Das Testament der Reformation
Verfasst: Samstag 29. Oktober 2016, 16:23
Ich möchte auf diesen sehr lesenswerten Text von Thomas Söding in "CHRIST IN DER GEGENWART" zur neuen Lutherbibel hinweisen, solange er noch im Internet steht.
Mehr zur neuen Lutherbibel: http://www.christ-in-der-gegenwart.de/a ... tikel_htmlDie Lutherbibel ist überarbeitet worden - und erzeugt einen Spannungsbogen zwischen sprachgewaltiger Tradition und heutigem Deutsch.
Am 31. Oktober, dem Reformationsfest 2016, beginnt das lang angekündigte Lutherjahr, das Jubiläum von 500 Jahren Reformation. Was aber soll gefeiert werden? Der Thesenanschlag, den hunderte heroische Bilder vor Augen stellen, hat (wahrscheinlich) gar nicht stattgefunden. Die Ablasskritik, die Luther 1517 formulierte, ist (wahrscheinlich) gar nicht reformatorisch, sondern reformkatholisch. In den vergangenen zehn Jahren ist von Seiten der Evangelischen Kirche in Deutschland, aber auch der Bundesregierung, die ein gemeinsames Kuratorium „Luther 2017“ ins Leben gerufen haben, so getan worden, als ob alle Errungenschaften der Neuzeit auf die Reformation zurückzuführen seien, von der Bildung bis zur Kultur, von der Vielfalt bis zur Freiheit, vom Rechtsstaat bis zur Toleranz. Einer nüchternen Prüfung hält keine dieser Ideen stand.
Deshalb braucht aber niemand ernüchtert zu sein. Die Reformation ist ein religiöser Aufbruch, der eine aufgeschlossene katholische Antwort verdient hätte. Für diesen Aufbruch gibt es kein deutlicheres Zeichen als die Lutherbibel. Sie ist zwar nicht schon 1517 herausgekommen; sie ist aber der wichtigste Beitrag der Reformation zu einer Reform der Kirche bis heute. Sie lässt den frischen Ton eines begnadeten Dolmetschers hören, der sich auf seine profunden Bibelkenntnisse und sein brillantes Deutsch verlassen konnte. An der Leidenschaft, der Tiefe und Treffsicherheit der Lutherbibel lässt sich am besten ablesen, welcher Geist der Reform in der katholischen Kirche damals hätte wehen können und heute wehen müsste: ein Feuer des Glaubens, das Erstarrtes auftaut, ein Ernst der Religion, der vom Anfang des Evangeliums inspiriert ist, eine Fähigkeit, sich auszudrücken, die nicht „Perlen vor die Säue“ wirft (Mt 7,6), sondern das Heilige in die Welt trägt.
Die Evangelische Kirche in Deutschland setzt ein Zeichen, wenn sie an diesem Sonntag ihr Jubeljahr mit der Vorstellung der revidierten Lutherbibel beginnt. Schauplatz ist Eisenach, unweit der Wartburg, auf der Martin Luther 1521/22 die erste Version des Neuen Testaments erstellt hat. Das hat Stil: Die evangelische Kirche besinnt sich auf ihre Kernkompetenz. Das nötigt von katholischer Seite Respekt ab. Dass auch die Einheitsübersetzung frisch renoviert worden ist, wird längst nicht so gefeiert.
Eine schwierige Aufgabe
Die Lutherbibel ist ein Markenzeichen des deutschen Protestantismus. Das macht den Umgang mit ihr nicht leichter. Einerseits kann heute, von Experten abgesehen, niemand mehr die Lutherbibel im Original lesen, weil sich die deutsche Sprache in einem halben Jahrtausend stark verändert hat. Andererseits ist es aber gerade das Lutherdeutsch, das sie attraktiv und faszinierend macht, jedenfalls für die große Mehrzahl der Evangelischen, während die meisten Katholiken bis heute fremdeln. Wie aber soll beides zusammengehen: Treue zu Luther einerseits und Verständlichkeit heute andererseits?
Aber damit nicht genug: Luther will ja die Bibel selbst zu Wort kommen lassen. Er hat - zuerst allein, dann im Team - aus den Originalsprachen Griechisch und Hebräisch übersetzt. Der Protestantismus kennt ein Schriftprinzip, das nicht der Tradition, sondern der Bibel selbst die entscheidende Rolle zumisst. Was aber heißt dann eine „Durchsicht“ der Lutherbibel? Was ist, wenn Luther nicht nur unverständlich geworden ist, sondern falsch übersetzt hat? Was ist, wenn er gar nicht den ursprünglichen Text der Bibel als Basis genommen hat, sondern eine Fassung, die zu seiner Zeit gut war, heute aber überholt ist, weil sie sich als spätere Überlieferungsform herausgestellt hat?