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Dawkins Religionskritik basiert auf Science Fiction

Verfasst: Mittwoch 18. Juni 2014, 23:07
von Christel
In seinem 1976 erschienen Welt-Bestseller hatte Dawkins das aufsehenerregende Konzept der "Memetik" ins Leben gerufen. Seine gewagte These: Wie sich Gene als biologische Information per Fortpflanzung verbreiten, entstanden Meme als kulturelle Informationseinheiten, die sich über Nachahmung verbreiteten. Heißt konkret: Ideen, Meinungen oder Weltanschauungen springen als unsichtbare Meme von Kopf zu Kopf und verbreiten sich so in der Welt. Seine Mem-Theorie nutzt Dawkins seither auch als Vehikel für Religionskritik. So sind für ihn religiöse Überzeugungen "Viren", die von den "erkrankten" Menschen Besitz ergreifen. Mit seiner Theorie gelang Dawkins ein Mediencoup, der heute noch in unserer Alltagskultur spürbar ist. So werden sich schnell verbreitende Internet-Videos und -Bilder als Meme bezeichnet. Für den emeritierten Papst ist diese Theorie aber nichts als Unfug.

Rückendeckung bekommt Benedikt vom renommierten Evolutionsforscher und Religionswissenschaftler Michael Blume. Der Experte für Evolutionsbiologie der Religiosität (Buch: "Gott, Gene und Gehirn") betont: "Mit seiner Aussage, dass Richard Dawkins auch 'Science Fiction' vertritt, hat Papst Benedikt XVI. völlig Recht." So handle es sich bei Dawkins Memetik längst nicht mehr um eine haltbare, wissenschaftliche These. "Trotz zahlreicher Versuche konnte ein 'Mem' nie definiert und keine einzige empirisch haltbare Studie dazu veröffentlicht werden."

Fast 40 Jahre nachdem Dawkins seine Mem-Theorie erstmals verkündete, ist diese laut Blume reif für ihre Entsorgung. Eine eigene Fachzeitschrift, das "Journal of Memetics", musste mangels Substanz wieder eingestellt werden. Nach einer Konferenz zur Evolutionsforschung in Bristol 2010 widerrief auch die letzte, bedeutende "Memetikerin" Susan Blackmore diesen Ansatz und erklärte in der englischen Zeitung "The Guardian", warum entgegen Dawkins Theorie Religion kein Virus sein kann.
Mehr:
http://www.merkur-online.de/aktuelles/w ... 33180.html

Re: Dawkins Religionskritik basiert auf Science Fiction

Verfasst: Donnerstag 19. Juni 2014, 10:42
von Heinrich5
Dawkins Mem-Theorie hat mich bisher noch nicht interessiert. Zu behaupten, das diese Theorie Science Fiction ist, ist allerdings mehr als kühn. Siehe hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Mem Es gibt etliche Naturwissenschaftler, welche Dawkins zustimmen. Dawkins Religionskritik basiert auch zum geringsten Teil auf dieser Mem-Theorie. Die Mem-Theorie wird zudem für eine Religionskritik nicht benötigt. Die Überschrift ist also wieder einmal irreführend.

Dawkins überzeugt mich hinsichtlich seine Kritik am Gott der Bibel. Die Theologie hatte 2.000 Jahre lang jede Menge Gelegenheiten gehabt, die Existenz eines so widersprüchlichen Wesens, wie dem biblischen Gott, nachzuweisen - z.B. durch unwiderlegbare Wunder - und zum anderen zeigen die real existierenden Auswirkungen gelebten Glaubens, dass dieser Gott, ob existent oder nicht, niemandem guttut. Falls er also doch existieren sollte, sollte sich Widerstand auf der Erde rühren, um gegen diesen Theokraten (Monster des Alten Testaments viewtopic.php?f=10&t=3822 ) vorzugehen.
„Der Gott des Alten Testaments ist die unangenehmste Gestalt der gesamten Dichtung: eifersüchtig und auch noch stolz darauf; ein kleinlicher, ungerechter, nachtragender Überwachungsfanatiker; ein rachsüchtiger, blutrünstiger ethnischer Säuberer; ein frauenfeindlicher, homophober, rassistischer, Kinder und Völker mordender, ekliger, größenwahnsinniger, sadomasochistischer, launisch-boshafter Tyrann."
Richard Dawkins

Re: Dawkins Religionskritik basiert auf Science Fiction

Verfasst: Donnerstag 19. Juni 2014, 22:04
von Christel
Heinrich6 hat geschrieben:Dawkins Mem-Theorie hat mich bisher noch nicht interessiert.
Mich auch nicht. Ich habe es zur Kenntnis genommen und für Blödsinn gehalten, nicht wert sich intensiver damit zu beschäftigen.

Papst Benedikt ist ein Analytiker und fleißiger Arbeiter. In seinen Büchern findet man häufig nicht nur Benedikts Thesen, er erläutert auch andere Meinungen.

So viel weiß ich über die Mem-Theorie, welche Dawkins in seinem Buch „Das egoistische Gen“ vertritt, im Gegensatz zu Dawkins meine ich, Gene sind nicht egoistisch und Meme gibt es nicht. Was es nicht gibt, kann man auch nicht wie Viren weitergeben.

Dawkins sieht das anders:
Meme als Replikator der kulturellen Evolution weisen eine begrenzte Analogie zu anderen Replikatoren auf. Neben den Genen werden von Dawkins auch Viren, Computerviren oder Prionen genannt. Im Analogieschluss werden Prozesse der kulturellen Replikation – wie in der Evolutionstheorie – ebenfalls mit Variation und Selektion erklärt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Mem
So analysiert Dawkins: …
Ein Kinderhirn ähnelt insofern einem Computer, der auch dann noch die Instruktionen brav befolgt, wenn es sich bei dem Programm um ein schädliches Virus handelt. Für Dawkins sind viele religiöse Ideen Geistesviren, die man uns eingepflanzt hat, als wir noch absolut autoritätshörig waren. Wenn wir als Erwachsene allmählich zur Vernunft kommen, müssen wir uns mühsam von dieser Infektion befreien. http://www.tagesspiegel.de/wissen/relig ... 44766.html
Mich erinnert das schon an Science Fiktion.
Außerdem, Richard Dawkins wäre nicht der erste „Science Fiktion Autor“, der erfolgreich eine neue Weltanschauung gründet.

Re: Dawkins Religionskritik basiert auf Science Fiction

Verfasst: Freitag 20. Juni 2014, 02:55
von Heinrich5
Was hat dein Geschreibsel mit Dawkins Religionskritik zu tun? :roll: Siehe deine Überschrift. Dawkins Religionskritik kommt auch ohne die Mem-Theorie aus. Die Mem-Theorie ist nicht die Basis seiner Religionskritik. In seinem Bestseller "Der Gotteswahn" spielt die Mem-Theorie nur eine unbedeutende Nebenrolle.
Dawkins wollte mit dem Mem-Konzept vor allem den universellen Charakter der Darwinschen Evolutionstheorie verdeutlichen und zeigen, dass Gene nicht die „einzigen Angehörigen jener wichtigen Klasse der Replikatoren sind“, betonte dabei aber den spekulativen Charakter der Idee. Mittlerweile gibt es einige Wissenschaftler, die sich in der neuen Forschungsrichtung der Memetik mit dieser Form von Replikatoren befassen und Meme als tatsächliche Replikationseinheiten der kulturellen Evolution akzeptieren. Ein bekannter Vertreter der Memtheorie ist zum Beispiel Daniel Dennett
Es gibt auch Kritik an dieser Theorie:
Wissenschaftliche Kritik an seinen biologischen Thesen wurde u. a. von den, ebenfalls atheistischen, Wissenschaftlern David Sloan Wilson, Stephen Jay Gould und Scott Atran vorgebracht. Letzterer kritisiert vor allem den Begriff des Mems vor dem Hintergrund moderner Kognitionstheorien.
In empirischen kognitionspsychologischen Studien versucht Atran zu zeigen, dass in Kommunikationsprozessen eine Replikation von Ideen durch Imitation die Ausnahme und nicht die Regel ist; deshalb sei die Verbreitung und Entwicklung von Ideen mit der Verbreitung und Evolution von Genen nicht vergleichbar
http://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Dawkins

Daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass Dawkins Religionskritik auf Science Fiction basiert ist schlicht und ergreifend falsch.

Ratzinger hat auch nicht gesagt, dass Dawkins Religionskritik auf Science Fiction basiert sondern er hat bezüglich der Mem-Theorie Dawkins gesagt, dass er auch 'Science Fiction' vertritt. Damit muss Ratzinger nicht unbedingt recht haben.

Re: Dawkins Religionskritik basiert auf Science Fiction

Verfasst: Sonntag 14. Dezember 2014, 23:18
von mar
Merkur:
Fast 40 Jahre nachdem Dawkins seine Mem-Theorie erstmals verkündete, ist diese laut Blume reif für ihre Entsorgung. [...] Nach einer Konferenz zur Evolutionsforschung in Bristol 2010 widerrief auch die letzte, bedeutende "Memetikerin" Susan Blackmore diesen Ansatz und erklärte in der englischen Zeitung "The Guardian", warum entgegen Dawkins Theorie Religion kein Virus sein kann.
Susan Blackmore im Guardian (den Link findet man im Merkur-Artikel):
Dies passierte auf einer Konferenz in Bristol über "Religion Erklären". [...] Ich sprach zuerst und präsentierte die Ansicht der Memetik, dass Religionen als Nebenprodukt beginnen, aber sich dann entwicklen und ausbreiten wie Viren, indem sie Menschen benutzen um sich selbst fortzupflanzen, zum eigenen Vorteil und zum Nachteil der Leute, die sie infizieren. [Anm.: es folgt eine kurze Erläuterung von Dawkins Idee] [...] Dies war alles in meinem Kopf als Michael Blume aufstand um zum Thema "Der reproduktive Vorteil von Religion" zu sprechen. Mit Diagramm nach überzeugendem Diagramm zeigte er, dass überall auf der Welt und in vielen verschiedenen Zeitaltern religiöse Leute viel mehr Kinder hatten als nichtreligöse Leute. [Anm.: es folgt eine Erläuterung der Daten] [...] All das legt nahe, dass religiöse Meme aus der Sicht menschlicher Gene eher Anpassung fördern als viral zu sein [...]

Re: Dawkins Religionskritik basiert auf Science Fiction

Verfasst: Montag 15. Dezember 2014, 11:00
von niels
Die Grundidee der Memetik, das sich evolutionäre Erfahrungen nicht nur über die Memetilk, sondern auch Umweltbedingungen bis hin zu sozialen Interaktionen über Generationen "fortpflanzen" (wie verfielfältigen) ist schon aufgrund eingehenderer Beobachtungen nicht mehr von der Hand zu weisen. Allerdings zeigen vor allem jüngere und jüngste Erkentnisse aus der Genetik, das genetische wie mnemetische Einflüsse wesentlich ausgeprägtere Wechselwirkungen zeigen, als dies noch vor Jahren gesehen wurde. So wurde inzwischen nachgewiesen, das selbst innerhalb einer Generation durch Umwelteinflüsse (->mnemetische Einflüsse) genetische Erbinformationen zB derart verändert werden können, das bisher inaktive (scheinbar "nutzlose") Segmente der DNA Sequenz "(re-)aktiviert" werden oder bisher aktive "deaktiviert", wobei diese Veränderung wiederum genetisch wie mnemetisch vererbbar ist.

Ein großer Fehler in der Interpretation der Funktionsweise von DNA war (und ist es bei manchen Wissenschaftler auch bis heute noch), diese - um die Terminologie der IT zu benutzen - als eine Art statische, rein serielle Programmsequenz zu betrachten - eine Betrachtungsweise, die offensichtlich nicht funktionierte und für deren fortlaufende Korrektur es in den letzten Jahren auch Nobelpreise gab. Ebendiese fehlerhafte Interpretation aber war es, die nicht wenige Religiöse dazu verleitete, den "Unsinn" der Darwin (!)schen Evolutionstheorie zu belegen.

Vielmehr ist sie jedoch mit der von teildynamischer, objektorientierter Algorithmik bekannten Prinzipien vergleichbar, wobei durch "Schalter" / " Weichensteller" Umwelteinflüsse nicht nur den "Programmablauf" in einem Individuum binnen einer Generation verändern, sondern auch über diese hinweg beeinflussen können. "Erbinformationen" sind demnach wesentlich dynamischer und "anpassungsfähiger", als dies zuvor bekannt war.

Was allerdings nicht funktionieren kann, ist das, was heute als "Religion" bezeichnet wird, mittels Naturwissenschaft und deren prinzipien (Evidenz und Ratio) zu "belegen", da ebendiese Religion ja Wert darauf legt, irrational zu sein, weil rational nicht betrachtbar. Daher gleicht schon der Versuch der Naivität der Idee, sich selbst auf den Kopf klettern zu wollen...

Re: Dawkins Religionskritik basiert auf Science Fiction

Verfasst: Montag 15. Dezember 2014, 17:06
von Christel
niels hat geschrieben:Was allerdings nicht funktionieren kann, ist das, was heute als "Religion" bezeichnet wird, mittels Naturwissenschaft und deren prinzipien (Evidenz und Ratio) zu "belegen", da ebendiese Religion ja Wert darauf legt, irrational zu sein, weil rational nicht betrachtbar. Daher gleicht schon der Versuch der Naivität der Idee, sich selbst auf den Kopf klettern zu wollen...
Seit wann sind Evidenz und Ratio rein naturwissenschaftliche Prinzipien?
Seit wann legt Religion Wert darauf irrational zu rein?
Wieso sollte Religion rational nicht brachtbar sein?

Der christliche Glaube ging von Beginn an Hand in Hand mit der Philosophie. Er war immer gleichermaßen wichtig für Herz und Verstand!
Christlicher Glaube ist nur mit Herz und Verstand möglich. Ich lege Wert darauf mit Herz und Verstand zu glauben. Auch Evidenz und Ratio spielen hierbei eine Rolle.

Re: Dawkins Religionskritik basiert auf Science Fiction

Verfasst: Montag 15. Dezember 2014, 19:06
von mar
Eigentlich wollte ich mit dem Post auf den alten Thread darauf hinweisen, dass (1) Franz Rohleder im Merkur ganz unverfroren mit Herz und Verstand den Eindruck zu erwecken versucht, dass Susan Blackmore die komplette Memetik widerrufen hat und dass (2) der vom Merkur als Papstverteidiger gerühmte Michael Blume auf der Konferenz in Bristol eindrücklich gezeigt hat, wie die Religionen mit Herz und Verstand üperproportional zum Bevölkerungswachstum beitragen.

Susan Blackmore ist manchmal etwas schrill, aber eigentlich mag ich sie ganz gern. Sie lehrt immer noch Memetik und erst kürzlich haben hundert Jugendliche angewidert eine Ihrer Vorlesungen verlassen, weil sie nicht bereit waren, ihr Herz und ihren Verstand in eine Diskussion einzubringen.

Ansonsten: Seit wann sind Evidenz und Ratio rein naturwissenschaftliche Prinzipien? Weiss nicht, hat aber auch niemand behauptet. Seit wann legt Religion Wert darauf irrational zu rein? Zumindest die römische Kirche hat ein Problem damit, irrational genannt zu werden. Deswegen winden sich ihre Vertreter ja so gerne in spitzfindigen Texten um dieses Problem herum (z. B. in Fides et Ratio). Wieso sollte Religion rational nicht b[et]rachtbar sein? Sie ist rational betrachtbar, z. B. hier.

edited to add: Hier ist übrigens der Brief von Benedikt an Odifreddi in Auszügen. Ich kann kein Italienisch. Aber nach dem, was ich mir zusammenreime, ist Benedikt ausgesprochen höflich, respektvoll und benutzt den Begriff Science-Fiction (la fantascienza) immer allerbesten Sinne: im Rahmen der Wissenschaft über Theorien zu spekulieren und ihren Fortschritt voranzutreiben. Er reiht dabei Dawkins ein neben die anerkannten Wissenschafts-Philosophischen Klassiker von Heisenberg, Schrödinger und Monod. Über Dawkins sagt er: "Das egoistische Gen von Richard Dawkins ist ein klassisches Beispiel der Science-Fiction". Und damit meint er das Konzept und nicht den Buchtitel. Ich kann hier tatsächlich etwas von Herz und Verstand erkennen und denke er (oder seine Berater) charakterisieren Dawkins Konzept sehr treffend. Von Memen ist im Papstbrief gar nicht die Rede. Der Merkur-Journalist in seiner beflissenen Unterwürfigkeit gibt Susan Blackmore falsch wieder, konstruiert einen Zusammenhang zur Memetik, der nicht existiert, verzerrt die Intention von Benedikt und verpasst darüberhinaus noch den besten Witz; Dawkins schreibt nämlich im Vorwort zur 1976er Ausgabe von The Selfish Gene: "This book should be read almost as though it were science fiction. It is designed to appeal to the imagination." Ich hoffe, dass der "anzüglich grinsende alte Schurke in einem Kleid" (angeblich so genannt von Dawkins) wenigstens darüber heimlich geschmunzelt hat.

Re: Dawkins Religionskritik basiert auf Science Fiction

Verfasst: Dienstag 16. Dezember 2014, 19:55
von mar
Äh, niels, kann es sein, dass du Mneme (Richard Semon, 1921) und Mem (Richard Dawkins, 1976) durcheinanderwirfst?