Gott erschuf die Erde in sechs Tagen. So steht es in der Bibel. Die Erde ist also 6000 Jahre alt, denn tausend Jahre sind ein Tag. Und gab es vor Adam und Eva schon Menschen? Nein. Oder Dinosaurier? Nein. Beide sind ebenfalls 6000 Jahre alt. Als die Sintflut kam, gingen sie unter, weil sie auf der Arche Noah keinen Platz fanden.
Diese Beispiele sind keine Religionsunterweisung, sondern Biologieunterricht an der Gießener August-Hermann-Francke-Schule in der Sekundarstufe eins, fünftes bis achtes Schuljahr. Schüler, die von ihren Eltern inzwischen von der Privatschule genommen wurden, geben das zu Protokoll. Sie erinnern sich an ein Schulbuch, das Wissenschaftler als Menschen mit bösem Blick darstellt. Ein Musiklehrer verbot Mozart - der Komponist sei kein Christ gewesen. Und auch das Trommeln wurde untersagt, es sei wild.
Vor drei Jahren hatte die christliche Schule ihren Eklat, als Eltern sich mit der stellvertretenden Schulelternsprecherin Margret Steinberg solidarisierten, deren jüngste Tochter die Schule verlassen musste. "Meine Tochter musste gehen, weil die Schulleitung mit ihren Eltern nicht klarkam", sagt Steinberg. Die Mutter von drei Kindern und ihr Mann, ein Pastor der Evangelischen Stadtmission, waren zu der Auffassung gekommen, die Schule werde zu autoritär geführt. "Wir glauben, dass jegliche Beziehung durch Offenheit wächst", erklärt Margret Steinberg. "Aber durch Fragen wurden wir zu unerwünschten Personen."
Das Vertrackte am Rausschmiss ist, dass die Steinbergs selbst "überzeugte Kreationisten" sind - also Christen, die unerschütterlich an die übernatürliche Erschaffung der Welt durch den göttlichen Willen glauben. Die Mutter erläutert: "Wir glauben an Gott den Schöpfer. Und wir sind total begeistert, dass die Schöpfungslehre im Unterricht erläutert wird." Allerdings wollten bestimmte Lehrer bis heute mit dem Elternbeirat nicht diskutieren; das sei befremdlich.
"Wir Eltern waren aufgebracht über die Behandlung der Familie Steinberg", erinnert sich Christiane Solms, die Frau des Bundestagsabgeordneten Hermann Otto Solms. "Steinbergs sind zutiefst religiöse Menschen, die es gut meinen. Aber die Schulleitung ließ sie auflaufen." Autoritäres Gehabe, altmodische Lehrer, krude Lehrstoffe. Christiane Solms hielt es für an der Zeit, das hessische Kultusministerium anzuschreiben. Ministerin Karin Wolff reagierte mit einem Brief vom 20. Dezember 2003, in dem sie mitteilte, dass es "ein grundsätzlich legitimes Bedürfnis der Schule" sei, "ihre religiöse Orientierung beizubehalten. Das verlangt Zurückhaltung." Der Aufstand der Eltern sei "ein Verstoß gegen den Geist der Schule". Zudem sei ihre Behörde nicht zuständig, da es sich um eine Privatschule handle.
"Nach dem hessischen Schulgesetz gibt es an freien Schulen keine staatliche Kontrolle", so Solms, die nachgelesen hat. "Die machen, was sie wollen." Familie Solms nahm, wie andere Eltern auch, ihre zwei Kinder von der Schule. "Das ist uns nicht leicht gefallen", sagt sie. "Aber die Lehrer dort wünschen keine Elternmitsprache."
Die Schulleitung geht inzwischen so weit, sich der offiziellen Lehrerausbildung zu verschließen, keine Lehramtsanwärter zum Praktikum zuzulassen, weil sie Lehrpläne und innere Strukturen nicht offenlegen will. Die Schule als Geheimklub. "Unhaltbare Zustände", urteilt Christiane Solms.
Nicht nur im privaten Schulbereich, auch an der staatlichen Liebigschule in Gießen. Dort lehrt der Biologie- und Chemielehrer Wolfgang Meyer. Als Mitglied einer evangelikalen Freikirche ließ er gegenüber Schülern durchblicken, dass er Darwins Evolutionslehre für falsch hält. In den letzten Monaten beharrte er im Unterricht in drängendem Ton auf der biblischen Schöpfungsgeschichte als einziger Wahrheit. In einem Film des TV-Senders Arte gab Meyer Mitte September zu, ein Lehrbuch zu verwenden, das die Darwinsche Theorie diskreditiert. Nun wird geprüft, ob der Biologielehrer gegen den Lehrplan verstoßen hat. Die Gießener Schulamtsleitung erklärte, der Fall Meyer werde auf dienstrechtlichem Wege geklärt. Zwar lasse der Lehrplan eine Ergänzung um kontroverse Theorien zu, aber die Schöpfungsgeschichte gehöre nicht ins Fach Biologie. Über Jahre kümmerte sich die Kollegenschaft offenbar nicht darum, was Meyer im Unterricht darlegte.
Welchen Stellenwert haben die sogenannten Kreationisten in Deutschland? Die Bewegung, der hierzulande nach Ansicht des Kasseler Evolutionsbiologen Ulrich Kutscherer rund 1,3 Millionen Menschen anhängen, kommt aus den USA.
Mehr als die Hälfte der Bürger in den USA glauben nicht nur an Gott, sondern halten Teufel und Engel, Hölle und Himmel für so real wie McDonald's und Coca-Cola. Die Bibel ist ihnen moralischer Leitfaden, aber auch wörtlich gültige Beschreibung der Erschaffung von Welt und Mensch. Kreationisten lehnen Darwins Theorie, der Mensch habe sich aus dem Tier entwickelt, entschieden ab. Für die konservative Fraktion der Republikanerpartei ist das Teil ihres Programms.
Der Kulturkampf, der nun auch in Deutschland auf Schulen übergreift, wird vonseiten der Kreationisten nicht offen geführt. Sie unterminieren und setzen dabei ihre einschüchternde Autorität ein. Sie sind Pädagogen, betreiben aber Missionsarbeit. "Das darf nicht sein", sagt selbst die Kreationistin Margret Steinberg. "Über beide Lehren sollte informiert werden, ohne dass die Kinder genötigt sind, sich für eine von beiden entscheiden zu müssen."