Ist der deutsche Papst überhaupt noch tragbar?
Verfasst: Sonntag 1. Februar 2009, 23:14
Ratzinger tritt von einem Fettnäpfchen in das nächste. Seine deutsche Herkunft beschädigt und beschämt uns Deutsche in aller Welt.
Die Entscheidung von Benedikt XVI., die Exkommunikation der vier von Lefebvre ordinierten Bischöfe zurückzunehmen, hat einige schwerwiegende Probleme aufgezeigt, die diese katholische Kirche aufwühlen. Die Rückkehr zur lateinischen Messe, der archaische Zeremonienfundus oder einige Subtilitäten der katholischen Doktrin interessieren das große Publikum nicht wirklich. Aber das ändert sich, wenn der Antisemitismus berührt wird. Und deshalb ist es auch kein Wunder, dass es vor allem jene antisemitischen Äußerungen sind, die Nachrichtenwert haben und einen Skandal auslösen.
Die Öffnung von Papst Ratzinger zu den Traditionalisten hin hatte große Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Judentum. Schon das "Motuproprio", das Päpstliche Sendschreiben von 2007, in dem der Pontifex die Nutzung der aus dem 16. Jahrhundert - nach dem Konzil von Trient - stammenden tridentinischen Messe ausgeweitet hat, löste in der jüdischen Welt Fassungslosigkeit aus und brachte etwa die italienischen Rabbiner dazu, den interreligiösen Dialog bis zu einer Klarstellung auszusetzen. Vor allem das Fürbittegebet für die Juden am Karfreitag sorgte für Irritationen. Zwar ist es richtig, dass die antike Formulierung von den "perfidi Judaei" (treulosen, ungläubigen Juden) aus der Liturgie entfernt wurde, aber in der neuen Version taucht noch immer das Gebet für die Konvertierung der Juden zum Christentum auf. Selbst wenn dies in eine endzeitliche Dimension verlegt wird, so verletzt es doch diejenigen, die sich eine Beziehung auf der Grundlage von Gleichwertigkeit wünschen.
Nun, mit der Wiederaufnahme der Lefebvrianer, sind es nicht mehr nur die jahrhundertealten Formeln, die Unbehagen und Aufsehen erregen, sondern lebendige Menschen mit ihren öffentlich zur Schau gestellten Vorurteilen. Es mag sein, dass es die Absicht des Papstes ist, das Alte mit dem Neuen zu versöhnen und dafür zu sorgen, dass die lefebvrianischen Rebellen die Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils von 1962-65 akzeptieren. Aber die tatsächlichen Ergebnisse dieser Kurskorrektur sind andere - sie scheinen das Neue, die Reform des Konzils, infrage zu stellen.
Es sind vielleicht gerade die heutigen Polemiken, die aufzeigen, dass das Zweite Vatikanische Konzil auch von Juden und Säkularen als wahre Transformation erlebt wurde, als eine epochemachende Zäsur zwischen einem "Vorher" und einem "Nachher". Das "Vorher" bestand aus einem unerbittlichen theologischen Antijudaismus, aus physischer Segregation in den von der gegenreformatorischen Kirche gewollten Gettos. Es bestand aus erzwungenen Taufen, aber auch - und das selbst nach der Emanzipation der Juden in Europa - aus schikanierenden Maßnahmen im gesellschaftlichen Leben und antijüdischen Ressentiments eines wichtigen Teils der christlichen Welt. Man kann sagen, dass die katholische Kirche erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil begonnen hat, dem Antijudaismus ein klares "Nachher" entgegenzusetzen, indem sie sich dieses Antijudaismus bewusst wurde und ihn zu korrigieren versuchte. Diese Transformation setzte nach der Schoah ein, für die der christliche Antijudaismus - nicht nur der katholische - ein kulturelles und ideologisches Hinterland gebildet hatte.
Joseph Ratzinger hat des Öfteren unterstrichen, dass der Antisemitismus der Nazis ein heidnisches Projekt war, der die jüdischen Wurzeln des Monotheismus auslöschen wollte, um dann tatsächlich das Christentum zu treffen. Das ist sicher nur ein Teil der Wirklichkeit, wenn nicht gar eine Verzerrung der Geschichte. Denn die vom Nazismus gewollte Judenvernichtung war nur auf dem jahrtausendealten Humus des christlichen Antijudaismus möglich. Die Schoah war das Werk von Menschen, die aus einem christlichen Kulturraum stammten.
Ist Antijudaismus Tradition bei den Ratzingers?
Joseph Ratzinger hat nur ein Mal, im Jahr 1996, öffentlich über Georg Ratzinger geredet, den Bruder seines Großvaters. Damals drückte er seine Bewunderung aus für das geistige Werk dieses Vertreters des bayerischen Katholizismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und bezeichnete ihn als "Vorkämpfer für die Rechte der Bauern und überhaupt der einfachen Leute". Wer allerdings die Texte zur Hand nimmt, die Georg Ratzinger, oft unter Pseudonym, über die Juden veröffentlichte, insbesondere sein "Jüdisches Erwerbsleben", der wird von der Gewalt der dort enthaltenen antijüdischen Äußerungen überwältigt. Auch wenn er sagte, dass ihm der antisemitische Rassismus fernliege, sah Georg Ratzinger doch in den Juden die Personifizierung eines unmoralischen Profitstrebens und schlug vor, ihnen die meisten Besitztümer wegzunehmen, sie von öffentlichen Ämtern auszuschließen und sie möglichst von der Mehrheitsbevölkerung zu separieren.
Niemand trägt die Schuld seiner Väter, und sicher teilt Benedikt XVI. die antisemitischen Ideen seines Großonkels nicht. Aber dass der tief sitzende Antijudaismus von Georg Ratzinger, der den Experten wohlbekannt ist, so beschämt beschwiegen wird, macht nachdenklich. Das Beispiel taugt zumindest, um zu zeigen, wie obskur die Welt des Katholizismus vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil war und wie das noch immer auf dem historischen Gewissen aller lastet. Und darüber sollte man dann doch nicht schweigen.
Die Versuche des Papstes, die Lefebvrianer zu befrieden, bringen am Ende eine Errungenschaft in Gefahr, die im westlichen Bewusstsein längst verankert zu sein schien: die Abkehr vom traditionellen christlichen Antijudaismus und die Hinwendung zu einem neuen, wenn auch mühseligen Respekt vor dem Judentum.
Was ist also falsch gelaufen? Die alleinige Beschäftigung mit der internen Kirchenpolitik und die Sorge um die Verteidigung der Tradition haben die Oberhand gewonnen über das Verständnis vom Bruch mit der Vergangenheit. Man hat vergessen, dass das Zweite Vatikanische Konzil nicht nur für die Katholiken ein entscheidender Schritt war, um die moderne Welt nach dem Skandal der Schoah neu zu erfinden.
Qelle:
http://www.welt.de/wams_print/article31 ... ismus.html
Die Entscheidung von Benedikt XVI., die Exkommunikation der vier von Lefebvre ordinierten Bischöfe zurückzunehmen, hat einige schwerwiegende Probleme aufgezeigt, die diese katholische Kirche aufwühlen. Die Rückkehr zur lateinischen Messe, der archaische Zeremonienfundus oder einige Subtilitäten der katholischen Doktrin interessieren das große Publikum nicht wirklich. Aber das ändert sich, wenn der Antisemitismus berührt wird. Und deshalb ist es auch kein Wunder, dass es vor allem jene antisemitischen Äußerungen sind, die Nachrichtenwert haben und einen Skandal auslösen.
Die Öffnung von Papst Ratzinger zu den Traditionalisten hin hatte große Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Judentum. Schon das "Motuproprio", das Päpstliche Sendschreiben von 2007, in dem der Pontifex die Nutzung der aus dem 16. Jahrhundert - nach dem Konzil von Trient - stammenden tridentinischen Messe ausgeweitet hat, löste in der jüdischen Welt Fassungslosigkeit aus und brachte etwa die italienischen Rabbiner dazu, den interreligiösen Dialog bis zu einer Klarstellung auszusetzen. Vor allem das Fürbittegebet für die Juden am Karfreitag sorgte für Irritationen. Zwar ist es richtig, dass die antike Formulierung von den "perfidi Judaei" (treulosen, ungläubigen Juden) aus der Liturgie entfernt wurde, aber in der neuen Version taucht noch immer das Gebet für die Konvertierung der Juden zum Christentum auf. Selbst wenn dies in eine endzeitliche Dimension verlegt wird, so verletzt es doch diejenigen, die sich eine Beziehung auf der Grundlage von Gleichwertigkeit wünschen.
Nun, mit der Wiederaufnahme der Lefebvrianer, sind es nicht mehr nur die jahrhundertealten Formeln, die Unbehagen und Aufsehen erregen, sondern lebendige Menschen mit ihren öffentlich zur Schau gestellten Vorurteilen. Es mag sein, dass es die Absicht des Papstes ist, das Alte mit dem Neuen zu versöhnen und dafür zu sorgen, dass die lefebvrianischen Rebellen die Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils von 1962-65 akzeptieren. Aber die tatsächlichen Ergebnisse dieser Kurskorrektur sind andere - sie scheinen das Neue, die Reform des Konzils, infrage zu stellen.
Es sind vielleicht gerade die heutigen Polemiken, die aufzeigen, dass das Zweite Vatikanische Konzil auch von Juden und Säkularen als wahre Transformation erlebt wurde, als eine epochemachende Zäsur zwischen einem "Vorher" und einem "Nachher". Das "Vorher" bestand aus einem unerbittlichen theologischen Antijudaismus, aus physischer Segregation in den von der gegenreformatorischen Kirche gewollten Gettos. Es bestand aus erzwungenen Taufen, aber auch - und das selbst nach der Emanzipation der Juden in Europa - aus schikanierenden Maßnahmen im gesellschaftlichen Leben und antijüdischen Ressentiments eines wichtigen Teils der christlichen Welt. Man kann sagen, dass die katholische Kirche erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil begonnen hat, dem Antijudaismus ein klares "Nachher" entgegenzusetzen, indem sie sich dieses Antijudaismus bewusst wurde und ihn zu korrigieren versuchte. Diese Transformation setzte nach der Schoah ein, für die der christliche Antijudaismus - nicht nur der katholische - ein kulturelles und ideologisches Hinterland gebildet hatte.
Joseph Ratzinger hat des Öfteren unterstrichen, dass der Antisemitismus der Nazis ein heidnisches Projekt war, der die jüdischen Wurzeln des Monotheismus auslöschen wollte, um dann tatsächlich das Christentum zu treffen. Das ist sicher nur ein Teil der Wirklichkeit, wenn nicht gar eine Verzerrung der Geschichte. Denn die vom Nazismus gewollte Judenvernichtung war nur auf dem jahrtausendealten Humus des christlichen Antijudaismus möglich. Die Schoah war das Werk von Menschen, die aus einem christlichen Kulturraum stammten.
Ist Antijudaismus Tradition bei den Ratzingers?
Joseph Ratzinger hat nur ein Mal, im Jahr 1996, öffentlich über Georg Ratzinger geredet, den Bruder seines Großvaters. Damals drückte er seine Bewunderung aus für das geistige Werk dieses Vertreters des bayerischen Katholizismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und bezeichnete ihn als "Vorkämpfer für die Rechte der Bauern und überhaupt der einfachen Leute". Wer allerdings die Texte zur Hand nimmt, die Georg Ratzinger, oft unter Pseudonym, über die Juden veröffentlichte, insbesondere sein "Jüdisches Erwerbsleben", der wird von der Gewalt der dort enthaltenen antijüdischen Äußerungen überwältigt. Auch wenn er sagte, dass ihm der antisemitische Rassismus fernliege, sah Georg Ratzinger doch in den Juden die Personifizierung eines unmoralischen Profitstrebens und schlug vor, ihnen die meisten Besitztümer wegzunehmen, sie von öffentlichen Ämtern auszuschließen und sie möglichst von der Mehrheitsbevölkerung zu separieren.
Niemand trägt die Schuld seiner Väter, und sicher teilt Benedikt XVI. die antisemitischen Ideen seines Großonkels nicht. Aber dass der tief sitzende Antijudaismus von Georg Ratzinger, der den Experten wohlbekannt ist, so beschämt beschwiegen wird, macht nachdenklich. Das Beispiel taugt zumindest, um zu zeigen, wie obskur die Welt des Katholizismus vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil war und wie das noch immer auf dem historischen Gewissen aller lastet. Und darüber sollte man dann doch nicht schweigen.
Die Versuche des Papstes, die Lefebvrianer zu befrieden, bringen am Ende eine Errungenschaft in Gefahr, die im westlichen Bewusstsein längst verankert zu sein schien: die Abkehr vom traditionellen christlichen Antijudaismus und die Hinwendung zu einem neuen, wenn auch mühseligen Respekt vor dem Judentum.
Was ist also falsch gelaufen? Die alleinige Beschäftigung mit der internen Kirchenpolitik und die Sorge um die Verteidigung der Tradition haben die Oberhand gewonnen über das Verständnis vom Bruch mit der Vergangenheit. Man hat vergessen, dass das Zweite Vatikanische Konzil nicht nur für die Katholiken ein entscheidender Schritt war, um die moderne Welt nach dem Skandal der Schoah neu zu erfinden.
Qelle:
http://www.welt.de/wams_print/article31 ... ismus.html