant vergleicht hier die unaufgeklärten, religiös indoktrinierten Menschen mit „Hausvieh“, das dumm gemacht worden sei. Sie würden eingesperrt in einen „Gängelwagen“. Ihnen würden von ihren Vormündern stets die Gefahren gezeigt, die ihnen drohten, wenn sie versuchten, selbstständig zu handeln.

So werde es für jeden einzelnen Menschen schwer, sich allein aus der Unmündigkeit zu befreien – zum einen, weil er sie „liebgewonnen“ habe, weil sie bequem sei, und zum anderen, weil er inzwischen größtenteils wirklich unfähig sei, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn nie den Versuch dazu habe machen lassen und ihn davon abgeschreckt habe. Die einzige Möglichkeit, einem Menschen das Denken beizubringen, besteht Kants Meinung nach darin, ihn es selbst versuchen zu lassen.

Dem freien Denken soll kein Hindernis im Wege stehen.

Eine doktrinäre Gruppe, wie eine Religion oder Kirche, hat kein Recht, nachfolgenden Generationen den Gehorsam gegenüber bestimmten Dogmen aufzuzwingen - jede Generation muss hinterfragen, was ihr überliefert wurde.

Wir leben in einem Zeitalter der Aufklärung. Aber besonders in „Religionsdingen“ sind die meisten Menschen noch sehr weit davon entfernt, sich selbst ihres Verstandes ohne fremde Leitung zu bedienen. Allerdings gibt es auch deutliche Anzeichen dafür, dass die allgemeine Aufklärung voranschreite.

Kant kommt zu dem Schluss, dass die Ausweitung der Aufklärung dazu führe, den Menschen als ein vernünftiges Wesen „der nun mehr als nur eine Maschine ist, seiner Würde gemäß zu behandeln“.

Zitate
  • „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.
  • Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.
  • Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.
  • Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“
  • „Daß der bei weitem größte Teil der Menschen den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder (religiöse Eltern, Religionslehrer, Priester usw.), die die Oberaufsicht über sie „gütigst“„auf sich genommen haben.“
„Gott ist die aufs Lächerlichste vermenschlichte Erfindung der ganzen Menschheit. In den Jahrmilliarden, die unsere Erde alt ist, sollte sich Gott erst vor 4.000 Jahren den Juden und vor rund 2.000 Jahren den Christen offenbart haben, mit deutlicher Bevorzugung der weißen Rasse unter Vernachlässigung der Schwarzen, der Gelben und der Rothäute?
Claire Goll (1891 – 1977)
Christel
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Re: Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen

Ungelesener Beitrag von Christel »

Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen
Atheisius hat geschrieben: Dienstag 22. April 2025, 15:30
Zitate
• „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.
• Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.
• Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.
• Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“
• „Daß der bei weitem größte Teil der Menschen den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder (religiöse Eltern, Religionslehrer, Priester usw.), die die Oberaufsicht über sie „gütigst“„auf sich genommen haben.“
Nun das Thema hatten wir schon, es wiederholt sich.

Im Prinzip stimme ich Atheisius! Lernen, Denken und dadurch zu eigenen neuen Schlussfolgerungen zu kommen, gängige Vorstellungen zu hinterfragen, das macht einfach Spaß!

Reines Wiederholen, zitieren von bereits Geschriebenen, das können Computer besser als wir.

Ziel eines freien selbständigen Denkens kann es daher nicht sein alte Autoritäten, denen man nicht mehr folgt, durch neue Autoritäten zu ersetzen, denen man nun folgt.

Atheisius, um bei Deinen eigenen Beispielen zu bleiben, es kann nicht das Ziel selbständigen Denkens sein, "jene Vormünder (religiöse Eltern, Religionslehrer, Priester usw.)" durch andere Autoritäten wie Lenin, Kant, Richard Dawkins oder bei uns durch Michael Schmidt-Salomon zu ersetzen. Dies wäre der Weg von einer Unmündigkeit in eine andere Unmündigkeit.

Oder, wenn man dies auf das politische Feld überträgt, frei im Denken ist man nicht, wenn man die Nachrichten und Meinungen, die in ARD und ZDF oder in der "Thüringer Allgemeinen" abgebildet werden durch das ersetzt, was die rechte Presse schreibt. - Erstmals beobachtet habe ich das übrigens vor vielen Jahren bei einem Westdeutschen, der mir "alternative Meinungen" zusandte, alle aus der rechten Presse.

Zu Bedenken ist außerdem:
a) Eigentlich finden solche Abnabelungsprozesse ganz natürlich im Verlauf der Pubertät statt oder vielleicht besser gesagt, während des ganzen Prozesses des Erwachsenwerdens.
b) Ausgangspunkt Deiner Überlegungen, Atheisius, ist ein homogenes soziales Umfeld, so wie es das Eichsfeld wohl in Deiner Jugend darstellte.

Ein solch gleichmäßig religiös geprägtes Umfeld gab es nie in meinem Leben, auch in meiner Kindheit nicht. Aufgewachsen bin ich in einem einstmals evangelisch geprägten Gebiet, welches bereits während meiner Kindheit mehrheitlich kirchenfern war. Meine Familie war katholisch, wir gingen jeden Sonntag zur Kirche, aber nicht wegen dem Pfarrer, sondern wegen Gott, wie meine Eltern mir sagten. Gerade mein Vater war kritisch diesem Pfarrer gegenüber eingestellt, jedoch noch kritischer dem DDR-Staat gegenüber. Die Eltern sind zwar prägend, aber im Zuge des Erwachsenwerdens, nimmt man auch mehr und mehr deren Begrenzungen wahr.

Das ist eine ganz andere Ausgangsituation!
Gibt es keine unumstößlichen Autoritäten "Vormünder", dann ist da auch nichts, von dem man sich befreien müsste.
Musste man sich immer seinen eigenen Weg suchen, dann ist einem auch bewusst, dass "überall nur mit Wasser gekocht wird" und dass alle Menschen einen begrenzten Fokus haben.
„Jesus Christus, der Auferstandene, das bedeutet, dass Gott aus Liebe und Allmacht dem Tod ein Ende macht und eine neue Schöpfung ins Leben ruft, neues Leben schenkt.“ Dietrich Bonhoeffer (Das Wunder der Osterbotschaft)
Holuwir
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Re: Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen

Ungelesener Beitrag von Holuwir »

Mit dem Verstand allein ist es manchmal nicht getan. Manche verwenden, um nicht zu sagen missbrauchen ihn, um damit Scheinargumente zu erfinden, mit denen sie ein Weltbild, auf das sie geprägt sind, unter allen Umständen zu verteidigen. Die Bereitschaft, eine lieb gewordene falsche Vorstellung gegebenenfalls zu korrigieren, gehört also auch dazu.
Alle Indizien sprechen für Selbstentstehung, keine für Schöpfung und es gibt keine Indizien contra Selbstentstehung, jedoch viele contra Schöpfung. Warum also sollte ich gegen alle Vernunft an Schöpfung glauben?
Christel
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Re: Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen

Ungelesener Beitrag von Christel »

Innerhalb einer Sachdiskussion kann man sämtliche Argumente, die keine Sachargumente sind, als Scheinargumente ansehen.

Das geschieht beispielsweise immer dann, wenn anstelle von Sachargumenten moralische Argumente angeführt werden. Dies kommt so häufig vor, dass kein Mensch von sich sagen kann, er hätte das noch nie getan. Allerdings geschieht dies in aller Regel nicht bewusst. Nur wer sich theoretisch, verstandesmäßig damit befasst hat, ist in der Lage Scheinargumente zur Stützung der eigenen Meinung in einer Diskussion gezielt einzusetzen.

Daher gehört auch die pauschale Behauptung der Andersdenkende würde seinen Verstand einsetzen und Scheinargumente erfinden, um sein Weltbild „unter allen Umständen zu verteidigen“, zu den Scheinargumenten.
Es gehört zu dieser Gruppe der Scheinargumente:
Argumentum ad hominem (lateinisch, „Rede gegen den Menschen“) ist ein Scheinargument, das die Person des Streitgegners angreift. Dies geschieht in der Absicht, die Position und ihren Vertreter bei einem Publikum in Misskredit zu bringen. https://de.wikipedia.org/wiki/Argumentum_ad_hominem
Holuwir hat geschrieben: Samstag 24. Mai 2025, 22:12 Die Bereitschaft, eine lieb gewordene falsche Vorstellung gegebenenfalls zu korrigieren, gehört also auch dazu.
Die Behauptung der Andersdenkende hätte nur Scheinargumente schützt perfekt davor gegenteilige Sachargumente an sich selbst heranzulassen. Damit kann man sie getrost beiseiteschieben. So wird die Selbstkorrektor nicht gelingen.
„Jesus Christus, der Auferstandene, das bedeutet, dass Gott aus Liebe und Allmacht dem Tod ein Ende macht und eine neue Schöpfung ins Leben ruft, neues Leben schenkt.“ Dietrich Bonhoeffer (Das Wunder der Osterbotschaft)
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