Leonard Cohen’s Art von Religiosität
Verfasst: Samstag 10. August 2024, 23:30
Nachdem sich Cohen in Kanada bereits mit Gedichten und Romanen einen Namen gemacht und mit dem Kultroman Beautiful Losers (1966) einen internationalen Bestseller gelandet hatte, veröffentlichte er 1967 sein erstes Album, Songs of Leonard Cohen. Die kommerziell erfolgreiche Platte mit Folksongs machte ihn international bekannt und leitete eine fast 50 Jahre andauernde Musikkarriere ein. Während seines künstlerischen Wirkens von 1956 bis 2016 schrieb Cohen zahlreiche Gedichtsammlungen und Romane und brachte 14 Studioalben sowie einige Livealben und Kompilationen heraus. Das letzte Album You Want It Darker erschien im Oktober 2016, kurz vor seinem Tod.
In seinem musikalischen Werk werden existenzielle Fragen zu Liebe, Freundschaft, Lebenssinn, menschlichem Leid, Tod und Spiritualität thematisiert.
Cohen erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen, darunter neun Juno Awards, den Order of Canada, den Ordre national du Québec sowie den Prinz-von-Asturien-Preis in der Sparte Literatur und 2015 den Preis der deutschen Schallplattenkritik im Bereich Pop, Rock und Jazz für sein Lebenswerk. 1991 wurde er in die Canadian Songwriters Hall of Fame, 2006 in die Canadian Music Hall of Fame und 2008 in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen. 2018 wurde Leonard Cohen posthum ein Grammy verliehen.
Leonar Cohen’s: „Hallelujah“
https://www.youtube.com/watch?v=YrLk4vd ... rt_radio=1
Dieses Lied, das meistgecoverte der Welt, ist zu Leonard Cohens Vermächtnis geworden. Über drei Jahrzehnte hat er immer wieder die Verse verändert, der gebrochene Jubel blieb. Was verbirgt sich hinter „Hallelujah“?
Doch mit dem „Hallelujah“ ist kein leichtes Zurechtkommen. Cohen hat das Lied zuerst 1984 auf dem Album „Various Positions“ veröffentlicht. Es brauchte eine ganze Weile, wie zur Inkubation. Nicht nur für ihn selbst war das so. Fünf Jahre, heißt es in der Biographie, die Sylvie Simmons 2012 noch zu seinen Lebzeiten veröffentlichte, hat er am „Hallelujah“ geschrieben, immer wieder Verse verworfen, neue gefunden. Es muss ihm ums Ganze gegangen sein.
Will man Zusammenhänge begrifflicher Art verstehen, ist es stets hilfreich, im „Grimmschen Wörterbuch“ nachzuschauen; dort steht für „HALLELUJAH, halleluja, der hebr. jubelruf preiset gott, der aus den psalmen (als alleluia) in die lateinischen hymnen der christlichen kirche … überging“.
Nehmen wir hier die Urfassung von 1984, wie sie Cohen 1985 zuerst in Montreal vorgetragen hat. Bevor er beginnt, sagt er im Mitschnitt „This is a song about a broken Hallelujah“.
Wie ist das überhaupt zu verstehen? Es ist wie eine enorme Verdichtung. Zwischen jedem Vers, immer vier Mal, erklingt ein emphatisches „Hallelujah“, als müsse das Wort bekräftigt werden, gegen alle grade geäußerten Zweifel. Oder um dieses Hadern zu verstärken, als eine Herausforderung?
Es waren wirklich immer nur ein paar Akkorde, mit denen Cohen die Anwesenheit einer Frau und die Abwesenheit eines Gottes – und umgekehrt – beschwören konnte. Dabei ist er sein Leben lang geblieben; das hat ihn beinah unsterblich gemacht (neben seiner Wortgewalt natürlich). Das „Hallelujah“ beider Fassungen ist der intensive Gesang über diese ewige Suche nach jener Gottgefälligkeit, die nicht den Sexus verdammen muss. Und über das Hadern mit dem Schicksal, von dem nicht die Treue in Stein gemeißelt wurde, sondern das Vagabundieren – I didn’t come to fool you. Das ist nicht lästerlich, nicht zynisch und schon gar nicht sarkastisch. Es ist die ungestillte Sehnsucht nach dem Frieden der Seele.
Das angesprochene Du ist nicht länger der Gott. Cohen ergeht sich in Rätseln, in Anspielungen: auf Maria, vielleicht, auf the holy dove, den Heiligen Geist, auf die Verkündigung, sehr möglich ist das. Doch der, der spricht, erfährt nicht länger, was vor sich geht.
Der späte Cohen baut die Verse in seinen Konzerten dann noch einmal anders zusammen, er nimmt ihnen den schwersten Ernst in seinen kleinen freundlichen Abwandlungen: People, I didn’t come to Lörrach(!) to fool you. Das strenge „Hallelujah“ wird zum Manifest der Versöhnung, die Gegensätze scheinen zu schmelzen – der ewige Traum, Friede auf Erden.
Cohens Tochter entdeckte Ende 2004, dass seine Vertraute, Kurzzeitgeliebte und Managerin Kelley Lynch sein Vermögen in Höhe von mehreren Millionen Dollar fast vollständig veruntreut hatte. Cohen verklagte Lynch und gewann den Prozess, das Geld blieb jedoch verschwunden.
Dieser finanzielle Verlust wird als ein äußerer Grund für die späte Konzertkarriere Cohens angesehen. Erstmals nach 15 Jahren begab sich der über siebzigjährige Cohen wieder auf eine ausgedehnte Tournee. 2008 gab er Konzerte in Kanada und Europa, 2009 in Neuseeland, Australien, den USA und Kanada sowie im Sommer erneut in Europa. Im September 2009, auf seiner dritten Konzertreise in Israel, sprach Cohen hebräische Verse aus dem Vierten Buch Mose und segnete die 50.000 bunt gemischten Zuhörer im ausverkauften Ramat Gan Stadium in Tel Aviv mit den Worten und der Haltung eines Priesters in der Synagoge.
Kurz vor seinem Tod hat Cohen sein letztes Studioalbum „You Want It Darker“ eingespielt. „Hineni“ heißt das SchlüsselwortIn dem Vers kehrt das frühere „Hallelujah“ gespiegelt zurück. Wo einst the blaze of light in every word loderte, wird die Flamme nun gelöscht.
Hineni“ bedeutet „Hier bin ich“; Abraham sprach das zu Gott, als Gott verlangte, dass er seinen Sohn Isaak opfere. Er musste es nicht tun, doch er war bereit. Alles Hadern, aller scharfe Witz, aller sanfte Spott ist der Demut gewichen.
Cohen starb am 7. November 2016 in seinem Haus in Los Angeles im Alter von 82 Jahren, ursächlich waren Blutgerinnungsstörungen durch eine Leukämieerkrankung in Kombination mit einem Sturz. Noch vor Bekanntgabe seines Todes wurde er am Abend des 10. November 2016 in der Familiengrabstätte in Montreal auf dem jüdisch-orthodoxen Friedhof Shaar Hashomayim Cemetery beigesetzt.
Zur Ehrung des Künstlers wurden die Staatsflaggen in Montreal auf Halbmast gesetzt.