Die biblische Geschichte – Altes und Neues Testament - aus logischer Sichtweise
Autor: Karlheinz Deschner
Es war einmal ein alter Herr. Der lebte, mit vielen, vielen Jahren auf dem Buckel, lange ganz allein. Er lebt, schwer vorstellbar, doch finden wir uns damit ab, schon ewig, ohne Anfang, ohne Ende, im Vollgefühl der Allmacht, seines Wissens, seiner Güte. Doch plötzlich hat er, gottweißwarum, das dauernde Alleinsein satt, die wenn auch noch so souveräne Solitüde, das Dolcefarniente tagaus, tagein, das ja auch unsereinem nicht bekommt. Ja, nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe
von guten Tagen. Oder wie Georg Büchner den Leonce sagen läßt: «Müßiggang ist aller Laster Anfang.» Offenbar mußte sich die Omnipotenz endlich betätigen, bestätigen. Brauchen doch auch wir immer wieder ein kleines Erfolgserlebnis. Und er hatte es nie!
Und seine grenzenlose Güte? Wohin damit? Und wollte er nicht auch verehrt, ein wenig angebetet sein, verherrlicht? War nicht, wer weiß, ein bißchen Eitelkeit im Spiel? Ein wenig Rachsucht gar, ein Zorn, hochheilig, sicher, der freilich einmal raus, der einfach sich entfalten, entladen mußte? Wie seine grenzenlose Güte? Beides zusammen, liebevoller Vater und Folterknecht in perpetueller Kooperation? Aber Hölle und Himmel beweisen es. Beide gleich vis-àvis, damit man von diesem – Herrgott, wofür ist man Engel!, wofür singt man Halleluja! – ganz bequem in jene gucken und sich an all dem Teufelselend gehörig auch ergötzen kann, durch alle Ewigkeit, wie höchste Kirchenleuchten lehren.
Alles schwer vorstellbar für unsern schwachen menschlichen Verstand. Aber es ist so. Die nackte Realität. Kurz und gut, so haut er eines Tages auf die Pauke, – haut – warum erst jetzt? Warum nicht früher schon? Nicht später? Warum, warum! In seiner Weisheit wußte er warum, ja, jetzt, jetzt wollte er, nach langer Lethargie ein ungeheurer Tatendrang, und haut, in schöpferischer Schaffenslust, das Universum kühn heraus; ob gleich komplett, ob erst im Ei, ob mit großem Knall, ob ohne, das alles, gott, ist eitles Klügeln, Spintisieren, vage Wissenschaft von Menschenköpfen, heute so und morgen so. Was zählt, sind Fakten. Und Faktum ist: alles war bestens geraten. Authentisch bezeugt. Und bloß Fieslinge, Mieslinge, zehnmal scheiterhaufenreife Kerle, denen nichts wunderbar, nichts heilig ist, selbst das Heiligste nicht, können da leugnen. Denn war der alte Herr allmächtig, konnte er alles. War er allgütig, wurde auch alles gut – ein sonnenklarer Fall.
Doch – der Mensch denkt, und Gott lenkt. Die ganze Sache, wie bekannt, ging restlos in die Binsen. Ja, obwohl alles von dem Allerbesten, Allermächtigsten, Alleswissenden, obgleich es ganz und gar aus ihm und nur aus ihm, aus wem auch sonst, direkt emanierte, kam einfach Furchtbares, Erschreckendes heraus. Kaum zu glauben, wahrhaftig! Die Sterne zwar leuchteten edel, die Sonne schien ohn’ Fehl und Arg – aber darunter: Hurerei und Greuel, Ungehorsam, Apfelbiß, Schlangengift, Erbschuld etc. etc. Und der alte Herr, der all dies ja seit Ewigkeit vorausgewußt, der es, spielend, hätte verhindern können, doch nicht verhindern wollte in seiner Weisheit, der ersäufte, der Allerbarmende, die ganze Chose, die mißratene, Mensch und Tier (das ja unschuldig war: oder biß auch das Tier, ein weibliches vielleicht, ins Obst?!), ja, ersäufte alles kurzerhand, ein göttliches Spektakel ohnegleichen, die erste und bis heute radikalste Endlösung der Welt.
Doch schließlich, er hatte sich genug gelangweilt. Auch Geduld gezeigt genug, fürwahr, einmalige Geduld. Überhaupt: Einmalige Umstände. Denn sonst, ich meine – die braunen Bestien wurden in Nürnberg gehängt. Und Stalin marschiert als Bluthund durch die Geschichte. Und sie alle, samt und sonders, hatten doch nur einen, ich meine bloß, vergleichsweise kleinen Teil unserer Rasse liquidiert – der gute alte Herr aber alles, die ganze Menschheit, mit Stumpf und Stiel, alles hinab in den Orkus … er, der Beste, der alles so gut macht. «Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl» – jawohl, sehr wohl: Noah jedenfalls, Käptn Noah samt Family und Viehstall, alles, danke, bestens wohlauf. Und so beginnt alles von vorn. Und alles, weißderteufel, mißrät wieder, trotz Allmacht und Allgüte und Allwissenheit – ein großes Mysterium des alten Herrn ist dies, mit dem unser Verstand nicht fertig wird.
Immerhin kommt nun kein globales Ersäufnis mehr, denn der alte Menschheitsmörder, der Vollkommene, hat aus dem Fehlschlag gelernt. Und da er voraussieht, daß er im Vergleich mit den erwähnten Starbanditen schlecht abschneidet, was sage ich, katastrophal, versucht er es statt des großen Ersäufnisses jetzt mit der großen Erlösung. Nicht mehr die ganze Menschheit wird liquidiert, nein, nur einer, ein wahrhaft göttlicher Ausgleich.
Der Massakerist wird nun Wohltäter, der Sadist Seligmacher, erst alles in die Pfanne, dann alles wieder rausgehauen, Noahs Nachkommen natürlich nur, der traurige Rest seit der Sintflut, durch den lieben Heiland gerettet. Durch wen?
Na, durch den Jungen des alten Herrn, den Sohn. Der gerät erst jetzt ins Zwielicht der Geschichte, in Wirklichkeit aber, in Wirklichkeit ist der Junge so alt wie der Alte, wie der Ersäufergott, denn er ist eigentlich der Ersäufergott. Und ist doch der Ersäufergott nicht. Nicht ganz und doch ganz. Oder vielmehr: ein ganz anderer und doch derselbe. Ein großes Geheimnis wieder.
Aber wäre alles so klar, so glatt, so platt, wer sollte es denn dann noch glauben. Es wäre ja gar keine Kunst mehr zu glauben. Na eben. Doch so ist es eine Kunst. Zwei Personen, aber gleichsam in einer. Und da aller guten Dinge drei sind, wird die Zweite Person durch eine Dritte Person gezeugt, die freilich schon die Erste Person ist. Auch die Erste. Ebenso die Zweite. Und doch bringt die Dritte die Zweite hervor – durch das Schwängern einer Schreinermeistersgattin in Palästina. Ob nun durch ’s Ohr oder durch andere Kanäle: Die Wege des Herrn sind wunderbar.
Um so wunderbarer, als ja die Frau jenes Zimmermanns, laut Bibel, nicht nur die Zweite Person, sondern noch weitere (allerdings viel profanere) Personen gebar und gleichwohl, längst nichts Neues mehr damals, Jungfrau blieb, Jungfrau und Mutter, und ihre eigene Mutter, die hl. Anna, derart, heiligemutteranna, die Großmutter der Ersten Person, des Weltschöpfers, die Großmutter Gottes wurde, Jesusmariaundjoseph! Ein weites, ein wunderbares Feld. Doch wie auch immer: die besondere Begabung der Dritten Person, ihre ganz spezifische, ist das Schwängern, das Befruchten, auch im Geistigen, geblieben. Zum Beispiel das Erleuchten der Schreiber des Neuen Testaments. Ganz «irrtumslos» wurde es so, wie durch die hl. Väter und die Theologen «einmütig» bezeugt und vom kirchlichen Lehramt wiederholt bekräftigt. Oder das Erleuchten der Jünger Jesu an Pfingsten, worauf sie, die Analphabeten, alle Sprachen beherrschten (vielen auch bloß besoffen schienen). Die Dritte Person hätte die ganze Welt erleuchten, bekehren können, mit einem Schlag, nur durch einen Willensakt. Doch das wollte die Dritte Person nicht, obwohl es das Einfachste gewesen wäre und so viele gerettet hätte für immer, die nun für immer verdammt sind und Höllenqualen leiden, die Ärmsten. Dafür aber haben nun die Prälaten ihre Pfründe, das ist viel wichtiger.
Ja, die Dritte Person erleuchtete nur Auserwählte. Manchen heiligen Papst, zum Beispiel. Oder manchen heiligen Inquisitor, der dann desto eifriger die Scheiterhaufen zum Erleuchten brachte, ein besonders schöner Erleuchtungsakt.
Alle jedenfalls wollte der alte Herr nicht erleuchten, auf keinen Fall – wofür hatte er schließlich, seit Ewigkeit, die Hölle geplant mit all ihren Einrichtungen. Nein, nur keine Fehlinvestitionen mehr. Bloß kleinere Wunder ließ er den Sohn, die Zweite Person, wirken, ein bißchen auf dem Wasser wandeln, Tote auferwecken und so, alltägliche Mirakel fast, von vielen seinerzeit vollbracht – statt einfach alle zu bekehren, durch ein gewaltiges Miraculum, was, wie gesagt, der Menschheit viel erspart hätte. Und dem Sohn auch. Der Römer Pilatus wollte den Sohn nicht umbringen, nein. Er wollte – wir wären um alles gekommen! – ihn laufen lassen und wusch seine Hände in Unschuld. Und auch der Sohn wollte nicht sterben. Nein, er betete zu Gott, zu sich selber, daß diese blutrünstige Sache an ihm vorübergehe.
Doch nichts half, und so gehorchte die Zweite Person der Ersten und, darf man vermuten, wohl auch der Dritten, obgleich das ohnedies alles eins ist, Jacke wie Hose, auch wenn nur die unglückselige Zweite den Kopf dafür hinhielt. Nicht für ihre Schuld bekanntlich, für unsere! Dadurch aber erlöste sie die Menschheit. Das heißt nicht jene, die schon vordem starb. Pech gehabt. Doch auch die mit der Gnade der späten Geburt fuhr danach zum größten Teil noch weiter hinab in die Hölle, trotz aller Erlösung, die der Allwissende, Allgütige, Allmächtige auch für sie vorgesehen. Die Erlösung. Und die Hölle. Beide. Gott denkt weiter.
Das ist es. Und trotzdem: selbst für die große Mehrheit das Blut, das kostbare, umsonst verspritzt. Denn noch ist der Rest auch jetzt nicht ganz erlöst. Gar viel bedurfte es noch immer an Sakramentalem und Heilstaten, an Riten und Raten (in natura oder bar) für jene, für die doch nur eines not sein sollte. Ja, der Taufe, zum Beispiel, bedurfte es noch, der hl. Beichte, der hl. Kommunion, des Meßbesuchs am Sonntag wenigstens – HEILIGE MESSE, so signalisieren manche Orte heute gleich am Eingang ihre Geisteskraft. Auch der hl. Ölung etwa bedarf es noch (der «Abschmierung», interner Sprachgebrauch), zuletzt wenigstens, zum guten Schluß, sozusagen.
Ja, vieles kam hinzu, wahrhaftig, wovon wenig oder gar nichts in der Bibel steht, kein Wort. Wer jedoch immer wieder Abweichungen vom Evangelium beklagt, verkennt, daß Jesus und seine Jünger theologisch noch in den Kinderschuhen steckten und erst viel später die Päpste deutlich zu sagen vermochten, was der Erlöser und seine Apostel eigentlich gemeint, was sie vielleicht nicht so gesagt oder ganz anders gesagt oder überhaupt nicht gesagt haben, weil sie es noch nicht besser oder gar nicht sagen konnten, aber sicher sagen wollten und auch gesagt hätten, wären sie schon so schlau gewesen wie die Päpste. (…)
Karlheinz Deschner http://www.deschner.info/
Am 13. Juni 1993 fand in Darmstadt die Verleihung des von Walter Steinmetz gestifteten Alternativen Büchnerpreises an Karlheinz Deschner statt. Dabei wurde von einem Rezitator auch dieser Text verlesen, für diesen Abdruck gekürzt. Die Überschrift ist ein Zitat von Wilhelm Raabe.
Aus: http://www.rowohlt.de/fm/634/Deschner_zu_Band_10.pdf
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