Sharia in Deutschland und Europa?

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niels
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Re: Sharia in Deutschland und Europa?

Ungelesener Beitrag von niels »

aus aktuellem Anlaß - ein m.E. gutes Beispiel, was den Unterschied und Grenze zwischen öffentlichem Raum und öffentlichen Aufgaben zeigt:

http://www.freigeist-weimar.de/beitrags ... irche-aus/

Genau solche Verbandelungen zwischen Staat und Religion sind m.E. nicht statthaft. Was bitte hat die Kirche mit der Eröffnung einer öffentlichen Einrichtung wie einem städtischen Kulturhaus zu tun? Nichts. Wenn es z.B. christen gefällt, die Einweihung einer solchen Einrichtung zu feiern, dann ist das ihre Sache. Die offizielle Einweihung einer öffentlichen Einrichtung hingegen ist ein staatlicher bzw. verwaltungsrechtlicher Akt durch verwaltungsrechtliche / staatliche Vertreter, bei und in dem Religion keine Rolle spielen sollte.

Abgesehen davon halte ich die Aufforderung an "alle Anwesenden", das "Vater Unser" zu beten für dreist und ignorant gegenüber Nicht-Christen bzw. Andersgläubigen. Was hätte manch Christ empfunden, wenn da ein muslimischer Priester das muslimische Glaubensbenenntnis von "allen Anwesenden" einforderte?

Wenn man schon solche religiös gefärbten "Einweihungen" veranstaltet, dann sollte man bitte die Vertreter aller Religionen und Lebensformen am Ort dazu gleichberechtigt einladen und "segnen" lassen. Da dies nicht möglich ist, sollte man doch die gebotene Trennung von Staat und Kirche einhalten - schon aus Respekt und Toleranz gegenüber anderen Bürgern des Ortes. Soviel "Takt" aber ist offensichtlich nicht einforderbar.

"Selbstverständlich" sind derartige Situationen immer nur für die, die für sie verantwortlich sind...
Christel
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Re: Sharia in Deutschland und Europa?

Ungelesener Beitrag von Christel »

Johannes Rau sprach allgemein vom öffentlichen Leben:
Ich fürchte nämlich, dass ein Kopftuchverbot der erste Schritt auf dem Weg in einen laizistischen Staat ist, der religiöse Zeichen und Symbole aus dem öffentlichen Leben verbannt. Ich will das nicht. Das ist nicht meine Vorstellung von unserem seit vielen Jahrhunderten christlich geprägten Land.
http://www.bundespraesident.de/-,2.9404 ... rintview=2
„Öffentliches Leben“ ist der Oberbegriff!

Du, lieber Niels, nennst die Bereiche des öffentlichen Lebens aus denen, nach Deiner Ansicht die Kirche… verdrängt werden soll.
Alles andere ist geschenkt, da Wortklauberei, Rhetorik… - Das interessiert mich nicht.

Übrigens, es ist eine sehe lesenswerte Rede, die Johannes Rau 2004 beim Festakt zum 275. Geburtstag von Gotthold Ephraim Lessing in der Herzog-August-Bibliothek zu Wolfenbüttel hielt:
Religionsfreiheit heute - zum Verhältnis von Staat und Religion in Deutschland
„Jesus Christus, der Auferstandene, das bedeutet, dass Gott aus Liebe und Allmacht dem Tod ein Ende macht und eine neue Schöpfung ins Leben ruft, neues Leben schenkt.“ Dietrich Bonhoeffer (Das Wunder der Osterbotschaft)
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Re: Sharia in Deutschland und Europa?

Ungelesener Beitrag von niels »

Oberbegriff
Eben, und als ein (erheblich weiter greifender Obergeriff) ist es NICHT das selbe - auch juristisch nicht (es ist also nicht "meine Erfindung" oder soetwas - das deutsche Recht gliedert sich/man nicht umsonst in Verwaltungsrecht und Zivilrecht).

Während das Verwaltungsrecht die (öffentlichen) Aufgaben bzw. den Staat definiert / regelt, befasst sich das Zivilrecht mit den Rechten des Bürgers bzw. seinem Persönlichkeitsbereich - auch in der Öffentlichkeit. Demnach GIBT es bereits eine klare juristische / formale Trennung von staatlichen / hoheitlichen und privaten Bereichen / Belangen der Bürger.

Während in der öffentlichen Verwaltung keine Handlung ohne Gesetz stattfinden darf (jede Handlung ist ein Verwaltungsakt) legt das Zivilrecht quasi fest, was der Bürger nicht darf.

Im "öffentlichen Leben" finden sich verwaltungsechtliche wie zivilrechtliche Sachverhalte wieder - während das Verwaltungsrecht u.a. die weltanschauliche / religiöse Neutralität des Staates (bestehend aus Exekutive, Legislative und Judikative) vor dem Bürger sicherstellen muß (sollte), erlaubt das Zivilrecht explizit jedem Bürger seine Religion oder Weltanschauung zu leben usw.. Ich gehe (womöglich zu unrecht) davon aus, das heute jeder deutsche Bürger den Zusammenhang wie Unterschied kennt.

...interessiert mich nicht...
Das Dich an meinen Texten nur das interessiert, was womöglich in Deinen Strauß an Vorurteilen passt (über den Rest liest Du offensichtlich weg, sonst würdest Du manch Fehlinterpretation nicht eingehen können), ist und bleibt Deine Sache - allerdings bringt das die Debatte nicht weiter, da so ständig falsche Annahmen zum Ausgangspunkt folgender Schlüsse werden, die damit bekanntlich wiederum falsch sind. Bleib doch bitte einfach beim Text, statt ständig interpretieren zu wollen, was ich neben dem, was ich schrieb, "gemeint" haben könnte oder über meine "Beweggründe" zu fabulieren, die Du offensichtlich eh nicht kennst.
Christel
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Re: Sharia in Deutschland und Europa?

Ungelesener Beitrag von Christel »

niels hat geschrieben:
Oberbegriff
Eben, und als ein (erheblich weiter greifender Obergeriff) ist es NICHT das selbe - auch juristisch nicht (es ist also nicht "meine Erfindung" oder soetwas - das deutsche Recht gliedert sich/man nicht umsonst in Verwaltungsrecht und Zivilrecht).
Wieso eben? Das war die ganze Zeit mein Ausgangspunkt. Über juristischen Begriffe hast einzig und allein Du gesprochen!

Beim Sachverhalt, Verdrängung von Kirche aus dem öffentlichen Leben, spielt das keine Rolle! Einzig die Tat zählt, nicht die Begründung.

Außerdem:
Kirchen sind Teil des öffentlichen Lebens und daher nicht rein Privatsache.

Juristisch unterliegen sie als Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht nur dem Privatrecht:
Dazu hier eine sehr aufschlussreiche graph. Darstellung:
Universität Leipzig, Rechtsanwalt Torsten Schmidt: Abgrenzung Öffentliches Recht /Privatrecht im Kirchenrecht

Soll Kirche "privat" werden, reicht es nicht aus das Recht zu interpretieren, es müsste geändert werden.
Einige scheinen sich davon Vorteile zu versprechen. Ich denke, die Rechnung geht nicht auf!

Übrigens, "Gemeinwohl" definiert sich von der Aufgabe her. Es hat nichts damit zu tun, dass Menschen unentgeltlich arbeiten, spenden...
Unser Staat sieht sich zuständig für das Gemeinwohl. Kein Beamter, Staatsangestellter arbeitet deshalb unentgeltlich.
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Re: Sharia in Deutschland und Europa?

Ungelesener Beitrag von niels »

..beim Sachverhalt...spielt das keine Rolle
Natürlich spielt es eine Rolle, was staatliche/hoheitliche und was private Angelegenheit ist.

Nebenbei ist "Verdrängung" wieder ein anderer Sachverhalt - und eben nicht gleich "Verbannung".

Ja,
ich bin für eine "Verdrängung" von Religion aus dem Teil des öffentlichen Lebens insoweit, als damit bisher andere in ihrer Freiheit ungleich beschränkt werden, u.a. weil dies schon unser Grundgesetz so fordert (und auch damit funktioniert "öffentliches Leben" bzw. "öffentlicher Raum" nicht als Abgrenzung) - durch weiterführende Gesetzgebung aber bisher ausgehebelt wird (Kirchenstaatsverträge, Körperschaftsrecht im Detail usw.) - dies ist nun mal bei Strukturen das Staates bzw. dessen öffentlichen Aufgaben der Fall.

Nur ein neutraler Staat kann die freie Religionsausübung aller Religiösen garantieren - ebenso auch das Lebenskonzept Nichtreligiöser wie Atheisten gleichbehandeln. Es ist eines jeden persönliche Sache, ob und welcher Religion bzw. religiösen Institution er sich zugehörig fühlt bzw. nicht sieht.

Und nur in einem neutralen (säkularen) Staat gibt es konsequent freie Religionsistitutionen / "Kirchen" etc. Wer das Gegenteil behauptet, der soll bitte erklären, wo dort wer und wie eingeschränkt wird/würde.

Selbst laizistische Staaten verbannen Religion nicht aus dem "öffentlichen Leben" (so habe ich das jedenfalls in einem selbsterklärt laizistischen Staat erlebt), sondern verschiebt Religion in den Privatbereich der Menschen - und nur der Laizismus garantiert in manch Staat überhaupt eine religiös-weltanschauliche Gleichbehandlung aller.

Wenn jemand behauptet, man würde z.B. unternehmerisches Handeln "aus dem öffentlichen Leben verbannen", dann ist das definitiv falsch - dennoch hat der Staat sich keinesfalls unternehmerisch zu betätigen bzw. neutral zu halten, u.a. um keine Wettbewerbsnachteile / -vorteile auf Märkten zu generieren bzw. Wettbewerbsgleichgewichte zu verschieben (dennoch tut er es in Deutschland immer wieder und kassiert damit inzwischen Rügen bis Verfahren vor der EU).

Ich habe das lediglich juristisch dargelegt, weil diese Zusammenhänge nun mal juristisch definiert sind - vor allem wenn man politisch bzw. über Rechte debattiert (zudem lernt das inzwischen jeder Deutsche in der Schule und damit u.a. auch, was "öffentliches Leben" bedeutet bzw. was nicht). Wer den Unterschied nicht sieht / sehen will, der wird dazu auch nicht debattieren können. Einem Bundespräsidenten (und afaik sogar Juristen oder wenigsten deren Redenbastler) sollte man soviel Korrektheit/ Genauigkeit noch zutrauen können.
Kirchen sind Teil des öffentlichen Lebens.
Und genau deshalb ist die Aussage ("Verbannung aus dem öffentlichen Leben") grob falsch.

Allerdings trifft auch diese Aussage nicht die ganze Sache.

Wenn wir z.B. auf die Straße gehen, sind wir Teil des öffentlichen Lebens und zugleich privat.

Selbst z.B. unser Haus ist "Teil des öffentlichen Lebens" - zumindest in einzelnen Aspekten (z.B. die Hausansicht zur Straße) - dennoch ist meine Wohnung darin mein unmittelbarer Persönlichkeitsbereich und sicher nicht öffentlich. Auch Vereine sind "Teil des öffentlichen Lebens" usw.

Das religionsspezifische Körperschaftsrecht, das einzelnen Religionsinstitutionen quasi selbst hoheitliche Rechte und Aufgaben überträgt halte ich - wie bereits gesagt - für verzichtbar ODER sollte allen denkbaren Formen an Körperschaften zu Lebenskonzepten offenstehen. Da unser Staat nur über Gesetze agieren kann, sind Änderungen automatisch mit Gesetzesänderungen verbunden - natürlich.
Gemeinwohl
So?
Mag sein. Dann bin ich auch täglich am bzw. für das Gemeinwohl tätig, ebenso jeder andere Unternehmer - von Mac Donalds bis hin zu Pharmafirmen oder auch die Caritas - jeder Verein dient dem Gemeinwohl usw. Warum sollte man das dann noch herausstreichen?

Zumindest "Gemeinnützigkeit" ist juristisch enger definiert (und damit auch die steuerliche wie gesellschaftliche Sonderbehandlung) - ein Aspekt dabei ist afaik die nicht vorhandene Gewinnabsicht. Allerdings wird da bis heute nicht selten kräftig getrickst und es gibt stetig neue Ideen, wie man selbst mittels gemeinnütziger Vereine oder Gesellschaften Gewinne bzw. Vorteile erwirtschaftet (z.B. über Immobilienbestände, getrickste Ausgaben, versteckte Einnahmen, Personalausgaben usw.) - bei den religiösen Gesellschaften ebenso wie bei vielen anderen Vereinen und Gruppen (wenn zum Glück auch nicht alle).
Liborius
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Re: Sharia in Deutschland und Europa?

Ungelesener Beitrag von Liborius »

Was haben eigentlich diese Beiträge über das Thema "Sharia in Deutschland und Europa" zu tun?
Warum wird ein solcher Strang aufgemacht, wenn es doch nicht um seriöse Information geht? Es gibt die Forderungen bestimmter muslemischer Kreise in GB und auch bei uns die Sharia zuzulassen. Was würde das für uns bedeuten, wäre doch die spannende Frage.
niels
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Re: Sharia in Deutschland und Europa?

Ungelesener Beitrag von niels »

Was haben eigentlich diese Beiträge über das Thema "Sharia in Deutschland und Europa" zu tun?
Nun,
wenn Du den Thread verfolgt hast, dann dürftest Du auch den "roten Faden" zumindest nicht ganz verloren haben. ;)

Die Antwort auf die Frage im Topic impliziert automatisch rechtliche wie gesellschaftspolitische Aspekte, das Recht auf freie Religionsausübung wie dessen Auslegung im Detail. Das hauptsächlich zu einer Zeit - in der kaum absehbar war, das es neben Christen in Deutschland noch einmal andere nennenswerte, größere / wachsende religiös-kulturelle Gruppen geben würde - entwickelte Recht/Gesetz erscheint vielen Menschen angesichts der religiösen / weltanschaulichen Diversifizierung im Lande in einem ganz neuen Kontext.

Soweit Du selbst noch andere Aspekte einbringen möchtest (die gibt es sicher) - dann tu das sehr gern.
Warum wird ein solcher Strang aufgemacht, wenn es doch nicht um seriöse Information geht?
Wenn Du das so siehst, wirst Du das sicher auch darlegen können - ganz "seriös" halt. Dafür steht hier ja ein offenes Forum.
Es gibt die Forderungen bestimmter muslemischer Kreise in GB und auch bei uns die Sharia zuzulassen. Was würde das für uns bedeuten, wäre doch die spannende Frage.
Das ist sicher auch spannend - wenn letztendlich auch wieder auf juristischer wie politischer Ebene.

Selbstverständlich ist die Sharia "inkompatibel" zu unserem bestehenden Rechtssystem - ebenso auch die Rechtsansprüche / Rechtskonzepte anderer Religionen.

M.E. ist die gesamte "Problematik" (wie oben schon für Deutschland angerissen) in Europa nur durch klare Festlegungen und Bekenntnisse auf EU-Verfassungsebene anzugehen. Eine religiös neutraler (säkularer) Staat unter einer ebenso säkular ausgestalteten EU-Verfassung sehe ich als ein fundamentales Standbein für eine religiös / weltanschaulich freie, gleichberechtigende und gleichbehandelnde EU, als zweites die weitere Stärkung der Bürgerrechte für jeden EU Bürger. Aktuell sind die Rechtsverhältnisse durch z.B. Kirchenstaatsverträge und KödR Gesetzgebung derart komplex, das eine Gleichbehandlung aller Religionen auf ähnlicher Basis für viele kaum überschaubar wie denkbar wäre.

In einem säkularen Staat stellt sich m.E. die Frage im Topic erst gar nicht (sollte sie jedenfalls nicht), da Religion persönliche Angelegeheit des/der jeweiligen Religiösen ist und die ggf. allein und selbst im Innenverhältnis vereinbaren können, was sie wollen. Kritisch wird es m.E. erst dann, wenn man religiöse Institutionen ermächtigt, eigenständig öffentliches Recht mit Außenwirkung gestalten wie hoheitliche Positionen einnehmen zu lassen - damit nähern wir uns den politischen Situationen, wie wir sie aus manch "islamisch geprägtem" Land kennen (und nicht selten verurteilen...).

Im Fall der Sharia hätte dies aus unserer Sicht besonders paradoxe Phänomene zur Folge (z.B. das die Frau eines Muslimen (zumindest praktisch) nicht arbeiten gehen darf, weil der Mann für die Institution arbeitet und diese im eigenen Arbeitsrecht vorsieht, das der Muslim für "muslimisch geregelte Verhältnisse" in seiner Familie sorgen muß. Ähnlich kann auch ein bei der Kirche Angestellter u.U. seinen Arbeitsplatz verlieren, wenn er gegen die von der Kirche definierten Glaubens- bzw. Verhaltensgrundsätze der Kirche verstößt - z.B. bei einer Scheidung, Änderung seines Glaubens o.ä.).

Das Argument, die Shariah sei "unvereinbar" mit unserem Recht und (was so manch Argumenteur heute daraus folgert) Muslime könnten deshalb nicht die selben Rechtsgüter teilen, wie sie z.B. christlichen Kirchen zustehen, kann ich kausal nicht nachvollziehen, denn auch z.B. einige innerkirchlich erstellte Rechtsnormen widersprechen unserem bestehenden Gesetz nur deshalb nicht, weil man sie über das Körperschaftsrecht zu öffentlichem Recht macht. Was bisher recht vielen Bürgern - womöglich aus Gewohnheit oder religiöser Parteilichkeit - für z.B. die Christenkirchen als legitim bzw. akzeptiert gilt, gilt für die selben so (nehme ich jedenfalls nicht an) häufig nicht automatisch auch für andere Religionen / Glaubensformen - z.B. Muslime, Scientology oder auch Hinduismus uva. Im Sinne der Gleichberechtigung / Toleranz aber sollten deren Glaubenskonzepte ebenso gestellt wie akzeptiert werden wie auch Christentum. Niemand kann ernsthaft behaupten, seine Religion sei "legitimer" als die des Anderen - zumindest nicht vor Recht und Gesetz - und dennoch wird dieses Argument zur exklusiven Legitimation in manch aktueller, politischer Diskussion rausgekramt (Beispiel: "von christlicher Tradition geprägtes Europa" oder "die große Zahl der Christen" usw.) - wer sich darauf einlässt, braucht sich nicht zu wundern, wenn ihm die Argumentationskette irgendwann in der Zukunft kräftig um die Ohren fliegt, denn die religiöse / weltanschauliche Zusammensetzung binnen Europas ändert sich heute so schnell wie selten....

Im Sinne der Gleichheit vor dem Gesetz eines jeden Bürgers wie Gläubigen sehe ich nur einen Weg aus dem Dilemma - die Angleichung der Rechte wie Privilegien für alle, was wiederum auf zwei möglichen Wegen erfolgen kann: Das Zugestehen der selben Privilegien an alle Religionen oder die Abschaffung der betr. Privilegien generell. M.E. benötigen Religionen keinen hoheitlichen Status, um von den Betreffenden frei gelebt werden zu können (im Sinne des Freiheitsbegriffes aus Grundgesetz, EU-Verfassung usw.). Man sollte die Grundrechte des Einzelnen stärken und klarer definieren - dafür "Sonderbehandlungen" (ob positiv wie negativ) abschaffen.



Beste Grüße,


Niels.
Christel
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Re: Sharia in Deutschland und Europa?

Ungelesener Beitrag von Christel »

Liborius hat geschrieben:Es gibt die Forderungen bestimmter muslemischer Kreise in GB und auch bei uns die Sharia zuzulassen. Was würde das für uns bedeuten, wäre doch die spannende Frage.
Stimmt das wurde nicht diskutiert!

Es diente lediglich als Vorlage für andere Forderungen unser Recht zu ändern.

Wird die Gewerkschaft geschwächt, stärkt das nicht die Grundrechte und Freiheiten der Arbeitnehmer.

Werden die Kirchen innerhalb der Gesellschaft geschwächt, stärkt das ebenso wenig die Grundrechte und Freiheiten der Christen innerhalb der Gesellschaft. Es nützt den Christen nichts.

Wem nützt es was? Es stärkt andere Gruppen, die sich nicht als Religion verstehen und die ihre Vorstellungen von einer Leitkultur durchsetzen wollen. Es geht nicht um Neutralität… sondern um Macht und Einfluss.

Für das eigentliche Thema könnte dieses kürzlich erschienene Buch hilfreich sein:
Bahners, Patrick
Die Panikmacher
Die deutsche Angst vor dem Islam
(Beck, C H) ISBN: 978-3-406-61645-7
Gebunden - 1. Aufl. 15.02.2011
320 S. - 21,7 x 13,9 cm
€ 19,95
In Deutschland geht eine Panik um: Menschen mit islamischer Glaubenszugehörigkeit und Migrationshintergrund bringen das Land in Gefahr! Aber geben wirklich sie berechtigten Grund für diese Panik, oder ist nicht vor allem eine populistische Islamkritik dafür verantwortlich, dass sich die Stimmung im Land verändert? Sie argumentiert mit einem geschlossenen System von Vorurteilen, das die Verachtung ganzer gesellschaftlicher Gruppen salonfähig macht und Lösungen souffliert, die in Wahrheit praxisfern und menschenrechtswidrig sind. Diese Panikmache ist das Thema der brillanten Streitschrift von Patrick Bahners.
Ayaan Hirsi Ali, Necla Kelek, Alice Schwarzer, Henryk M. Broder, Thilo Sarrazin, Ralph Giordano gehören zu den lautesten Beschwörern einer angeblichen Bedrohung, die von den in Deutschland lebenden Muslimen ausgeht. Doch sind ihre Argumente überhaupt empirisch belegt und schlüssig? Stehen ihre pauschalisierenden Angriffe auf eine andere Religion im Einklang mit dem Ideal einer liberalen und toleranten Gesellschaft, auf deren Verteidigung sich die gleichen Kritiker berufen? Und worauf genau wollen sie eigentlich hinaus? Patrick Bahners, Feuilletonchef der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, verharmlost nicht die Herausforderungen der Integration, aber er korrigiert die falschen Behauptungen der Islamkritik und zeigt, wie sich unter dem Deckmantel der Geistesfreiheit in Wahrheit zunehmend eine Kultur der Intoleranz ausbreitet. Sein Buch ist der dringend fällige Einspruch dagegen, dass in Deutschland fremdenfeindliche Stimmungsmache beim Thema Islam die Oberhand gewinnt.
buchhande.de
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Re: Sharia in Deutschland und Europa?

Ungelesener Beitrag von niels »

...werden die Kirchen geschwächt...
Ich stelle die Frage bevorzugt anderherum:

Wo bitte profitiert die ganze Gesellschaft - d.h. alle Bürger - an einer hoheitlich-privilegierten Kirche?

Meint: wozu benötigt die Kirche Rechte, die hoheitlichen wie exklusiven bzw. diskriminierenden Charakter haben und somit nicht auch allen anderen außerhalb zustehen (erst recht nicht dem Einzelnen mit dessen (ggf. speziellen) Glauben)?

Oder wo wird ein Religiöser in einem säkularen Staat benachteiligt - vor allem gegenüber anderen Bürgern?
...Macht und Einfluß...
Du hast es erfasst!
Wozu benötigt die Kirche mehr Macht und Einfluß als andere im Lande - der Religiöse mehr als der Nichtreligiöse bzgl. seines Lebensmodelles/-prinzipes, -ideologie oder was auch immer? Reicht es nicht, wenn ihre Mitglieder als Bürger des demokratischen Landes ihre Stimme und Rechte wie jeder andere haben?

Traust Du auch Nichtreligiösen nicht zu, eigenständig ein soziales Miteinander zu schaffen / leben? Ganz nach dem Motto: Der Mensch ist per se destruktiv (Sünder) und muß deshalb moralisch gesteuert werden? Von wem? Von denen, die sich selbst für legitimiert halten? Das behaupteten bisher ja alle Schurken...

Ich bin ebenso Bürger dieses Landes wie Du und andere. Ich z.B. möchte keinesfalls unter einem dem katholischen / katechistischen "Leitbild" leben - und da kenne ich nicht wenige andere, denen das ähnlich ergeht. Welcher Deutscher wollte z.B. unseren errungenen Bürgerrechte gegen die Vorstellungen der katholischen Kirche tauschen? Das - und da bin ich mir ziemlich sicher - dürften keine 5% der Deutschen ausmachen.

Es wäre sicher nicht demokratisch, das 5% über das Lebensmodell der anderen 95% bestimmen wollen, nur weil sie meinen, es "besser zu wissen". Gut gemeint ist eben noch lange nicht gut gemacht.

"Alle Tiere sind gleich -
Manche Tiere sind gleicher als gleich"

(G. Orwell, "Farm der Tiere")
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Re: Sharia in Deutschland und Europa?

Ungelesener Beitrag von Liborius »

niels,
Deine Ansichten bezüglich hoheitlicher Rechte der Kirchen sind einfach falsch, denn das gibt es nicht.
Nach geltendem deutschem Staatskirchenrecht liegt die Kirchenhoheit beim Staat. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV gewährleistet die kirchliche Selbstbestimmung nur „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“.
Die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unterstehen vielmehr der Staatsgewalt wie jede andere gesellschaftliche Gruppierung auch.
Für den Rechtsschutz gegen kirchliches Handeln ist allerdings in Rechtsprechung und Literatur umstritten, wie die Religionsfreiheit und das kirchliche Selbstbestimmungsrecht vor Eingriffen staatlicher Gerichte zu schützen sind. Während der BGH in solchen Fällen Klagen für unbegründet hält, geht das BVerG für sensible Bereiche schon von Unzulässigkeit aus.
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Re: Sharia in Deutschland und Europa?

Ungelesener Beitrag von niels »

Hallo Liborius,

ich bin sicher kein Jurist und kenne die afaik sehr komplexe Thematik lange nicht bis ins Detail. Als "normaler Bürger" gehe ich von dem aus, was ich erlebe und sehe - z.B. Urteile, Steuern, diverse Satzungen bis hin zu Bauordnungen usw. - aber auch dem, was ich selbst bei Landes wie Bundesbehörden per Web recherchieren konnte / habe.

Tatsache ist, das wir weder einen säkularen Staat haben bzw. leben noch das es faktisch eine Gleichberechtigung verschiedenster Glaubensformen und -konzepte für alle Bürger gibt. Die Kirche verfügt über Privilegien (habe ja bereits eine ganze Reihe Beispiele aufgezählt), die so anderen Gruppierungen oder gar Einzelnen nicht zustehen. Das GG wiederum habe ich schon gelesen und auch manch anderes Gesetz...

Ich begreife nicht, wozu z.B. Kirchen nicht einfach in den Gesellschaftsformen, denen auch andere in der Breite zugänglich sind (z.B. e.V., GmbH, gGmbH, AG usw. ) existieren können sollten und hoheitliche Privilegien genießen, die anderen Gruppen so nicht zustehen - vor allem auf welcher Basis (oder andersherum: warum den anderen dann nicht?)?

Wie - d.h. mit welch juristischen "Tricks" - diese Privilegien begründet bzw. zementiert wurden / werden, ist mir im Detail nicht oder wenig bekannt. Am Ergebnis - d.h. der Situation - ändert das offensichtlich wenig bis gar nichts.

Die Behauptung / Darstellung, die Kirche könne ja nur Dinge zu Recht machen, die durch kein bestehendes Gesetz beschränkt sind, stellt ja nur die eine Seite der Medaillie dar. Zum einen wurden Recht und Gesetz an vielerlei Stelle auf die Bedürfnisse der Kirchen "zugeschnitten" oder zumindest an deren Interessen "angenähert" (wozu auch sonst bräuchte man zusätzliche Gesetze und Normen wie Verträge speziell für Kirchen bzw. religiöse Institutionen, wenn das bestehende Recht für alle bereits die betr. Rechte einräumt.) - zum anderen zeigt die bestehende Unklarheit selbst in höchsten juristischen Kreisen, das die bestehende Gesetzgebung offensichtlich unzureichend ist - zu welchen Gunsten oder Lasten auch immer - und nicht ganz zuletzt ist Papier nicht selten sehr geduldig, vor allem wenn es an Einhaltung wie Durchsetzung der Interessen Einzelner oder "unetablierten" Minderheiten geht. Ergänzend kommt dazu, das die wachsende Komplexität in der Gesetzgebung dazu die Ungleichheiten zugunsten derer stärkt, die über die betr. Kapazitäten / Ressourcen verfügen (ähnlich wie das komplexe Steuerrecht i.d.R. die benachteiligt, die sich keine teure Armada an Steuerfachleuten leisten können.).

Deshalb bleibe ich dabei - ein säkularer, religiös neutraler Staat ist die einzige Option für einen modernen, demokratischen, freiheitlichen Rechtsstaat. Ebenso bleibe ich dabei, das dieser keinerlei ungleichgewichtete Beschränkung oder gar Diskriminierung von Religionen - gleich welchen - ebenso wie keine Bevorzugung bedeuten würde und gegenteilige Behauptungen falsch sind.
Christel
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Re: Sharia in Deutschland und Europa?

Ungelesener Beitrag von Christel »

Offensichtlich haben wir ein funktionierendes System. Ob eine Änderung unserer Gesetze eine Verbesserung bringt, bleibt offen.

Die Zeiten großer konfessioneller Streitigkeiten sind vorbei. Wir leben in einem guten ökumenischen Miteinander.

Der Staat bietet viele Möglichkeiten der politischen Teilhabe.

Ab einer bestimmten Größe und sofern sie und auf Dauer angelegt sind, bietet der Staat Glaubensgemeinschaften die Möglichkeit als Körperschaft des Öffentlichen Rechts (KdÖR), sozusagen Teil des Staates zu sein. Dafür fordert der Staat z.B. Rechtstreue. In Staatskirchenverträge werden Rechte, aber auch Pflichten festgelegt.

Das bezieht sich keineswegs nur auf die beiden großen Kirchen. Auch kleinere Gemeinschaften können das, nicht alle wollen das überhaupt.
Hier Beispiele für kleine Glaubensgemeinschaften bei uns, die KdÖR sind:
Mennoniten, Methodisten, Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, Bund freikirchlicher Pfingstgemeinden, die Heilsarmee, Herrnhuter Brüdergemeinde, Mormonen, Siebenten-Tags-Adventisten… - Zeugen Jehovas arbeiten dran.
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) will dem Islam langfristig ähnlich umgehen wie mit den christlichen Kirchen. „Mein Ziel ist eine gewisse Gleichstellung des Islam“, sagte Schäuble. Es gehe ihm um eine ähnliche Form der staatlichen Kooperation mit den Muslimen in Deutschland wie mit anderen Religionsgemeinschaften.
Allerdings fehle bisher noch eine anerkannte Religionsgemeinschaft, die Partner für den Staat sein könne, sagte der Minister der Berliner „tageszeitung“. Nach seinem Eindruck könnte sich die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religionen (Ditib) in die Richtung einer Religionsgemeinschaft entwickeln.
http://www.welt.de/politik/article39707 ... ellen.html
Warum will das Wolfgang Schäuble?
Es geht um Integration, innere Sicherheit, Frieden, Gemeinwohl, Staatstreue. Demokratie lebt von der Teilhabe, vom Mitmachen...
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Re: Sharia in Deutschland und Europa?

Ungelesener Beitrag von niels »

offensichtlich wir ein funktionierendes System.
Wer sagt das?

Jedes Gesetz ist und bleibt immer eine Art Not- bzw. Übergangslösung, bis es durch ein aktuelleres, ggf. geeigneteres ersetzt wird (was u.a. auch Abschaffung eines Gesetzes bedeuten kann). Wäre unser heutiges Rechtssystem perfekt, dann hätten ganze Bereiche der Rechtswissenschaft wie Justiz schlagartig nichts mehr zu tun und es gäbe ab sofort keine Aktualisierungen, änderungen wie Ergänzungen von Gesetzen mehr, wie dies heute laufend der Fall ist.

Zum einen wächst die Zahl derer, die die bisherige Rechtslage kritisieren, stetig (auch wenn sich die Medien mit dem Thema nur ungern beschäftigen) - auch und vor allem dort, wo Diskriminierung besteht bzw. diskriminiert wird (und das auch unter Juristen wie sogar Theologen).

Und wenn aktuell z.B. Herr Bischof Wanke in Erfurt verlauten lässt, man müsse [in Thüringen] die Missionierung von Atheisten "forcieren" mit der Bemerkung: "ein Mensch werde ja nicht als Atheist geboren", dann wünsche ich mir, dieser Mission aus freiem Willen und ohne soziale Diskriminierung aus dem Weg gehen zu können, ohne hierfür (wie in der Diktatur der DDR vor den Kommunisten) erneut Umwege gehen zu müssen, was eigentlich Grundrecht eines jeden sein sollte.

Den einzigen Garant hierfür sehe (nicht nur) ich in einem säkularen, freiheitlichen Rechtsstaat, der alle Menschen unabhängig von ihrem Glauben gleichbehandelt. Dazu gehört nebenbei auch, das Glaube nicht allein als Frage eines Gotteskonzeptes verstanden wird, es also keine Rolle spielt, ob jemand an das Gott, einen Gott, viele oder gar keine Götter glaubt. Die Gedanken sind frei - demnach bleibt letztendlich das Lebenskonzept, das aus dem Bild des Einzelnen individuell erwächst - und als solches sollte man diese auch gleichgestellt akzeptieren, ebenso wie die Menschen dessen Teil sie nun mal sind.

Das auch wir Deutschen in punkto Diskriminierung und Bürgerrechte noch einige Arbeit vor uns haben, bescheinigten uns zuletzt u.a. internationale Menschenrechtsgremien in ihren erstaunlich langen Reports zu Deutschland.

Nur weil sich viele mit einem Status Quo eingerichtet bzw. an diesen gewöhnt haben, "funktioniert" ein System noch lange nicht (wobei ich "funktionieren" als Term für ungeeignet halte, denn auch die Gesellschaft im Mittelalter wie im Nationalsozialismus "funktionierte" - sogar auch aus der Sicht von Mehrheiten). Auch die Monarchien "funktionierten" i.d.R. prächtig...

Der Staat bietet viele Möglichkeiten der politischen Teilhabe
Eben,
jedoch widerspricht es demokratischen Prinzipien, wenn die Stimme Einzelner bzw. von Gruppen mehr wiegt als die anderer - z.B. weil diese (neben der allen garantierten Stimme als Wähler) - über mit politischen Privilegien ausgestattete Gruppierungen - additionalen Einfluß auf die politische Gestaltung nehmen (was nicht in Abrede stellen soll, das sich Menschen z.B. in Interessenverbänden o.ä. organisieren können, die wiederum politisch argumentieren und über die Stimmen ihrer Anhänger / Mitglieder mitgestalten können).

Allerdings dürfte das klassische Demokratieprinzip zukünftig immer häufiger an seine Grenzen stoßen - in manch anderem Land auch an den Religionen (Das Beispiel Irak dokumentiert das derweil eindrucksvoll), da hier Religion zu einem maßgeblich ademokratischen Machtfaktor wird.

ab einer bestimmten Größe
Und genau darin liegt bereits eine erhebliche Diskriminierung begründet, denn man stellt den Glauben einer größeren Anhängerzahl juristisch wie politisch über den kleinerer Gruppen oder gar Individualisten - dabei gibt es keinerlei nachvollziehbare Begründung, warum die Religion / der Glaube einer größeren Gruppe integrer oder maßgeblicher sein soll als die der anderen. Derartige "Interessenwichtungen" finden sich weder im Vereinsrecht noch sonstigen Gesellschaftsrecht (ist mir jedenfalls nicht bekannt).

Hinzu kommt, das allein die Größe (Zahl der Mitglieder) allein wohl auch nicht berechtigt, eine KödR zu gründen bzw. anerkennen zu lassen und afaik kämpfen in Deutschland bis heute eine ganze Reihe kleinerer - selbst christlicher - Gruppierungen erfolglos um die Anerkennung als KödR (wobei m.E. doch immer wieder eher fadenscheinige Begründungen zur Ablehnung führten).

M.E. braucht man keine KödR - und es gibt genug Länder als Beispiel, in denen man (d.h. auch die Religiösen) ebenso ohne solche auskommt|en.
eine gewisse Gleichstellung
Will er eine Gleichstellung in Form von gleich gestellt oder doch nur eine "gewisse", die schon dem Begriff nach keine ist - sich politisch lediglich nett anhört oder auch aus der SED stammen könnte?

Das würde ich dann doch gern mal öffentlich aus seinem Mund hören ;)

Ein "bischen gleich" gibt es nun mal nicht - schon gar nicht vor einem Rechtsstaat. Das müsste auch herr Schäuble wissen - und ich schätze ihn zumindest soweit für gebildet genug ein zu wissen, was er da warum sagte und auf dem "gewisse" eine nicht unrelevante Betonung lag...

Aber auch dann wären wir nur einen weiteren recht kleinen Schritt weiter zu einer Gleichstellung von Glauben wie Glaubensanhängern - denn neben Christentum und Islam gibt es bekanntlich eine Vielzahl weiterer recht verbreiteter Glaubensprinzipien - und noch viel mehr noch individualistischere...

Ich kaufe der Politik jedenfalls nicht ab, das jemand nur dann "echt religiös" ist, wenn sein Glaube mit dem von mindestens zig oder gar zigtausend anderen Deutschen mehr oder weniger übereinstimmend ist. Das Prinzip KödR wie die Kirchenstaatsverträge tun aber so, als würde erst eine große Zahl an Mitgliedern einen [religiösen] Glauben derart legitimieren, als das hieraus Rechte und Ansprüche erwachsen können.

Ich sehe auch nicht, wozu der Staat "religiöse Partner" brauchen sollte - wenn, dann sollte der Staat jeden Bürger als "Partner" verstehen und entsprechend gleich behandeln, so wie es das Demokratiekonzept vorsieht.

Der Staat fragt mich ja - über meine reine Wählerstimme hinweg - ja auch nicht nach meinen Lebensinteressen, Lebenskonzepten oder ggf. auch Glaubensideen. Wozu auch?

Btw:
"Partnerschaften" mit dem Staat waren und sind Lobbyismus. Lobbyismus in die Regierungspolitik war und ist aber auch die Basis für Korruption - und auch davon hat Deutschland (liest man die Berichte internationaler Einrichtungen / Organisationen) leider immer noch mehr als genug.
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Re: Sharia in Deutschland und Europa?

Ungelesener Beitrag von Liborius »

Religionsgemeinschaften sind in Deutschland KödR in sui generis.
In Folge dessen sind die Religionsgemeinschaften nicht grundrechtsverpflichtet, sondern grundrechtsberechtigt. Sie besitzen einen Körperschaftsstatus eigener Art. Es gibt deshalb keine staatliche Rechtsaufsicht über die öffentlich-rechtlich organisierten Religionsgemeinschaften.
Im Unterschied zu anderen Körperschaften des Öffentlichen Rechts (Bund, Länder, Gemeinden, Kammern, Universitäten) sind die Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus aber kein Teil des Staates und somit nicht Träger öffentlicher Gewalt im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG.
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Re: Sharia in Deutschland und Europa?

Ungelesener Beitrag von niels »

Religionsgemeinschaften sind in Deutschland KödR in sui generis.
Nun, das (zudem von Theologen entwickelte) Konzept "sui generis" dient m.E. lediglich dazu, sich aus den juristischen "Fängen" einer Rechtsordnung befreien bzw. sich dieser gegenüber nach eigenem Befinden / Gutdünken "Freiräume" verschaffen zu können, indem man behauptet man stehe derart über dieser Rechtsordnung, als das diese nicht [mehr] anwendbar sei.

Aus juristischer Sicht handelt es sich (lt. Wikipedia) um einen "terminus technicus" - also einer Art juristischen "Notnagel" um etwas beschreiben zu können, was (angeblich) nicht ausreichend oder anderweitig beschreibbar ist.

Eben dieser Annahme kann ich so nicht fraglos folgen, denn solange man nicht definiert, was man juristisch wie kausal unter "Religion" versteht, obliegt der Terminus der weiten Interpretation derer, die eben nicht "unbefangen" sind. Demnach befindet sich das Recht hier in einer Art "Notlage", aus der es zu befreien gilt - zumindest sollte es (wie auch in anderen Rechtsbereichen) laufend ernsthafte Bestrebungen hierzu geben.

Auch und genau deshalb halte ich es für wichtig, den Begriff "Religion" auf kausale, sachliche wie nachvollziehbare Weise zu definieren bzw. abzugrenzen und halte dies auch für möglich.
Mein Vorschlag hierzu:

"Religion ist [die Menge] der Handlungsstrategien aus mythischem Beweggrund".

Auch wenn diese Definition womöglich noch Schliff benötigt, habe ich dazu bisher keine diese Aussage widerlegenden Argumente gehört oder gelesen - schon gar nicht, warum diese eben nicht den bestehenden "terminus technicus" ablösen kann.

Im Umkehrschluß kann bzw. muß man dann natürlich auch fragen, ob und wie man anderweitig erwachsene Handlungen wie Handlungsstrategien (z.B. aus kausalem Beweggrund usw.) demgegenüber zu werten bzw. zu stellen sind.

Säät ein Bauer z.B. im Frühjahr, weil er kausal schließend davon ausgeht (bzw. "weiß), das der zu erwartende Ertrag höher sein wird als zu anderen Jahreszeiten, ist dies ebenso seine freie Entscheidung wie die eines Bauern, der z.B. das selbe tut, weil dies (z.B. als Ritus) aus seiner Glaubenswelt erwächst. Handelt er jedoch in Verantwortung gegenüber Dritten, obliegt das Ergebnis ebenso seiner entsprechenden (Mit-)Verantwortung.
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