Kruzifixe in öffentlichen Schulen?

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niels
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Kruzifixe in öffentlichen Schulen?

Ungelesener Beitrag von niels »

Nachdem ein schweizer Lehrer von seiner Schule flog, weil er sich - mit Verweis auf das verfassungsgemäße Gebot der religiöse Neutralität öffentlicher Schulen - weigerte ein christliches Kreuz im Klassenzimmer aufzuhängen bzw. hängen zu lassen, ist nun eine Verfahrenslawine angerollt, die in der Schweiz so nicht alle Tage passiert.

http://www.swissinfo.ch/ger/gesellschaf ... d=28538406

Nachdem auf örtlicher wie regionaler Ebene die behördliche Entscheidung des Rauswurfes bestätigt wurde, steht nun wohl der Gang zu den höchsten schweizer Gerichten an - mit guten Chancen für den Lehrer doch Recht zu erhalten, zumal das letzte Urteil juristisch wie sachlich vor Widersprüchen strotzt.

http://www.infosperber.ch/Politik/Kruzi ... em-Holzweg

Als Maßgabe zitierte das Urteil z.B. den Entscheid eines EU Gerichtes, welches in einem ähnlich gelagerten Fall aus Italien zugunsten des Kruzifixes entschieden hatte - ebendies Urteil, was auch in Deutschlande gern einschlägig als "Beleg" des Rechtes in öffentlichen Schulen Kreuze aufzuhängen heranzitiert wird.

Ebendieses Urteil stellt aber auch fest, das es Sache des jeweiligen Staates sei über die Neutralität ihrer Schulen zu befinden, dies nicht durch die EU bevormundet werden könne. Es ist also keineswegs als "Erlaubnis" oder Bestätigung anzusehen, sondern verweist explizit auf die Gesetze z.B. der Bundesrepublik Deutschland. Diese wiederum sehen explizit die religiöse Neutalität öffentlicher Schulen vor - insbesondere auch in Bezug auf das Anbringen religiöser Symbole - NICHT aber das Recht einzelner Bundesländer oder Regionen der EU hierüber selbst nach Belieben befinden zu können.


Ungeachtet der Karlsruher Winke mit ganzen Zaunfeldern scheren sich diverse Bundesländer wenig um das Neutralitätsgebot für öffentliche Schulen, und privilegieren sogar dreist wie explizit "abendländische" Religionen wie deren Symbole über jedwede andere Glaubensform. Mit religiöser Gleichberechtigung oder gar Neutralität ist dies offenkundig nicht vereinbar:

http://www.tagesspiegel.de/politik/stof ... 05340.html

Spätestens mit dem wahrscheinlich bald anstehenden Urteil zu einem "Kopftuchverbot" als Verbot eines muslimischen Glaubenssymboles wird man beim Verfassungsgericht wohl nicht mehr umhin kommen, die bisher geübte deutsche Bigotterie der angeblichen "Glaubensfreiheit" insgesamt auf den Prüfstand zu stellen, denn auch die Zeiten in denen fast alle Deutsche überzeugte Kirchenchristen waren sind ja inzwischen Geschichte. Jedem das Seine, bloß mir das Meiste, das war und ist ja bisher die deutsche Praxis im Kontext der beiden großen christlichen Machtkirchen.

Das öffentliche Schulen sogar per Grundgesetz Orte religiöser Predigt und Indoktrination von Kindern und Jugendlichen sind, ist ebenso selbstverständlich wie die Tatsache, das dies hauptsächlich bis ausschlißlich ebendiese bestimmten "abendländischen" religiösen Ideologien sind, die dort vermittelt werden:

http://www.tlz.de/startseite/detail/-/s ... -700106031

Von ideologisch wie religiös "neutralem" Religionsunterricht, wie ihn so mancher Befürworter gern herbeifabuliert, kann also auch keine Rede sein - schon gar nicht wenn ebendiese Religionslehrer unmittelbar dem Bischof der katholischen Macht- und Weltkirche unterstehen, die nicht den christlichen Glauben, sondern die weltliche katholische Glaubenslehre zu verbreiten haben und auch mal geschasst werden, wenn sich sich zu sehr an christlichen Lehren entlang bewegen...

Angesichts solcher Debatten ist schon erstaunlich, wie selbstverständlich z.B. einige eichsfelder Politiker die Christianisierung der restlichen - noch nicht christianisierten - Gymnasien / Schulen fordern, ja sogar der ernsten Überzeugung sind diese müssten den Jugendlichen wieder vermehrt "christliche Werte" vermitteln. Dabei ist es schon heute für eichsfelder Eltern mancherorts sehr schwer geworden eine (staatlich finanzierte) öffentliche, religionsneutrale Kindertagesstätte o.ä. zu finden - oder für Jugendliche eine noch nicht durch Kirchen vereinnahmte Jugendeinrichtung - als verstände sich der katholische Theismus von selbst, wie der "realexistierende Sozialismus" der DDR.

Von einem Neutralitätsgebot hat augenscheinlich noch niemand etwas gehört bzw. hören wollen.
Liborius
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Re: Kruzifixe in öffentlichen Schulen?

Ungelesener Beitrag von Liborius »

Kruzifixe in öffentlichen Schulen sind rechtens, urteilt das EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) am 11. März 2011 in Straßburg.

Damit sind alle gegenteilige Entscheidungen vom Tisch. Es obliegt daher einzig in der Kompetenz der Bundesländer in Deutschland oder der Kantonen in der Schweiz ob ein Kruzifix im Klassenzimmer aufgehängt werden darf oder nicht.
http://www.zeit.de/gesellschaft/2011-03 ... grundrecht
niels
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Re: Kruzifixe in öffentlichen Schulen?

Ungelesener Beitrag von niels »

...bitte lies bevor Du schreibst.

Das Urteil besagt klar, das es Sache des jeweiligen Mitgliedsstaates ist hierüber zu befinden - und in Deutschland haben wie (wie in den meisten anderen europäischen Ländern) auf Bundesbene klare Regeln, die die Neutralität öffentlicher Schulen fixieren. Ebendies haben auch die regionalen schweizer Gerichte fehlinterpretiert - ebenso wie dies von einer Vielzahl christlicher Medien so fehlkommuniziert wurde.

Ähnlich waren und sind ja auch zB viele der "Antiatomis" und "Stuttgart21 Gegner" überzeugt, das deutsche VerfG hätte festgestellt, das Sitzstreiks "erlaubt" seien - was schlichtweg falsch ist, weil das VerfG ebendies NICHT festgestellt hat.

cheers,


Niels.
Liborius
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Re: Kruzifixe in öffentlichen Schulen?

Ungelesener Beitrag von Liborius »

Ich habe das Urteil aus Karlsruhe schon vollständig gelesen.

Kruzifixe vestoßen nicht gegen die Religionsfreiheit, ist die klare und letztinstanzliche Aussage des EGMR in Strasbourg. Es geht zwar um einen Fall aus Italien, der allerdings ein Präzedenzfall darstellt. Anderslautende Entscheidunge z.B. aus Karlsruhe sind jetzt nicht mehr relevant.

Mit Gruß aus Frankreich
Liborius
niels
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Re: Kruzifixe in öffentlichen Schulen?

Ungelesener Beitrag von niels »

Ich habe nicht behauptet, das das Gericht behauptet hätte, Kruzifixe in öffentlichen Schulen verstoßen gegen die Religionsfreiheit.

Siehe zB auch hier:
http://m.welt.de/article.do?id=%252Fpol ... AD=533x239

Offensichtlicht hast Du das Urteil nicht gelesen oder nicht verstanden (oder willst es nicht - wie so manch Kirchenmedium - nicht verstehen, kA...). Suche es gern auch selbst nochmal raus...

Das Gericht schreibt den jeweiligen Mitgliedsstaaten das Recht zu, wie dies zu handhaben ist - damit wäre ein Urteil aus Karlruhe nicht nur nicht irrelevant, wie Du hier falsch dazustellen suchst, sondern ggf. sogar wegweisend.

Allerdings dürfte sich - wie schon bisher - kaum ein einschlägiges Bundesland an derartige Auflagen halten - machte man ja schon bisher was man wollte - nicht selten abseits von Grundgesetz wie auch europäischen Entscheidungen.

Bezeichnend ist zB die bayrische Praxis ein "Gleichgewicht zwischen staatlicher Neutralität und unverzichtbarer christlicher Werteorientierung" zu betreiben - also faktisch eine Aufgabe der neutralen Position zugunsten einer (bestimmten) irrationalen Glaubensüberzeugung. So kann man sich natürlich auch verarschen. Das erinnert doch sehr an zB das SED Regime, das ein ebensolches "Gleichgewicht zwischen freier Meinungsäußerung und unverzichtbarer sozialistischer Werteorientierung" betrieb...

Apropos "christliche Werteorientierung" - neben diversen Muslime fordern nun auch christliche Verbände die Wiedereinführung eines Strafrechtsparagraphen gegen Blasphemie - wie ihn zB die Pakistaner derzeit schmerzlich loszuwerden suchen. Meinungsfreiheit soll sich selbstverständlich "religiösen Gefühlen" unterordnen (achja, aus dem Verstand geborene Gefühle sind nicht grundrechtlich privilegiert, dafür ist Irrationalität mit absolutistischem Wahrheitsanspruch erforderlich).

Wann bitteschön lassen die Religioten andere in Ruhe und leben ihre eigenen Werte einfach mal selbst, statt sie stets und ständig anderen per Doktrin überstülpen zu wollen? Jeder soll meinetwegen glauben was er will - aber mir und anderen bitte keine Vorschriften machen. Auf diese "unverzichtbare Wertebasis" verzichte ich auch gern und ausgiebig. Ach übrigens: Es verletzt auch meine Gefühle als Verstandesmensch, wenn ich sehe wie Menschen sich absolutistischen Überzeugungssystemen unterwerfen, ja sogar ihre Kinder damit indoktrinieren, nur hat das keinen Wert, weil es dem rationalen Verstand und eben nicht irrationalen Behauptungen entspringt, die das Grundgesetz privilegiert. Ich würde aber auch nicht den Anspruch darauf erheben wollen Religioten vorschreiben zu wollen wie sie untereinander leben, und möchte das ebensowenig für mich haben.

Religion bzw. religiöser Glaube steht im Gegensatz zu Wissen und Erkenntnis - und hat schon deshalb in öffentlichen Bildungseinrichtungen nichts mehr zu suchen als jedes andere Soziophänomen. Als Bürger möchte ich weder Bilder von Nazi-Größen noch Scientology-Zeichen oder muslimischen Diktaturen oder auch dem Weihnachtsmann in öffentlichen Schulen auf eine Weise platziert sehen, die über die rein sachliche und rationale, insbesondere neutrale Betrachtung dieser Phänomene (zB historisch, soziologisch etc.) hinausreicht. Politische, ideologische wie auch religiöse Positionierung ist weder Aufgabe noch Zweck öffentlicher Schulen eines demokratischen Rechtsstaates. Da gibt es keine Ausnahme, ohne dieses Prinzip aufzugeben.

Religion ist und bleibt ein Firmware-Bug im primatischen Betriebssystem und wird uns nicht unwahrscheinlich zum Ende unserer Art führen. So gesehen hätte Religion - im Nachhinein gesehen - doch noch einen Sinn gehabt - die Befreiung der Natur vom ausexerzierten Experiment Homo Sapiens...


cheers,


Niels.
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Re: Kruzifixe in öffentlichen Schulen?

Ungelesener Beitrag von niels »

...dazu auch passend, da aktuell:

Eine Schülerin in den USA aus Rhode Island (nahe New York) hat Haß und Aggression aus der ganzen Kleinstadt auf sich gezogen, da sie - sich berufend auf die Verfassung und das Neutralitätsgebot - das Abhängen eines christlichen Gebetes in der Eingangshalle ihrer Schule öffentlich gefordert hatte. Inzwischen kann sie nicht mal mehr zur Schule gehen und ohne Polizeischutz frei in der Öffentlichkeit bewegen, denn zu groß ist der Haß in Form von Aggressionen und Bedrohungen gegen sie.

http://ag-evolutionsbiologie.de/app/dow ... -high.html

Nun ist die USA zwar "weit weg", aber auch im Eichsfeld gab es vor wenigen Jahren einen ähnlichen Fall, wo eine neue Schulleiterin ein Kreuz in der öffentlichen Schule in der Nähe von Heiligenstadt abhing. Elterninitiativen dorderten ihre umgehende Entlassung aus dem Schuldienst und es gab wohl
auch persönliche Bedrohungen auf verschiedensten Ebenen gegen die Person der Lehrerin.

Ich behaupte mal, das es ebenso kritisiert worden wäre, wenn man in der Schule ein Bild von Karl Marx, Erich Honnecker oder gar Stalin oder dem "Führer" - oder auch Putin o.ä. - aufgehängt oder die Symbole des Islam, von Scientology oder wem auch immer angebracht hätte, ebenfalls Vertreter bzw. Symbolismen verschiedener (nicht minder absolutistisch, diktatorischer) Ideologien, für die es bekanntlich immer noch Anhänger gibt.

Die einzige legitime "Leitperson" in öffentlichen Schulen kann m.E. - wie auch in manch anderen Ländern üblich - der Bundespräsident sein. In Deutschland aber hat man sich darauf "verständigt" von solchen Symbolismen in öffentlichen Schulen keinen Gebrauch zu machen - wohl nicht zuletzt wegen der "Erfahrungen" mit solchen Symbolismen früherer Diktaturen gleich welcher Form. Demnach gebietet es schon das Neutralitätsgebot des Staates eben keine ideologischen oder religiösen Symbolismen in den Schulen anzubringen - schon gar nicht wenn diese Ideologien vs Religionen alternativ oder gar konträr zum Grundgesetz stehen, dieses - über rein persönliche wie private Befindlichkeiten hinaus - nicht als höchste legitime Instanz der Gesellschaft bzw. des Staates akzeptieren wollen.

Die einzige legitime - meint für alle verbindliche höchste Institution unserer Gesellschaft ist das Grundgesetz, aber eben weder Kirche noch Religionen.

Das GG erlaubt jedem (Bürger/Person) die Annahme, das Bekenntnis wie die Ausübung von religiösem Glauben - dieser aber beinhaltet nicht (wie inzwischen gern gefordert/behauptet) das Recht auf "unverletzte Gefühle", nur oder gerade weil diese "religiösen" Ursprunges sind - ebensowenig wie es die religiöse Positionierung staatlich-öffentlicher Einrichtungen deckt.

Problematisch wird es auch, wenn "öffentliche Ordnung" mit "religiösem Frieden" gleichgesetzt wird, wie es in islamischen Diktaturen üblich ist und in Deutschland inzwischen mehr und mehr politisiert wird. So sehen z.B. diverse CDU-Vertreter ebendiesen "Frieden" bereits dadurch "gestört", wenn Korane vor Schulen verteilt würden (von Bibeln hingegen war bis dato keine Rede), also eine Religion Mission wagt, damit der anderen "Konkurrenz macht", die wiederum selbst Anspruch auf Mission erhebt, sich sogar staatlich dafür finanzieren lässt.

Es ist bedenklich genug, das selbst wir Deutsche bis heute einen Blasphemieparagraphen im Strafgesetz führen, der es letztlich den Religiösen selbst mit in die Hand legt, was diese unter "erlaubter" wie "nicht erlaubter" Kritik oder Meinungsäußerung durch Bürger verstehen, wenngleich viele Richter bisher und heute die Latte für Klagen individuell recht hoch gelegt haben - eine rechtlich fundierte Basis hierfür fehlt aber dem Gesetz.

Dabei gibt es bereits genug andere Strafgesetze, die z.B. Beleidigungen oder Falschbehauptungen o.ä. bestrafen - der "Zweck" des Gesetzes wie so mancher meint.
Liborius
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Re: Kruzifixe in öffentlichen Schulen?

Ungelesener Beitrag von Liborius »

Die Schulleiterin aus Heiligenstadt in Deinem Beispiel besitzt keine Hausherren-Funktion, da ihr die Schule nicht gehört.
Bildung ist Ländersache, daher sind die Schulen im Besitz der betreffenden Länder, die selbstverständlich diese Funktion an das Kultusministerium abtreten kann.
Die Schulleiterin hat aus eigener Überzeugung gehandelt, dies steht nun im Widerspruch zu Landesgesetzen und zum GG.
Die Forderung nach einer Ablösung war völlig rechtens.
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