"Laizismus" - warum nicht auch in Deutschland?

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niels
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"Laizismus" - warum nicht auch in Deutschland?

Ungelesener Beitrag von niels »

Angrenzende Debatten rund um Trennung von Staat und Kirche gab es hier ja bereits.

Dabei kam mehrfach die Behauptung auf, das Laizismus nicht mit der Religionsfreiheit vereinbar sei.

Allerdings kann ich nicht erkennen, worin eine Beschneidung der Religionsfreiheit (exakter Meinungs- und Bekenntnisfreiheit) eingeschränkt sei, wenn ein Staat Laizismus verfassungsrechtlich verankert, er sich neutral gegenüber allen existierenden wie denkbaren Bekenntnissen verhält.

Dazu auch:
http://de.m.wikipedia.org/wiki/Laizismus

Die Forderungen nach einer laizistischen Konstitution des Staates Deutschland sind ja keineswegs neu und aus der Sicht manch Grundgesetzexpertens nicht nur legitim sondern gar logische Folge der im GG verbrieften Rechte.
Heinrich5

Re: "Laizismus" - warum nicht auch in Deutschland?

Ungelesener Beitrag von Heinrich5 »

Wir sind zwar ein säkularer Staat, aber die Forderung nach der Trennung von Kirche und Staat ist bei uns nicht wirklich verwirklicht. Die Kirchen haben bei uns noch viel zu viel Macht. Regierung, Parteien und Kirchen küngeln miteinander. In Frankreich, Portugal und Tschechien hat man damit Schluss gemacht.
In Lichtenstein hat die Regierung jetzt die Neuregelung des Verhältnisses zwischen Staat und Religionsgemeinschaften unter Dach gebracht und an das Parlament verabschiedet. Kern der Vorlage ist eine Änderung der Verfassung sowie die Schaffung eines Religionsgemeinschaftsgesetzes.

Insbesondere die Idee eines solchen Gesetzes sollte hier in Deutschland aufgegriffen werden, wenn damit der hiesige Zustand von Kirchen als "K.d.ö.R.", also ihrer besonderen, privilegierten Rechtsstellung gegenüber anderen Vereinigungen, überwunden werden könnte.

Wie könnte ein laizistisches Deutschland aussehen? Welche Forderungen sind zu erfüllen?

1. Gesetze und öffentlicher Raum müssen religiös und weltanschaulich neutral sein.

2. Das öffentliche Bildungswesen muß religiös und weltanschaulich neutral sein.

3. Ablösung der sogenannten Staatsleistungen an die Kirchen.

4. Abschaffung von Rechtsprivilegien der beiden sogenannten Amtskirchen.

5. Abschaffung von Steuerprivilegien der Kirchen.

6. Abschaffung von Finanzprivilegien derjenigen Religions- und Weltanschaungsgemeinschaften, die K.d.ö.R. sind.

7. Beendigung der amtskirchlichen Priesterausbildung auf Kosten des Staates.

8. Allgemein übliche Mitarbeiterrechte auch für die Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen und Betrieben.

9. Keine öffentliche Militärseelsorge mehr.

10. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat kein Kirchenfunk zu sein.
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niels
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Re: "Laizismus" - warum nicht auch in Deutschland?

Ungelesener Beitrag von niels »

@Heinrich5:

Danke, damit bringst Du immerhin die wichtigsten Punkte auf den Tisch - auch wenn die Angehörigen der bisher noch privilegierten Institutionen nur müde drüber lächeln.

Ich fände es darüberhinaus aber auch wichtig - womöglich noch wichtiger - das die deutschen Verfassungsrichter vs -rechtler öffentlich und für alle hörbar klarstellten, das der Abs. 2 des Art 4 GG zwar nur den Begriff "Religion" aufführt, aber - konform zum Abs. 1 - ebenso jede Ueberzeugung und Weltanschauung gleich(wertig) betrifft. Gerade unter juristischen "Laien" verkehrt bis heute die Überzeugung, das der Abs. 2 (freie Ausübung der Religion) sich nur und ausschließlich (!) auf jene irrationalen Überzeugungen mit absolutistischem Wahrheitsanspruch bezöge, die man landläufig bisher als "Religion" bezeichnet. Dies hat das VerfG ja bereits mehrfach im Rahmen von Einzelnentscheidungen festgehalten, wenn auch verklausuliert oder im Rahmen umfassenderer Urteilsbegründungen "untergegangen". Bisher herrscht bei vielen Bürgern (bis hin zu hohen Politikern und nicht weniger Richter, wie das VerfG ja mehrfach feststellte) immer noch die Überzeugung, das das GG der institutionellen Religion Rechte einräume, das anderen Überzeugungen wie Weltanschauungen versperrt sei. Prinzipiell ist sogar die Institutionalisierung kein Aspekt für die "Echtheit" einer Religion - lediglich der Institution, denn die individuelle Überzeugung kann nicht der gemeinschaftlichen Überzeugung untergeordnet werden - es spielt keine Rolle ob lediglich ein Mensch oder gar die Mehrheit der Bevölkerung weltanschaulich von etwas "überzeugt" ist. Hiervor aber ist bisher nur wenig wirklich in der Praxis angekommen.

Eine solche Differenzierung zwischen "Religion" und "anderen Überzeugungen" aber kennt das GG - entgegen vielfachen Behauptungen - gar nicht, verbietet diese sogar, das es dem Staat nicht einmal erlaubt ist inhaltliche Bewertungen von Überzeugungen / Religionen anzustellen. Dennoch passiert es - wie erst jüngst in Hamburg, wo die Lokalregierung der laut schreienden muslimischen Bevölkerung die Privilegierung der eigenen Religion als Wahlgeschenk verkaufte, wobei man ein "Gutachten" durch eine Theologin fertigen ließ, die belegen sollte, ob und wie weit denn die Institution des Islam "Religion" und nicht bloß "irgend eine Überzeugung" sei, woraufhin man ihr den Anspruch auf Privilegien einräumen könne, den bereits die historischen Amtskirchen genießen.

Hinzu kommt hier das Problem, das man zwar Theologen als "Wissenschaftler" betrachtet - diese aber als gerichtliche Sachverständige ungeeignet, da selbst nicht neutral / ungebunden, sind. Das hat man mal geschickt eingefädelt - man schrieb und schreibt den "Sachverstand" mal eben jenen zu, die über sich selbst zu befinden haben - ein Unding in jedem anderen gerichtlichen Urteil.

Ich kann nur hoffen das künftig mehr mutige Verfassungskläger unter den Betroffenen gibt (wie auch im Fall Beschneidungsgesetz, für das bereits mehrere Berufsverbände von Medizinern wie Juristen Verfassungsklage angekündigt haben, sollte das Gesetz kommen).
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