"Ossi vs Wessi" - von alten und neuen Klischees

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Heinrich5

"Ossi vs Wessi" - von alten und neuen Klischees

Ungelesener Beitrag von Heinrich5 »

Zitat Niels:
Ich bezeichne meine Herkunft auch heute zuweilen noch mit "Zone" und habe kein Problem damit. Auch mit Begriffen wie "Ossi und Wessi" hab ich kein Problem - vielleicht auch, weil wir immer grenznah gelebt haben und auf beiden Seiten Familien, unsere neue Arbeit - zumindest aber häufiger zu tun haben. Das ist auch gut so.
Täglich verlassen junge Thüringer dieses Ossi-Bratwurst-Land. Unsere Jugend wandert in großen Teilen ab. In den westlichen Bundesländern neu angesiedelte Ossis sind peinlich darauf bedacht, nicht als solche erkannt zu werden. Aus Ossi-Land zu kommen ist im Westen nicht karrierefördernd. Sachsen können das zu ihrem Leidwesen meist nicht verheimlichen. In den Augen vieler West-Deutscher waren wir vor 1989 keine richtigen Deutschen mehr, mehr so eine Art Sowjet-Deutsche, russifizierte Deutsche usw. In der Art etwa so, wie wir heute die zurückgekommenen Russland-Deutschen nicht mehr als „richtige“ Deutsche sondern mehr als Russen betrachten.
Jetzt kommt noch hinzu, dass wir Ost-Deutschen heute von den West-Deutschen als die Unterschicht, als das Präkariat des deutschen Volkes bezeichnet werden.

Siehe auch hierzu die Ausführungen eines Professors für „Neuere Geschichte“.

http://forum.eichsfeld.net/viewtopic.php?f=9&t=1287

Ich habe Verständnis dafür, dass diesen jungen Leuten ihre Herkunft peinlich ist und sie ein Problem damit haben.
Allerdings schaut man dann - vor allem im "Westen" bzw. den alten Bundesländern (aber nicht nur dort) - noch oft in erstaunte Gesichter (vielleicht denken diejenigen: wie kann sich ein "Zoni" selbst als solcher bezeichnen?
Die Gesichter sind dann wohl weniger erstaunt, dafür aber umso mehr geringschätzig und herabblickend wie ich schon selbst oftmals feststellen durfte.


Gruß,
Heinrich5
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niels
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Re: Der Ober sticht den Unter

Ungelesener Beitrag von niels »

In den westlichen Bundesländern neu angesiedelte Ossis sind peinlich darauf bedacht, nicht als solche erkannt zu werden.
Ja,
solche Typen sind mir bekannt. Ich schäme mich für viele von ihnen, denn nicht zuletzt sind DIE es, die das Klischee vom "blöden Ossi" auch heute noch weiterzüchten....

Allerdings programmieren diese ihren eigenen Untergang - meist kommt es doch irgendwann - oft erst nach Jahren - raus. Hat man sich bis dahin gezielt "verstellt", wird dies einem zu recht übel genommen (was viele der Betreffenden als "Beweis" für obige Logik verstehen).
Aus Ossi-Land zu kommen ist im Westen nicht karrierefördernd.
Kommt wahrscheinlich drauf an, was man unter "Karriere" versteht und in welchen Kreisen man sich bewegt.

Meine Erfahrung ist, das es in erster Linie auf das Können, die Erfahrungen wie die Ergebnisse ankommt - nicht woher man kommt. In vielen Teams - ob in Unternehmen, Unis oder wo auch immer - arbeiten heute eh fast immer mehrere Kulturen und Nationen zusammen. Gerade dort, wo um Posten oder Ämter geschachert wird, mag man sich auch für solche Dinge interessieren.
In den Augen vieler West-Deutscher waren wir vor 1989 keine richtigen Deutschen mehr, mehr so eine Art Sowjet-Deutsche, russifizierte Deutsche usw. In der Art etwa so, wie wir heute die zurückgekommenen Russland-Deutschen nicht mehr als „richtige“ Deutsche sondern mehr als Russen betrachten.
Ja,
aber diese Fehleinschätzung kursierte vorrangig bei denen, die selbst nie in der Zone waren (vielleicht abgesehen von ein paar West-Berlin-Transits).

Interessanterweise findet man diese Meinung auch heute noch - vor allem in den der ehem. DDR ferneren Regionen Westdeutschlands. Mein Fazit über viele Jahre ist: Je weniger Kontakt ein "Altbundesbürger" zu "Ossis" oder in die Zone hatte, desto weniger weiß er darüber und umso größer sind die Klischees. Ebenso findet man die Klischees (wie bei vielen Klischess) bei Menschen umgekehrt proportional zum Bildungsstand.

Interessanterweise bevorzugen heute vor allem immer mehr westdeutsche Frauen einen otsdeutschen Mann, weil diese wohl ehrlicher und natürlicher seien - however. Kurz nach der Wende war es genau andersherum - daran kann ich mich gut erinnern... Ebenso gibt es immer mehr Arbeitgeber / Unternehmer, die gezielt Ostdeutsche suchen (und das nicht, weil man die "billiger" bekommt, wie viele munkeln mögen).
Jetzt kommt noch hinzu, dass wir Ost-Deutschen heute von den West-Deutschen als die Unterschicht, als das Präkariat des deutschen Volkes bezeichnet werden.
Wir sind keine Ostdeutschen mehr - wir sind West-Polen ;)

Quatsch, wir leben in Europa bzw. auf unserer Erde - haben aber alle unsere kulturellen Eigenarten und Erbe. Wichtig ist, deren jeweiligen Stärken z.B. in Teams einzubringen, statt sich an eine Kultur "anzupassen", die nicht besser ist als die eigene - aber vielleicht so aussieht.
Ich habe Verständnis dafür, dass diesen jungen Leuten ihre Herkunft peinlich ist und sie ein Problem damit haben.
Ich nicht. Wer nicht zu sich selbst und seiner Vergangenheit stehen kann, ist ein erbärmliches, rückgratloses Würstchen... Ich höre ofter mal von Westdeutschen, die derlei Typen erlebt haben und auch was sie davon (oder besser nicht) halten. Allerdings würde ich z.B. auch nicht für jemanden arbeiten, der mich - nur weil ich ein "Ossi" bin bzw. war - nicht haben wollte.
Die Gesichter sind dann wohl weniger erstaunt, dafür aber umso mehr geringschätzig und herabblickend wie ich schon selbst oftmals feststellen durfte.
Das erging mir bisher nicht so. Die meisten waren offensichtlich erstaunt, wie wenig man im Westen eigentlich über den Osten wie seine Bewohner weiß bzw. wie viel davon Klischee ist... Mir ist bekannt, das es - "irgendwo weit hinter den Bergen" - auch anders denkende, derart kleingeistige "Wessis" gibt, mit derlei Leuten aber habe ich im Westen - wie auch im Osten nichts zu tun...
Heinrich5

Re: "Ossi vs Wessi" - von alten und neuen Klischees

Ungelesener Beitrag von Heinrich5 »

Da unterscheiden sich wohl die Erfahrungen bei den Ost-Deutschen, welche hier in Ossiland ihre Brötchen verdienen und den Ost-Deutschen, welche in Wessiland leben und arbeiten müssen. Mit letzteren habe ich oft gesprochen und weis deshalb einigermaßen von was ich rede. Sicherlich gibt es aber auch Ausnahmen. Von einer zusammengewachsenen Nation kann meiner Meinung nach noch keine Rede sein. Vielleicht werden es unsere Enkel irgendwann mal packen.
Gruß,
Heinrich5
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Re: "Ossi vs Wessi" - von alten und neuen Klischees

Ungelesener Beitrag von niels »

Heinrich5 hat geschrieben:Da unterscheiden sich wohl die Erfahrungen bei den Ost-Deutschen, welche hier in Ossiland ihre Brötchen verdienen und den Ost-Deutschen, welche in Wessiland leben und arbeiten müssen.
"Müssen "tut niemand. Es steht jedem frei, wann, wo und bei wem er arbeitet. Sicher ist die Jobsuche nicht immer leicht - aber sich selbst als Person leugnen muß niemand (wenn doch, ist er zu faul oder zu feige zu sich selbst zu stehen)... Zum Geld verdienen sind die "doofen Wessis" dann wohl doch gut genug?
Heinrich5 hat geschrieben:Mit letzteren habe ich oft gesprochen und weis deshalb einigermaßen von was ich rede. Sicherlich gibt es aber auch Ausnahmen.
Ich sehe eher Deine Darstellung als die Ausnahme. Ich kenne ähnliche "Reportagen" einiger Ossis - nicht selten fällt mir dabei auf, das sie sich ähnlich kleingeistig, kleinbürgerlich verhalten. Der Böse Westen hat den armen Osten gefressen - oder andersherum. Deutsche, die so denken, sind (sorry für den Ausdruck) arme Schweine - zum Glück bleiben sie das meist auch...

Ebenso findest Du auch Eichsfelder auf dem einen Ort, die Bewohner des anderen Ortes für "Blöd" oder "minderwertig" halten - das ist für mich aber auch nicht Maß der Dinge...
Heinrich5 hat geschrieben:Von einer zusammengewachsenen Nation kann meiner Meinung nach noch keine Rede sein. Vielleicht werden es unsere Enkel irgendwann mal packen.
Was verstehst Du denn unter einer "zusammengewachsenen" Nation? Wir haben nun mal eine unterschiedliche Geschichte, daher auch abweichende Werte und kulturelle Prägungen - was ist so schlimm daran? Auch wenn die Unterschiede immer weiter verschwimmen - weg werden sie für uns nie sein, zumindest aber unbewusst wohl erst wenn die Generation der noch lebenden "Ossis" und "Wessis" ausgestorben ist.

Ich sehe darin kein Problem.
Niels.

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