Filmkritik »Silence«
Verfasst: Donnerstag 2. März 2017, 08:39
Inquisition gegen Inquisition
Regisseur Martin Scorsese betätigt sich in seinem Film »Silence« nicht als Chronist oder Historiker, sondern als katholischer Glaubenskrieger, der sich in einem dreistündigen Missionarsdrama eindeutig gegen die asiatische buddhistische Kultur stellt.
Martin Scorseses Lebenswerk ist herausragend - aber nicht ohne Schwächen. Der begnadete Chronist italoamerikanischer Soziokultur und der Regisseur einiger der besten US-Thriller überhaupt leistete sich - gemessen an seinen zahlreichen Meisterwerken der ultrakonkreten urbanen Erzählkunst - auch schon bemerkenswert flache Ausflüge in den klebrigen Kitsch und donnernden Pathos des Religionsdramas, etwa mit »Kundun« (1997) oder »Die letzte Versuchung Christi« (1988). Mit »Silence« führt er nun diesen moralinsauren Seitenstrang seiner Karriere fort. Der Film kann zwar als wunderschön gefilmte Abenteuergeschichte mit guten Darstellern in grandiosen Landschaften überzeugen - seine politisch-religiösen Botschaften machen ihn aber dennoch schwer genießbar.
Die Priester Sebastien Rodrigues (Andrew Garfield) und Garrpe (Adam Driver) schleichen sich 1638 von Portugal aus in das von der westlichen Welt abgeschottete Japan. Sie wollen Gerüchte überprüfen, nach denen ihr Lehrer Cristóvão Ferreira (Liam Neeson) seinem Glauben abgeschworen habe.
Und die beiden christlich verblendeten Überzeugungstäter wollen die Japaner missionieren - heimlich und unter Lebensgefahr, denn nachdem katholische Christen einen Aufstand gewagt hatten, versuchten die japanischen Herrscher ihr Reich radikal von allen westlichen Einflüssen abzuschirmen.
Dies taten sie mit roher Gewalt, die auch im Film keineswegs zu kurz kommt, im Gegenteil: Die zahlreichen Morde an unschuldigen Christen und die detailliert beschriebenen und gezeigten Spielarten der Folter machen einen großen Teil des Films aus. Der Titel »Silence« beschreibt »Gottes Schweigen« angesichts dieser Gräuel.
Scorseses fast dreistündiges Missionarsdrama mag für Kinogänger nicht annähernd so quälend sein wie die Folterungen, die die beiden fanatischen Jesuiten in Japan bezeugen müssen, aber: Eine Form der Qual ist es doch. Und ein grober Versuch der christlichen Indoktrination. Denn der Kampf des Christentums gegen den Buddhismus wird hier nicht als Wettstreit zweier moralisch gleichberechtigter Machtblöcke mit ihren jeweiligen Lügengeschichten und Interessen geschildert.
Statt dessen wird uns mit viel Blut und Schmerz gezeigt, dass böse Buddhisten unschuldige Christen schlachten, obwohl die Missionare doch angeblich nichts anderes wollten, als »die Wahrheit« zu verbreiten.
Doch ist diese »Wahrheit« denn mehr als ein machtsicherndes, von europäischen Handlungsreisenden instrumentalisiertes Märchen unter vielen? Wenn nicht, so war die Abwehr des Christentums keine reine Angelegenheit blutrünstiger Sadisten. Statt dessen war sie eine strategische (zweifellos unnötig brutal umgesetzte) Entscheidung, gespeist aus einer historisch begründeten Angst vor der mannigfach bewiesenen gnadenlosen Intoleranz der Christen.
Aus heutiger Sicht waren die antichristlichen Pogrome in Japan ein eindeutiges Verbrechen gegen Menschlichkeit und Religionsfreiheit. Doch im 17. Jahrhundert? Wie wäre es wohl den Buddhisten ergangen, wenn sich statt der von Scorsese in blutigen Horrortönen gemalten japanischen Inquisition die christliche Inquisition in Asien durchgesetzt hätte? Ein Blick auf den christlichen Umgang mit der lateinamerikanischen Bevölkerung war den Japanern wohl Warnung genug. »Japan ist ein Sumpf, in dem das Christentum nicht gedeiht.« Dieser rassistisch gemeinte Satz der Jesuiten wird schließlich zur Losung der japanischen Religions-Nationalisten.
Scorsese möchte den Film wohl als Meditation zu der Frage verstehen, ob es moralischer ist, ohne Rücksicht auf Verluste zu einer Idee zu stehen, oder lieber abzuschwören und dadurch Leben zu retten. »Silence« beruht auf Shūsaku Endōs historischem Roman »Schweigen«. Interessanterweise war das Buch in den 60er Jahren in Japan insbesondere unter linksgerichteten Studenten populär. Laut Endō sahen sie in dem Konflikt zwischen Missionaren und japanischer Herrschaft Parallelen zu den japanischen Marxisten der 1930er Jahre, die von den Behörden gefoltert und zum »Tenko«, einer ideologischen Umkehr, gezwungen wurden.
Tatsächlich werden in zahlreichen Szenen japanische Konvertiten unter Folter gezwungen, dem Christentum abzuschwören, indem sie mit dem Fuß auf Christusbildnisse treten. Man steigt aber spätestens aus dem Film aus, wenn diese Jesusbilder (man will es kaum glauben!) plötzlich zu sprechen beginnen. Dadurch schlägt sich der Regisseur fast schon fundamentalistisch auf die christliche Seite und billigt dieser ein bizarr »reales« Fundament zu. Indem der Prophet seine müde und gequälte Stimme erheben darf, wird das christliche Märchen - allen Unkenrufen der Heiden zum Trotze - als »wahr« dargestellt.
Damit erhält die Schauergeschichte - genannt »Testament« - die Berechtigung, als koloniale Speerspitze der europäischen Terrorherrschaften in der ganzen Welt Verbreitung zu finden. Und damit schließt sich Scorsese direkt der anmaßenden Haltung der Film-Pfaffen aus dem 17. Jahrhundert an: Auf den Einwurf der Japaner, sie hätten schließlich schon eine eigene Religion, entgegnen diese, das »Verkünden der Wahrheit« dürfe von solchen Nebensächlichkeiten nicht eingeschränkt werden. Das Christentum ist in »Silence« also »die Wahrheit«, die nur wegen der Borniertheit sadistischer Japaner im »japanischen Sumpf« keinen Fuß fassen kann - mit solchen Botschaften betätigt sich Scorsese in »Silence« nicht als Chronist oder Historiker, sondern als Glaubenskrieger, der sich eindeutig gegen jene asiatische Kultur stellt, die er in »Kundun« noch mit bittersüßem Kitsch gefeiert hat.
Positiv müssen das Handwerk, die Kameraführung und die Darsteller hervorgehoben werden. Die atemberaubende Landschaft spielt eine Hauptrolle, oft ist sie menschenleer, verregnet und von dichten Nebelschwaden durchzogen. Die meisten internationalen Kritiker sind entsprechend hingerissen von »Silence« (auch von der christlichen Botschaft), während die »New York Post« noch nicht einmal dessen unterhaltsame Seite anerkennt: »Der Film wird uns mit seiner 30-jährigen Entstehungsgeschichte verkauft. Leider fühlt sich das Ansehen ebenso lange an.«
Von Tobias Riegel 02.03.2017
https://www.neues-deutschland.de/artike ... ition.html
Regisseur Martin Scorsese betätigt sich in seinem Film »Silence« nicht als Chronist oder Historiker, sondern als katholischer Glaubenskrieger, der sich in einem dreistündigen Missionarsdrama eindeutig gegen die asiatische buddhistische Kultur stellt.
Martin Scorseses Lebenswerk ist herausragend - aber nicht ohne Schwächen. Der begnadete Chronist italoamerikanischer Soziokultur und der Regisseur einiger der besten US-Thriller überhaupt leistete sich - gemessen an seinen zahlreichen Meisterwerken der ultrakonkreten urbanen Erzählkunst - auch schon bemerkenswert flache Ausflüge in den klebrigen Kitsch und donnernden Pathos des Religionsdramas, etwa mit »Kundun« (1997) oder »Die letzte Versuchung Christi« (1988). Mit »Silence« führt er nun diesen moralinsauren Seitenstrang seiner Karriere fort. Der Film kann zwar als wunderschön gefilmte Abenteuergeschichte mit guten Darstellern in grandiosen Landschaften überzeugen - seine politisch-religiösen Botschaften machen ihn aber dennoch schwer genießbar.
Die Priester Sebastien Rodrigues (Andrew Garfield) und Garrpe (Adam Driver) schleichen sich 1638 von Portugal aus in das von der westlichen Welt abgeschottete Japan. Sie wollen Gerüchte überprüfen, nach denen ihr Lehrer Cristóvão Ferreira (Liam Neeson) seinem Glauben abgeschworen habe.
Und die beiden christlich verblendeten Überzeugungstäter wollen die Japaner missionieren - heimlich und unter Lebensgefahr, denn nachdem katholische Christen einen Aufstand gewagt hatten, versuchten die japanischen Herrscher ihr Reich radikal von allen westlichen Einflüssen abzuschirmen.
Dies taten sie mit roher Gewalt, die auch im Film keineswegs zu kurz kommt, im Gegenteil: Die zahlreichen Morde an unschuldigen Christen und die detailliert beschriebenen und gezeigten Spielarten der Folter machen einen großen Teil des Films aus. Der Titel »Silence« beschreibt »Gottes Schweigen« angesichts dieser Gräuel.
Scorseses fast dreistündiges Missionarsdrama mag für Kinogänger nicht annähernd so quälend sein wie die Folterungen, die die beiden fanatischen Jesuiten in Japan bezeugen müssen, aber: Eine Form der Qual ist es doch. Und ein grober Versuch der christlichen Indoktrination. Denn der Kampf des Christentums gegen den Buddhismus wird hier nicht als Wettstreit zweier moralisch gleichberechtigter Machtblöcke mit ihren jeweiligen Lügengeschichten und Interessen geschildert.
Statt dessen wird uns mit viel Blut und Schmerz gezeigt, dass böse Buddhisten unschuldige Christen schlachten, obwohl die Missionare doch angeblich nichts anderes wollten, als »die Wahrheit« zu verbreiten.
Doch ist diese »Wahrheit« denn mehr als ein machtsicherndes, von europäischen Handlungsreisenden instrumentalisiertes Märchen unter vielen? Wenn nicht, so war die Abwehr des Christentums keine reine Angelegenheit blutrünstiger Sadisten. Statt dessen war sie eine strategische (zweifellos unnötig brutal umgesetzte) Entscheidung, gespeist aus einer historisch begründeten Angst vor der mannigfach bewiesenen gnadenlosen Intoleranz der Christen.
Aus heutiger Sicht waren die antichristlichen Pogrome in Japan ein eindeutiges Verbrechen gegen Menschlichkeit und Religionsfreiheit. Doch im 17. Jahrhundert? Wie wäre es wohl den Buddhisten ergangen, wenn sich statt der von Scorsese in blutigen Horrortönen gemalten japanischen Inquisition die christliche Inquisition in Asien durchgesetzt hätte? Ein Blick auf den christlichen Umgang mit der lateinamerikanischen Bevölkerung war den Japanern wohl Warnung genug. »Japan ist ein Sumpf, in dem das Christentum nicht gedeiht.« Dieser rassistisch gemeinte Satz der Jesuiten wird schließlich zur Losung der japanischen Religions-Nationalisten.
Scorsese möchte den Film wohl als Meditation zu der Frage verstehen, ob es moralischer ist, ohne Rücksicht auf Verluste zu einer Idee zu stehen, oder lieber abzuschwören und dadurch Leben zu retten. »Silence« beruht auf Shūsaku Endōs historischem Roman »Schweigen«. Interessanterweise war das Buch in den 60er Jahren in Japan insbesondere unter linksgerichteten Studenten populär. Laut Endō sahen sie in dem Konflikt zwischen Missionaren und japanischer Herrschaft Parallelen zu den japanischen Marxisten der 1930er Jahre, die von den Behörden gefoltert und zum »Tenko«, einer ideologischen Umkehr, gezwungen wurden.
Tatsächlich werden in zahlreichen Szenen japanische Konvertiten unter Folter gezwungen, dem Christentum abzuschwören, indem sie mit dem Fuß auf Christusbildnisse treten. Man steigt aber spätestens aus dem Film aus, wenn diese Jesusbilder (man will es kaum glauben!) plötzlich zu sprechen beginnen. Dadurch schlägt sich der Regisseur fast schon fundamentalistisch auf die christliche Seite und billigt dieser ein bizarr »reales« Fundament zu. Indem der Prophet seine müde und gequälte Stimme erheben darf, wird das christliche Märchen - allen Unkenrufen der Heiden zum Trotze - als »wahr« dargestellt.
Damit erhält die Schauergeschichte - genannt »Testament« - die Berechtigung, als koloniale Speerspitze der europäischen Terrorherrschaften in der ganzen Welt Verbreitung zu finden. Und damit schließt sich Scorsese direkt der anmaßenden Haltung der Film-Pfaffen aus dem 17. Jahrhundert an: Auf den Einwurf der Japaner, sie hätten schließlich schon eine eigene Religion, entgegnen diese, das »Verkünden der Wahrheit« dürfe von solchen Nebensächlichkeiten nicht eingeschränkt werden. Das Christentum ist in »Silence« also »die Wahrheit«, die nur wegen der Borniertheit sadistischer Japaner im »japanischen Sumpf« keinen Fuß fassen kann - mit solchen Botschaften betätigt sich Scorsese in »Silence« nicht als Chronist oder Historiker, sondern als Glaubenskrieger, der sich eindeutig gegen jene asiatische Kultur stellt, die er in »Kundun« noch mit bittersüßem Kitsch gefeiert hat.
Positiv müssen das Handwerk, die Kameraführung und die Darsteller hervorgehoben werden. Die atemberaubende Landschaft spielt eine Hauptrolle, oft ist sie menschenleer, verregnet und von dichten Nebelschwaden durchzogen. Die meisten internationalen Kritiker sind entsprechend hingerissen von »Silence« (auch von der christlichen Botschaft), während die »New York Post« noch nicht einmal dessen unterhaltsame Seite anerkennt: »Der Film wird uns mit seiner 30-jährigen Entstehungsgeschichte verkauft. Leider fühlt sich das Ansehen ebenso lange an.«
Von Tobias Riegel 02.03.2017
https://www.neues-deutschland.de/artike ... ition.html